Politische Bedenken gegenüber neuer Gesetzesvorlage
Während dreier Monate werden die Hongkonger Bürger Gelegenheit haben, eine Gesetzesvorlage zur Bekämpfung von Subversion und Sezession zu debattieren. Die Administration sieht das neue Gesetz in Übereinstimmung mit internationalen Menschen- und Bürgerrechtsnormen sowie mit Hongkongs geltender rechtsstaatlicher Ordnung. Von der Gegenseite wird eine Erosion von Hongkongs politischen Freiheiten befürchtet.
us. Peking, 26. September
Hongkongs Chief Executive Tung Chee-Hwa hat am Dienstag der Öffentlichkeit die seit längerem erwartete Gesetzesvorlage zur Bekämpfung von Subversion und Sezession in der administrativen Sonderregion präsentiert. Fünf Jahre, nachdem Hongkong unter der Formel «ein Land, zwei Systeme» nach China zurückgekehrt ist, soll nun der von Artikel 23 des Grundgesetzes postulierte Erlass von eigenständigen Gesetzen gegen Verrat, Sezession und Subversion gegen die Zentralregierung in Peking sowie gegen den Diebstahl von Staatsgeheimnissen realisiert werden. Wiederholt hatten festlandchinesische Exponenten zu einer speditiveren Schaffung dieser Gesetze gemahnt. Nach der öffentlichen Vernehmlassung soll die Gesetzesvorlage von der Hongkonger Legislative verabschiedet werden. Berücksichtigt man das grosse Interesse Pekings an der Gesetzesvorlage, die Vorgehensweise der Hongkonger Administration bei anderen heiklen politischen Vorhaben sowie die faktischen Machtverhältnisse in der Legislative, so ist davon auszugehen, dass die endgültigen Gesetze sich wohl kaum in wesentlichen Aspekten von der nun unterbreiteten Vorlage unterscheiden werden.
«Liberal und vernünftig»
Der Gesetzesentwurf legt fest, dass Landesverrat, Sezession und Subversion mit lebenslänglicher Haft bestraft werden, dass die Anstiftung zu diesen Akten mindestens sieben Jahre Gefängnis nach sich zieht, dass der Diebstahl von Staatsgeheimnissen vierzehn Jahre Haft und die Verbindung mit ausländischen politischen Organisationen sieben Jahre Gefängnis zur Folge haben. Der Chief Executive Tung Chee-Hwa erklärte bei der Präsentation der Vorlage, dass diese «liberal und vernünftig» sei. Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten gehörten zu Hongkongs Fundament, und er setze sich für deren Verteidigung ein. Die für Sicherheitsfragen zuständige Regierungsangehörige, Regina Ip, betonte, dass jedes Land solche gesetzlichen Vorkehrungen habe. «Hongkong als unveräusserlicher Teil der Volksrepublik China hat die Pflicht, seine eigenen Gesetze zum Schutz der nationalen Sicherheit zu erlassen.»
Rechtsexperten zeigten sich über die Gesetzesvorlage geteilter Meinung. Von der einen Seite wurde betont, dass die Administration die Anliegen von Menschen- und Bürgerrechtssachverständigen in Betracht gezogen habe und dass mit dem Gesetz Klarheit geschaffen werde, wo zukünftig sich die Grenzen der Legalität befinden. Von anderer Seite wurde indessen bemängelt, dass das Gesetz allzu grossen Raum für Interpretation lasse. Jenen Exponenten der Administration, die darauf verweisen, dass ähnliche Vorschriften bereits während der britischen Kolonialzeit bestanden hatten, halten die Kritiker entgegen, dass die damalige Hongkonger Verwaltung in London einer demokratisch gewählten Regierung verantwortlich war. In Peking würden demgegenüber Organisationen und politische Anliegen als systemgefährdend und subversiv bezeichnet, die in einer rechtsstaatlichen Ordnung keinen Grund zur strafrechtlichen Verfolgung geben.
«Übereilt und drakonisch»
Zahlreiche Stimmen zeigten sich besorgt über den Zeitpunkt, zu dem die Gesetzesvorlage unterbreitet wird. Tung Chee-Hwa und seine Administration stehen wegen des schlechten Wirtschaftsklimas und hoher Arbeitslosigkeit derzeit in der Gunst der Öffentlichkeit sehr tief. Dies, so ein Politikexperte der Hongkonger Universität, sei ein ungünstiges Umfeld, um ein Gesetz zu unterbreiten, das auch auf der internationalen Ebene Zweifel an Hongkongs rechtlicher Eigenständigkeit Nahrung geben könne. Der Vorsitzende der Demokratischen Partei, Martin Lee, sieht das neue Gesetz als übereilt, seine parteiunabhängige Kollegin in der Legislative, Margaret Ng, bezeichnet es als drakonisch. Für Lee ist Hongkong während der vergangenen fünf Jahre mit den bestehenden Gesetzen gut gefahren, und es gebe keinen Grund, weshalb im sechsten eine solche Legiferierung nötig sei. Direkt oder unterschwellig wird in der kurz nach der Präsentation des Entwurfs entstandenen lebhaften Debatte das heikle Thema des Vertrauens Pekings in die bestehende politische Ordnung Hongkongs angesprochen. Ohne Zweifel sind die Hongkonger Aktivitäten von Falun Gong und von Menschenrechtsorganisationen, die das Festland im Visier haben, ein Dorn im Auge der chinesischen Führung.
Von den Protagonisten des neuen Gesetzes wird herausgestrichen, dass durch dieses die Hongkonger Ablage der in China verfolgten Bewegung Falun Gong nicht verboten werde und dass auch in Zukunft die Befürwortung der Unabhängigkeit Taiwans und Tibets nicht strafbar sei. Anderseits sind die Formulierungen so vage, dass sie der Hongkonger Administration leichte Handhabe für ein schärferes Vorgehen geben. Einzelne sehen im Verbot der Beziehungen mit ausländischen politischen Organisationen ins extreme eine Gefahr für die Tätigkeit von Amnesty International in Hongkong. Andere wiederum befürchten, dass unter dem Vorwand von Staatsgeheimnissen sowie unter dem Aspekt einer sehr vagen Umschreibung der Anstiftung zu Verrat, Sezession und Subversion leicht die Pressefreiheit leiden könnte. Auch wenn fraglich ist, ob die Administration von ihrem Kurs abweichen wird, so wird die öffentliche Debatte während der nächsten drei Monate Aufschluss darüber geben, welchen Stellenwert die von handfesten ökonomischen Problemen gebeutelten Hongkonger rechtsstaatlich wichtigen Themen geben.