Obwohl die Falun Gong Bewegung erst seit einem Jahrzehnt existiert, gehört sie zu der langen und angesehenen chinesischen Tradition der 'Kultivierungspraxis', in der es sowohl um die physische wie auch die geistige Entfaltung des Menschen geht. Die "fünf sanften Übungen", die von den Anhängern des Falun Gong durchgeführt werden, sind entwickelt worden, um sowohl körperliche Gesundheit als auch Seelenfrieden zu fördern. Sie haben also dieselbe Funktion wie die Übungen, die im Tai Chi praktiziert werden. Falun Gong hat keine spezielle religiöse Bindung. Aber seine Verpflichtung gegenüber den drei moralischen und geistigen Zielen von Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht ist eindeutig sowohl in der daoistischen als auch der buddhistischen Tradition zu finden.
Dass die Ideale und die Übungen des Falun Gong so offensichtlich zu den althergebrachten asiatischen Traditionen gehören - und dass diese zu solchen Traditionen auffallend ähnlich sind, die im modernen China sonst erlaubt sind oder sogar unterstützt werden, - macht es schwer, die Feindseligkeit und Verfolgung der chinesischen Regierung zu verstehen, mit der sie die Anhänger von Falun Gong behandelt. Wie schon erwähnt, ist die Bewegung nicht an irgendeine spezielle organisierte Religion gebunden, und sie unterstützt auch keine politische Richtung, was dann als Bedrohung des chinesischen politischen System angesehen werden könnte. Und es sollte auch betont werden, dass Falun Gong in keinster Weise ein "Kult" ist. Weder beansprucht Li Hongzhi, der Gründer und führende Kopf der Bewegung, besondere spirituelle Autorität oder Charisma, noch wird ihm das von seinen Anhängern zugeschrieben. Die Menschen werden nicht gezwungen, überredet oder zur Mitgliedschaft verführt, und es gibt auch keine Anzeichen von irgendwelchem Druck, der auf diejenigen ausgeübt würde, die sich entschließen, die Bewegung zu verlassen.
Meine eigene Vermutung ist, dass die offene Feindschaft der chinesischen Regierung gegenüber Falun Gong vielleicht wegen dem wenig mysteriösen Grund eines Missverständnisses heraus entstanden ist, oder wegen falscher Berichterstattung über die Ziele der Bewegung oder der Praktiken irgendwelcher unfähiger Beamten, was dann die Regierung einfach übernommen hatte. Einmal damit begonnen, Falun Gong Anhänger zu verhaften und seine Literatur zu verbieten, hätte es seitens der Behörden "das Gesicht zu verlieren" bedeutet, zuzugeben, dass man einen schlimmen Fehler gemacht hat. Für die Menschen des Westens ist es nicht immer leicht, die große Bedeutung zu verstehen, die in Ost-Asien dem "Gesicht wahren" beigemessen wird. Deshalb fürchte ich, dass die Verurteilung der chinesischen Behörden im Namen der "Menschenrechte" und der Gerechtigkeit sich als ineffektiv erweisen könnte. Notwendig wäre, sie davon zu überzeugen, dass sie ihr Gesicht nicht verlieren, wenn zugegeben wird, dass bisher falsche Auffassungen über Falun Gong und seine Ziele überwogen hatten, sondern im Gegenteil, dass das von Mut und Aufrichtigkeit zeugt.
David E. Cooper
Professor der Philosophie
Universität von Durham