Ein Bischof in Hongkong kämpft gegen die geplanten Anti-Subversions-Artikel
Der katholische Bischof von Hongkong kämpft nicht nur für die Religion, sondern auch gegen Pekings Versuch, neue Anti-Subversions-Artikel in der ehemaligen Kronkolonie einzuführen. Kürzlich äusserte er sich dazu und zur Situation der Kirche in China anlässlich einer Vortragsreise in Deutschland.
Kl. Die heroischen Etiketten, die der Oberhirte mit sich herumträgt, wollen auf den ersten Blick nicht recht passen zu der schmächtigen Gestalt mit den wachsamen Augen unter dem ergrauten Schopf. Eine der populärsten Tageszeitungen in Hongkong hat Bischof Joseph Zen für 2002 zum «Mann des Jahres» gekürt. Das Nachrichtenmagazin «Far Eastern Economic Review» widmete ihm unlängst eine Titelgeschichte («Wielding the Cross») und erklärte den 71-jährigen Kirchenmann zum personifizierten «Gewissen von Hongkong». Er selbst fügt mit ironischem Unterton noch eine Etikette hinzu, die zum Synonym für seine prekäre, vielfältigen Anfechtungen ausgesetzte Stellung geworden ist: «Feind der chinesischen Regierung».
Religiöser oder politischer Führer?
Sein Vortrag beim diesjährigen Akademietreffen im China-Zentrum am Sitz der Steyler Mission im rheinischen St. Augustin war unter dem Titel «Frust oder Hoffnung? Gegenwart und Zukunft von Kirche und Gesellschaft in Hongkong und in China» angekündigt. Nur, sprach da wirklich der katholische Bischof von Hongkong, oder war das nicht eher der Tätigkeitsbericht eines ziemlich leidenschaftlichen politischen Aktivisten? Weil er sein Publikum so anschaulich daran teilhaben liess, wie er gerade jetzt wieder beim öffentlichen Protest gegen die von Peking inspirierte Vorlage verschärfter Sicherheitsbestimmungen für das chinesische Sonderverwaltungsgebiet an vorderster Front marschiert, provozierte er einige Irritation und entsprechende Fragen. Auf die eine, ob der kämpferische Oberhirte der 225 000 Katholiken in Hongkong den Vatikan dabei auf seiner Seite habe, antwortete er kurz und bündig, er habe dort nicht vorher nachgefragt. Und als jemand wissen wollte, ob er mit seinem Verhalten den Katholiken auf dem Festland das Leben nicht noch schwerer mache, sagte er mit hörbarem Ingrimm: «Die können nicht mehr leiden, als sie jetzt schon leiden.»
Das Übergreifen des Sars-Virus von Südchina auf Hongkong hat die ehemalige britische Kronkolonie, die seit der Rückgabe an China 1997 in den Windschatten der Aufmerksamkeit geraten war, zurück in die Schlagzeilen gebracht. Bischof Zen ist Zeuge und Mitstreiter in einem anderen, stilleren Drama, das so unverhofft Teil seines Lebens und seiner Amtsführung geworden ist, spätestens seitdem ihn der Papst vergangenen Herbst nach dem Tod von Kardinal John B. Wu zu dessen Nachfolger berufen hat. Wer ihm zuhört, versteht allmählich, wie und warum sich weltliche Politik und pastorale Anliegen so untrennbar miteinander verschränkt haben, dass Schweigen, wie der Bischof sagt, «nichts anderes bedeuten würde, als die Flucht ergriffen zu haben».
Gehen die neuen Anti-Subversions-Artikel als beliebig einsetzbare Mehrzweckwaffe zur Ausschaltung jeder Form von unliebsamer Opposition durch, dann wäre das, so Joseph Zen, der «erste offene und eklatante Bruch» des Autonomieversprechens, mit dem Peking Hongkong für die Dauer von mindestens 50 Jahren weitgehende innere Selbstbestimmung garantiert hat. Und so, wie die Bestimmungen angelegt sind, liessen sie sich bei Bedarf auch für religionspolitische Zwecke einsetzen - etwa um die Kontakte und Verbindungen zu kriminalisieren, aus denen der Kirche in Hongkong spirituell wie materiell eine wichtige Brückenfunktion gegenüber den Katholiken auf dem Festland (einschliesslich der romtreuen Untergrundkirche) erwachsen ist.
Zwischen Frust und Hoffnung - das beschreibt die jähen Pendelschläge der chinesischen Religionspolitik von relativer Toleranz zu militanter Repression. In der Phase der Wiederbelebung religiösen und kirchlichen Lebens nach Beginn der wirtschaftlichen Reform- und Öffnungspolitik 1978 gehörte der Salesianer-Pater und Philosophieprofessor Zen zu den ersten Theologen, die auf das Festland reisen und an den Priesterseminaren unterrichten durften. 1998, als die chinesischen Behörden ohne Angabe von Gründen ein Einreiseverbot gegen ihn verhängten, war damit Schluss.
