Protest zum Staatsbesuch
Anhänger der Meditationsbewegung Falun Gong haben am Montag auf dem Berliner Alexanderplatz für die Freilassung von 30 000 in China inhaftierten Mitgliedern ihrer Gemeinschaft demonstriert. Auch Menschenrechtsgruppen protestierten aus Anlass der Ankunft des chinesischen Staatspräsidenten Jiang Zemin in der Hauptstadt. (Foto: Berliner Zeitung/Markus Wächter)
Egal wo der chinesische Staatspräsident Jiang Zemin dieser Tage in Berlin unterwegs ist, da wollen sie schon sein: die Falun-Gong-Anhänger, erkennbar an ihren gelben Jacken. "Wir werden Hase und Igel mit ihm spielen", sagte Renate Lilge-Stodieck, die eine Übungsgruppe der chinesischen Meditationsbewegung in Berlin leitet.
Sie wollen vor dem Hotel Adlon stehen, der Unterkunft des Staatsgastes, hinter dem Brandenburger Tor, am Mittwoch in Potsdam, wenn Jiang Schloss Cecilienhof besucht, und überall ihre Forderung zum Ausdruck bringen: "Jiang Zemin, beenden Sie die Verfolgung von Falun Gong! Beenden Sie das Foltern und Morden in China!"
Falun Gong ist in China verboten. Jiang sei für die Verfolgung der Bewegung verantwortlich, sagte Lilge-Stodieck. Auf seinen Befehl seien seit 1999 über 150 000 Anhänger in Gefängnisse und Arbeitslager gesteckt worden, 380 seien durch Prügel und Folter gestorben; "die Masse von 50 Millionen Anhängern macht der Regierung Angst".
Gestern demonstrierten etwa 300 Falun-Gong-Anhänger auf dem Alexanderplatz, bevor sie zum Reichstag aufbrachen. Einige machten auf der Mitte des Platzes die fünf Meditationsübungen vor, die neben den Prinzipien Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht im Mittelpunkt der Bewegung stehen. Eine stille Demonstration, zu der Musik aus kleinen Lautsprechern rieselte. Später erzählte Zhizhen Dai von ihrem Ehemann, der zu Tode gefoltert wurde. Mit tränenerstickter Stimme forderte sie, die Verfolgung von Falun Gong zu beenden. Der geschäftsführende Vorsitzende der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, Karl Hafen, appellierte an die Bundesregierung, bei Zemin für die Beachtung der Menschenrechte einzutreten. Er wies auf den Fall Xiong Wei hin: Die ehemalige Studentin der Technischen Universität wurde Anfang des Jahres von der Pekinger Polizei verhaftet, als sie für Falun Gong warb. "Sie hat sechs Jahre hier gelebt, die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, dass sie freikommt", sagte Hafen.
Politik der Leisetreterei
Die Gefangenenhilfe-Organisation Amnesty International (ai) beklagte eine "Zunahme schwerer Menschenrechtsverletzungen in China". Bundespräsident Johannes Rau und die Bundesregierung sollten von Zemin eine Verbesserung der Situation "einfordern", sagte Generalsekretärin Barbara Lochbihler. Der China-Experte von ai-Deutschland kritisierte, die Bundesregierung praktiziere "eine Politik der Leisetreterei gegenüber China". Amnesty will wie Falun Gong am Schloss Bellevue und vor dem Roten Rathaus demonstrieren.
Unterdessen stellte die Gesellschaft für bedrohte Völker Strafanzeige beim Generalbundesanwalt gegen Jiang Zemin. Die Göttinger Menschenrechtsorganisation wirft ihm unter anderem Körperverletzung mit Todesfolge in vier Fällen vor. Unter den Opfern seien auch Falun-Gong-Anhänger. Der Vorsitzende der Gesellschaft, Tilman Zülch, sagte, China breche regelmäßig die Konvention gegen Folter. Wenn dagegen verstoßen werde, gelte in Deutschland deutsches Strafrecht.