Rechtsanwalt Kaleck
Göttingen, den 20.11.2003
Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Kaleck,
die Beendigung der Straflosigkeit für schwerste Menschenrechtsverletzungen gehört zu den vordringlichen Anliegen der Menschenrechtsarbeit der deutschen Bundesregierung sowie anderer Regierungen der Europäischen Union. Daher setzten sich diese Staaten sowie zahllose Menschenrechtsorganisationen in aller Welt auch engagiert für die Schaffung des im Jahr 2002 eingerichteten internationalen Strafgerichtshofes ein. Leider kann der Strafgerichtshof nur Straftaten ahnden, die seit dem Juli 2002 begangen wurden. Viele schwere Menschenrechtsverletzungen, die im letzten Jahrzehnt in der Volksrepublik China verübt wurden, können nicht geahndet werden, weil der Strafgerichtshof nicht dazu befugt ist, schwere Menschenrechtsverletzungen zu ahnden, die vor dem Inkrafttreten seines Statutes verübt wurden.
Mit größter Besorgnis verfolgt die Gesellschaft für bedrohte Völker die anhaltende Verfolgung von Angehörigen der Meditationsgruppe Falun Gong, von Tibetern, Ulguren, Katholiken und Protestanten sowie von Anhängern der chinesischen Demokratiebewegung, die verfolgt werden, weil sie ihre verfassungsmäßig garantierten Rechte öffentlich einfordern. Diese Verfolgung ist staatlich zentral gelenkt und geschieht auf Anordnung der Staats- und Parteiführung. Es ist also nicht die Willkür einzelner Sicherheitsbeamter, die für die Verfolgung von chinesischen Staatsbürgern aufgrund religiöser Überzeugung, ethnischer Abstammung oder politischer Übersetzung verantwortlich ist, sondern die führenden Vertreter von Partei und Staat.
In der Volksrepublik China gibt es zur Zeit keine Perspektiven für die Schaffung eines Rechtsstaates, der dem einzelnen Bürger ermöglicht, gegen Rechtsverletzungen von Sicherheitskräften und anderen staatlichen Organen Erfolg versprechend juristisch vorzugehen. So ist die internationale Gemeinschaft dazu aufgerufen, alle juristischen Möglichkeiten zu nutzen, um Straflosigkeit in der Volksrepublik China zu beenden. Daher begrüßt die Gesellschaft für bedrohte Völer außerordentlich jede Initiative, die darauf abzielt, die individuelle Strafbarkeit auch ehemaliger Machthaber in der Volksrepublik China zu prüfen. Die Einreichung einer Strafanzeige gegen Chinas ehemaligen Staatspräsidenten Jiang Zemin ist ein bedeutender Schritt im Kampf gegen die Straflosigkeit in der Volksrepublik China. Vergeblich bemühten uns im April 2002, den damals noch amtierenden Staatspräsidenten Jiang Zemin bei seinem letzten Staatsbesuch in Deutschland juristisch zur Rechenschaft zu ziehen. Damals begründete die Generalbundesanwaltschaft ihre abschlägige Reaktion auf unsere Strafanzeige mit dem diplomatischen Status des Besuchers. Inzwischen amtiert reine neue politische Führung in der Volksrepublik China, die die unter Staats- und Parteichef Jiang Zemin entwickelte Repression fortführt. Wir begrüßen daher ausdrücklich die Einreichung einer Strafanzeige gegen Jiang Zemin, da sie mit dazu beitragen könnte, schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit juristisch zu ahnden.
Mit herzlichen Grüßen
(Ulrich Delius, Asienreferent)