Die allgemeine Verdüsterung, die bald darauf folgte, verbindet sich mit zwei Ereignissen: der von der Parteipropaganda zum «Kampf um die Seele der Nation» hochstilisierten Verfolgung der unheimlich populären Heilsbewegung Falun Gong; und dem offenen Konflikt zwischen Peking und dem Papst im Herbst 2000 um die Kanonisierung von 120 im Boxeraufstand getöteten Märtyrern, den die chinesische Führung dazu nutzte, um die Amtsträger der einzigen legalen Vereinigung der Katholiken Chinas unter massivem Druck unter das Joch der Loyalität gegenüber dem Staat und seiner Kontrolle zu zwingen.
lühendes Christentum trotz Repression
Was das amerikanische Aussenministerium in seinem Jahresbericht 2002 zur Lage von Religion und Kirchen in China zusammengetragen hat, ergibt ein unvermindert beklemmendes Bild. So hat das militante Vorgehen gegen die freikirchliche protestantische South China Church vor Augen geführt, wie freizügig die Regierung von den in Verbindung mit Falun Gong aktivierten gesetzlichen Vorgaben zur Unterbindung «böser Kulte» für Repressionszwecke Gebrauch macht. Von den etwa 50 Bischöfen der romtreuen Untergrundkirche sitzen die meisten entweder in Haft oder stehen unter Hausarrest oder sind auf der Flucht. Und die offizielle katholische Kirche in Baoding (Provinz Hebei) ist nicht die einzige, deren Klerus sich kürzlich einer hochnotpeinlichen Untersuchung auf Auslandskontakte und ausländische Geldquellen unterziehen musste.
Aber es gibt noch eine andere Seite. Ein kundiger Beobachter hat sie als «historische Ironie» so beschrieben: «In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben sich Tausende von Missionaren in China frei bewegen können, aber dennoch nur sehr bedingt nachhaltige Spuren hinterlassen. Aber jetzt, da ausländischen Missionaren die Türen verschlossen sind und die Untergrundkirchen verfolgt werden, blüht das Christentum mit einer Gesamtzahl von Gläubigen, die bereits weit in den zweistelligen Millionenbereich hineingewachsen ist.» Tatsächlich wurden im kommunistischen China bis in die entlegensten Landflecken noch nie so viele Kirchen gebaut wie heute, aus eigener Kraft, aber auch vielfach mit ausländischer Unterstützung.
Noch bemerkenswerter sind die vielfältigen Aktivitäten, mit denen sich protestantische und katholische Gemeinden an der Basis mit stillschweigender Billigung der lokalen Behörden caritativ engagieren, eigene Kindergärten und Schulen gründen und dort, wo der Staat versagt, als soziale Hilfsaggregate willkommen sind. Das und die Tatsache, dass sich die Grenzen zwischen den staatlich sanktionierten Kirchenorganisationen und den Untergrundkirchen in der Praxis immer mehr verwischen, erklärt auch, warum Partei und Regierung heute mehr denn je die Furcht umtreibt, vollends die Kontrolle über die starke Sogkraft zu verlieren, die in einer nach alternativen Orientierungen suchenden Gesellschaft von den Religionen und einer Vielzahl von Spiritualismen ausgeht.
Wenn Bischof Zen die chinesische Religionspolitik an einem «kritischen Kreuzungspunkt» sieht, beschreibt das vor diesem Hintergrund einen ziemlich verzweifelten Selbstbehauptungskonflikt. Denn wo einerseits Einschüchterungsversuche und repressive Übergriffe zuzunehmen scheinen, haben andrerseits die Religionsgemeinschaften ebenso offenkundig an robustem Beharrungsvermögen und De-facto-Unabhängigkeit gewonnen. Wenn es heute eher die Regel als die Ausnahme ist, dass die Priester und Bischöfe der Patriotischen Vereinigung insgeheim beim Heiligen Stuhl um die nachträgliche Anerkennung ihrer Weihe nachsuchen, bleibt von dem staatlichen Loyalitätsanspruch kaum mehr als die Fassade übrig.
Hoffnung in die verjüngte Führung
Die Hoffnung von Bischof Zen, dass die neue, verjüngte Führung aufgeklärt genug ist, um daraus rationale Konsequenzen zu ziehen, bleibt vorläufig ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft, selbst wenn Anzeichen gedanklicher Beweglichkeit zu erkennen sind. Etwa in dem bemerkenswerten Aufsatz, in dem der Reformpolitiker Pan Yue vor einiger Zeit in der chinesischen Presse eine positiv besetzte Neubestimmung des Verhältnisses zur Religion gefordert hat. «Der Geist eines Volkes», so sein Plädoyer, «wird von seiner Kultur hervorgebracht, die Seele der Kultur drückt sich in der Moral aus, die Stütze der Moral ist der religiöse Glauben. Ein Volk ohne religiösen Glauben kann in der Vielzahl der Völker nicht standhalten. Das gilt umso mehr für China.»