Völkermord und Immunität
Wir sind der festen Überzeugung, dass diplomatische Immunität nicht angewendet werden kann, wenn wir uns in der Arena des Internationalen Strafrechts befinden. Jede gegenteilige Interpretation würde „Straflosigkeits-Gesetzeslücken” ermöglichen und genau den Grundsätzen zuwiderlaufen, die durch das Internationale Menschenrecht und das Humanitäre Völkerrecht geregelt sind. Ebenso wurde es von dem Generalsekretär der Vereinten Nationen in dem am 3. Mai 1993 für den Sicherheitsrat ausgefertigten Bericht über das Statut des Jugoslawien-Tribunals ausgeführt. In diesem Bericht heißt es, dass das Genfer Übereinkommen von 1949 sowie das Abkommen zur Verhinderung und Strafandrohung von Völkermordverbrechen vom Dezember 1948 und der Brief des Internationalen Militärgerichts Nürnberg von 1945 als Internationales Menschenrecht angesehen wird, das beachtet werden muss, „jus cogens" (= zwingendes Recht, das alle Staaten beachten müssen).
Die Grundsätze des Völkerrechts, die vom Nürnberger Statut und von den Gerichtsurteilen des Nürnberger Kriegsgerichts anerkannt und von der Generalversammlung der Vereinten Nationen bestätigt wurden, enthalten, dass „die Tatsache, dass die Person in Ausführung ihres Amtes als Staatsoberhaupt oder staatliche Autorität ein Verbrechen gegen das Völkerrecht begangen hat, befreit sie gemäß dem Völkerrecht nicht von der Verantwortlichkeit.”
In gleicher Weise setzt Artikel 7 im Statut des Internationalen Strafgerichts für den ehemaligen jugoslawischen Staatschef fest, dass „das Amt eines Angeklagten, sei er Staats- oder Regierungsoberhaupt oder verantwortlicher Regierungsbeamter, ihn weder von seiner Verantwortlichkeit befreit, noch sein Strafurteil mildert.” Genauso legt Artikel IV des Abkommens zur Verhinderung und Strafandrohung von Völkermordverbrechen deutlich fest, dass „Personen, die Völkermord begangen haben, bestraft werden, ungeachtet ob sie Regierende, Beamte oder Privatpersonen sind.”
Schließlich setzt auch das Römische Statut, das dem bestehenden Internationalen Strafgerichtshof als Urtext diente, fest:
1. „Dieses Statut gilt gleichermaßen für alle Personen, ohne jeden Unterschied nach amtlicher Eigenschaft. Insbesondere enthebt die amtliche Eigenschaft als Staats- oder Regierungschef, Mitglied einer Regierung oder eines Parlaments, gewählter Vertreter oder Amtsträger einer Regierung eine Person nicht der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach diesem Statut und stellt für sich genommen keinen Strafmilderungsgrund dar.
2. „Immunitäten oder besondere Verfahrensregeln, die nach innerstaatlichem Recht oder nach dem Völkerrecht mit der amtlichen Eigenschaft einer Person verbunden sind, hindern den Gerichtshof nicht an der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit über eine solche Person.”
Somit haben wir es mit einem Grundsatz zu tun, der auf das gesamte Internationale Strafrecht zutrifft, gleich ob es sich um Zivil- oder Vertragsrecht handelt.
Nach unserer Auffassung ist das Konzept der Immunität das Ergebnis der grundsätzlichen Gleichberechtigung souveräner Staaten. Das bedeutet, dass die Handlungen eines jeden Staates als „Handlungen der Regierung” oder interne Handlungen erachtet werden können, und deshalb nicht von ausländischen Gerichtshöfen untersucht werden können. Die Immunität eines Staatsoberhaupts wird unter zwei unterschiedlichen Voraussetzungen definiert bzw. anerkennt: ”ratio personae” und „ratio materiae”. Bei der ersten wird der Regierende als der, der er ist, freigestellt, nämlich als Staatsoberhaupt. Es ist eine Form der herrschenden Höflichkeit zwischen den jeweiligen Staaten, die verhindern soll, dass deren Strafgerichte für private Angelegenheiten oder für Angelegenheiten, die die Beziehungen zwischen den Ländern beeinträchtigen könnten, eingesetzt werden. Die zweite Voraussetzung beinhaltet die Wahrung der Immunität, nachdem diese Person ihr Amt als Staatsoberhaupt niedergelegt hat, dies gilt aber nur für „Regierungshandlungen”, die das Staatsoberhaupt während seiner Amtszeit begangen hat, nicht aber für private Handlungen.
Kann man nun die schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Völkermord, Folterungen oder die Ausrottung einer Menschengruppe als Regierungshandlung betrachten? Dies ist weder von irgendeinem Gesetz noch von unserem menschlichen Gewissen vertretbar. In dieser Hinsicht ist das Urteil, das vor 55 Jahren vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg gefällt wurde, von historischer Bedeutung. Darin wird erklärt:
„Es sind Menschen, die die Verbrechen gegen das Internationale Recht begehen, nicht abstrakte Subjekte. Die Ziele des Internationalen Rechts können nur dann wirkungsvoll sein, wenn die Menschen, die diese Verbrechen begehen, bestraft werden. ... Es wurde angedeutet, dass, wenn es sich bei der Tat um einen Staatsakt handelt, diejenigen, die sie ausführen, nicht persönlich verantwortlich sind, sie werden hingegen durch die Doktrin der Souveränität des Staates geschützt. Nach Ansicht des Tribunals sollte dieser Standpunkt abgelehnt werden. ... Die Grundsätze des Internationalen Rechts, die die Person, die den Staat repräsentiert, unter bestimmten Umständen schützen, dürfen nicht für Handlungen angewendet werden, die vom Internationalen Recht als Verbrechen angesehen werden. Die Initiatoren solcher Handlungen können nicht hinter ihrer amtlichen Stellung Schutz suchen bzw. von der Bestrafung durch ein angemessenes Gerichtsverfahren ausgeschlossen werden.”
Unserer Ansicht nach erkennen die Grundsätze des Internationalen Strafrechts einschließlich des Zivilrechts an, dass die Funktionen eines Staatsoberhaupts keine Handlungen wie Folter, Völkermord und Vernichtung beinhalten dürfen. Es ist anzunehmen, dass jedes menschliche Wesen ein Gewissen hat und sehr genau weiß, dass gewisse Dinge entsetzlich sind und selbstverständlich nicht getan werden dürfen, erst recht nicht unter dem Schutz der Macht eines Amtsinhabers oder unter der Deckung von „Regierungshandlungen”.
(Wird fortgesetzt...)
Teil 1 unter: http://minghui.de/articles/200403/11320.html