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Wie schnell das Böse eine Lücke findet...

8. Oktober 2001 |   Erfahrungsbericht von Silke Jelkic aus Deutschland

Für uns westliche Praktizierende sind die Qualen, die unsere chinesischen Freunde auszuhalten haben, kaum vorstellbar. Unsere kleinen Widersprüche dagegen erscheinen manchmal fast lächerlich. Ich frage mich oft, warum ich mich über meine Kinder aufrege und schäme mich dafür, wenn in China zur gleichen Zeit gerade wieder ein Mord oder eine Mißhandlung stattgefunden hat. Und dann schenke ich meinen kleinen Widersprüchen zu wenig Beachtung. Aber genau auf diese Lücken achtet das Böse. Und ehe ich mich recht versehe, nutzt es meine kleine Unachtsamkeit aus.

Es gibt Praktizierende, die immer noch denken, dass es besser ist, oder derjenige sich besser kultiviert, der in China eingesperrt und gefoltert wird. Es gibt auch welche, die behaupten, es ist besser, wenn man mit Politikern redet oder etwas ‚bedeutenderes' macht, als nur flyer zu verteilen. Aber der Meister sagt:" Für einen Kultivierenden gibt es kein Vorbild. Der Weg eines jeden Menschen ist unterschiedlich, denn die Grundlage eines jeden ist anders, die Größe der verschiedenen Eigensinne ist unterschiedlich, die Beschaffenheit seines Lebens ist anders, die Zustände, unter denen seine Eigensinne beseitigt werden, sind verschieden, und ebenso die Größe der Pässe, die er überwinden soll."

Wie schnell das Böse eine Lücke finden kann, wurde mir beim flyer verteilen deutlich. In unserem Ort fand eine Kinderbörse statt. Ich faßte den Mut und fragte, ob ich Zeitungen auf den Tischen auslegen könne. Natürlich konnte ich. Dann beobachtete ich, wie manche Leute darin lasen. Ein Mann gab seinen Kindern die Zeitungen und sie malten darin herum. Meine kleine aufrichtige Tochter ist erst vier Jahre alt, aber sie sagte sofort zu dem Mann: "Die muß man lesen!" Ich sagte nichts. Ich dachte, ich wäre tolerant, wenn ich den Kindern erlauben würde, die Zeitungen anzumalen. Nach der Kinderbörse sammelte ich die übriggebliebenen Zeitungen wieder ein. Ich hatte ein sehr schlechtes Gefühl. Zu Hause überlegte ich. Ich hatte doch alles richtig gemacht, vielleicht war ja jemand mit einer Schicksalsverbindung dabei gewesen, der jetzt zu mir zum Übungsplatz kommen würde. Es ging mir immer schlechter. Ich überlegte weiter. Hatte ich mich nicht wie ein Dieb benommen? Ich hatte zwar die Zeitungen ausgelegt, aber keinen Menschen angesprochen, mich nicht zu erkennen gegeben. Hatte der Meister nicht gesagt: Keine kleinen Schritte gehen?. Ich schämte mich, sonst war meine Zeit immer so knapp, an diesem Tag hätte ich Zeit gehabt. Es waren so viele Menschen da und nur ein Bruchteil hatte die Zeitungen überhaupt da liegen sehen. Ich hätte Unterschriften sammeln können. Ich hätte so viel machen können. Als ich das alles erkannt hatte, fühlte ich mich wieder sehr leicht. Ich erzählte meinen Kindern, dass ich am diesem Tag gar nicht aufrichtig gewesen war und was ich alles falsch gemacht hatte. Sie verstanden gleich, was ich damit meinte.

Am nächsten Tag benahm ich mich wieder ganz wie eine Praktizierende. Ich war bei der Arbeit; Briefe austragen. Ich nutzte jede Schicksalsgelegenheit und gab den Leuten mit aufrichtigen Gesinnungen die Zeitungen und erzählte von der schlimmen Verfolgung in China. An diesem Tag traf ich zwar nur wenige Leute, aber ich benahm mich wieder wie ein Dafa-Jünger bei der Fa-Berichtigung. Und ich glaube, diese scheinbar einfache Handlung zeigt eine große Wirkung. Und es ist das, was ich tun soll. Der Meister sagt: "Ob einer bei der Beseitigung des Bösen heraustreten kann, ist ein Beweis von Leben und Tod geworden."

Ich glaube, wenn wir unsere Eigensinne wirklich erkennen und bereuen, dann gibt uns der Meister eine zweite Chance. Einmal war ich in Ulm an der Uni. Aber an diesem Tag war ich sehr ängstlich und deshalb verteilte ich nur Zeitungen, obwohl ich Unterschriften hätte sammeln können. Aber auch hier gab mir der Meister eine zweite Chance. Ich vergaß am Abend ca. 200 Kopien Infomaterial an der Uni. Zuerst überlegte ich wie ein gewöhnlicher Mensch, ob es sich finanziell lohnen würde, noch einmal bis nach Ulm zu fahren. Eigentlich hatte ich auch gar keine Zeit. Dann begriff ich jedoch, dass mir mein Meister helfen wollte, meinen Eigensinn zu beseitigen. Ich ließ alle meine Zweifel, nahm die Unterschriftenliste und machte mich auf den Weg - mutig.

Als ich an der Uni ankam, konnte ich kaum glauben, was ich sah. Überall lagen noch meine Zeitungen und überall standen oder saßen Studenten, die gerade darin lasen. Jetzt war es ein Einfaches, die Unterschriften einzusammeln. Die Studenten sagten: "Gerade habe ich die Zeitung gelesen, ich werde auch unterschreiben." Ich hatte viele Gespräche und wenn jemand von Sekte sprach, dann sagte ich aufrichtig: "Nein, Falun Gong ist keine Sekte. Schau mich mal an. Ich praktiziere seit 4 Jahren schon Falun Gong. Sehe ich so aus, als wäre ich eine Sekte?"

Als wir auf dem Nachhauseweg von Rom an einer Raststätte hielten, wollte ich die Gelegenheit nutzen und ein paar Leuten die Zeitung geben. Die Familie am Nebentisch schien unfreundlich und mürrisch. Ich sagte zu meinem Mann: "Gib doch mal der Frau da drüben eine Zeitung." Aber er gab ihr keine. Mir war unwohl, denn ich hatte versucht, meine Verantwortung an meinen Mann abzuschieben. Aber die Kultiverung muß jeder selber tun... Ich dachte an den Pass von Leben und Tod und beschloß, den Leuten die Zeitung anzubieten, auch wenn ich dabei mein Gesicht verlieren würde. Sofort kamen meine aufrichtigen Gedanken zurück und die Familie nahm die Zeitung dankend entgegen. Meine aufrichtigen Gedanken wurden stärker. Ich ging zur nächsten Familie und überreichte eine Zeitung. Das Ehepaar bedankte so herzlich, als hätte ich ihnen gerade einen kostbaren Schatz überreicht.

02.10.2001