Vor dem Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten Jiang Zemin herrscht in Berlin große Nervosität. Während die Chinesen versuchen, eine unliebsame Berichterstattung zu verhindern, sind die Gastgeber vor allem darum bemüht, die erwarteten Demonstrationen gegen Menschenrechtsverletzungen in China möglichst auf Distanz zu dem Staatsgast zu halten.
Es ist zwar schon einige Jahre her, aber die Erinnerung ist vor allem bei den Protokoll-Beamten der deutschen Regierung noch unangenehm lebendig: der Staatsbesuch des damaligen chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng in der Bundesrepublik entwickelte sich 1994 zu einer diplomatischen Katastrophe. Gleich an mehreren Stationen seiner Reise brach der Gast das Programm vorzeitig ab, weil er sich durch Demonstranten oder indirekte Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen in seinem Land beleidigt fühlte. Seither gelten chinesische Politiker bei deutschen Organisatoren als besonders empfindlich.
Bei der Vorbereitung des Jiang-Besuchs in Berlin tut sich das Protokoll nun erkennbar schwer mit der Balance zwischen den Pflichten eines Gastgebers und dem Respekt vor den Grundrechten in einer meinungsfreudigen Demokratie. Von diesen Rechten wollen zahlreiche Organisationen und Gruppen, von Amnesty International bis zum deutschen Ableger der in China verbotenen Falun-Gong-Bewegung, in dieser Woche regen Gebrauch machen - sehr zum Missfallen der Regierung in Peking und ihrer Berliner Außenstelle.
Bei deutschen Medien gingen schon vor dem Staatsbesuch hilfreiche Anrufe der chinesischen Botschaft ein. Sie gab zu bedenken, ob es nicht angezeigt sei, im Sinne der Harmonie zwischen beiden Völkern auf unfreundliche Berichte über Menschenrechtsverletzungen zu verzichten. Überhaupt richtet die Diplomatie der Volksrepublik ein scharfes Auge auf die Berichterstattung. Eine gemeinsame Pressekonferenz Jiangs mit Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) kommt auf Betreiben Pekings gar nicht erst nicht zustande.
Andererseits dürfte Chinas Staatschef von Demonstrationen gegen sein Regime nur wenig mitbekommen. Zwar hat die Berliner Polizei, für die während des Besuchs die höchste Sicherheitsstufe gilt, die für den heutigen Dienstag angemeldeten Kundgebungen genehmigt. Amnesty International und Falun Gong dürfen vor dem Schloss Bellevue, dem Sitz des Bundespräsidenten, und dem Kanzleramt demonstrieren - beides jedoch etliche hundert Meter von den Gebäuden entfernt. Für den Staatsgast werden sogar die Straßen und der Tiergarten am Rande des Regierungsviertels weiträumig gesperrt. Selbst der Wochenmarkt vor dem Roten Rathaus fällt wegen der Jiang Visite aus. Und Amnesty International erhielt die Genehmigung für eine Mahnwache nur unter der Auflage, dass es "keine Beschallung Richtung Rathaus" gäbe.
Denn mit der Beschallung hat man hier zu Lande einige Erfahrung. Als Jiang 1995 Bayern besuchte, ließ die Münchner Polizei eigens ihr Musikcorps aufspielen, damit Trillerpfeifen und Rufe von Menschenrechtsgruppen nicht ans Ohr des Besuchers dringen konnten. Schon wenige Tage zuvor, beim Staatsempfang für Jiang auf Schloss Brühl, hatte die Bonner Polizei mit Mannschaftsbussen für ausreichend Sichtschutz gesorgt. In beiden Fällen leisteten die Behörden später zwar Abbitte bei den Demonstranten. Da war der Gast aber längst wieder im fernen Peking.