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Sächsische Zeitung (Deutschland): Rettung aus dem Arbeitslager (25.01.2005)

Verfolgung. Eine Chinesin erzählt von ihrem Schicksal und dankt Dresdnern für die Hilfe

1. Februar 2005 |   Claudia Schade

Xiong Wei hatte sich gefreut, wieder in Peking zu sein. Es hatte sich alles zum Guten gefügt. Doch dann erlebte die heute 35-jährige einen Albtraum, dem sie nur knapp mit dem Leben entkam. Zu verdanken hat sie ihre Rettung unter anderem dem Engagement vieler Dresdner. 1992 kam die Tochter eines [Chefingenieur] und einer Kinderärztin nach Deutschland. Bis 1999 studierte sie Wirtschaftsingenieurwesen in Berlin. Dort erfuhr sie erstmals von Falun Gong. „Ich war oft krank und kraftlos, war gestresst und sorgte mich um viele Dinge”, erzählt sie.

Innere Harmonie gefunden

Ein chinesischer Mitstudent brachte sie auf die Meditationspraktik. Sie las das Einführungsbuch von Falun Gong, machte die Meditations[...]übungen und stellte fest, dass sie kraftvoller, ruhiger und ausgeglichen wurde. „Ich habe die innere Harmonie gefunden”, sagt sie. „Jetzt verstehe ich mehr vom Leben”. So wurde Xiong Wei zu einer der ersten Falun-Gong-Praktizierenden in Deutschland.

Nach ihrem Studium arbeitete die junge Frau für ein deutsches Unternehmen, das sie in seine Pekinger Niederlassung schickte. Sie freute sich, wieder bei ihrer Familie zu sein, übersetzte Schriftstücke und war Kontaktperson für die Zentrale in Deutschland. Eine Herausforderung.

Doch damals zeichneten sich bereits die ersten Schatten ab. Die chinesische Regierung hatte Falun Gong einige Monate zuvor verboten und verfolgte Praktizierende. Als Xiong Wei einmal einem chinesischen Kollegen von ihren Übungen erzählte, warnte der: „Sprich nie darüber.” Das allerdings ging nicht. Zu sehr sträubte sich Xiong Wei gegen die chinesische Propaganda, die Falun-Gong-Anhänger für Selbstmörder und Mörder ausgab. Also verteilte die engagierte Frau Flugblätter auf der Straße. Auf denen war von Folter durch die Regierung zu lesen. Und von den ersten Todesopfern.

Es war ein schöner, sonniger Tag im Pekinger Winter vor drei Jahren, als es passierte. Drei Polizisten in Zivil stießen Xiong Wei in ein Taxi und fuhren sie zur nächsten Polizeistation. Dort musste sie sechs Stunden in einer Stehzelle verbringen. Die ist so eng, dass man weder sitzen noch liegen kann.

Dann wurde sie in ein Untersuchungsgefängnis gebracht. Dort musste sich die junge Chinesin mit 22 Frauen eine 15 Quadratmeter kleine Zelle teilen. „Tags saßen wir auf Holzbänken, die nachts unser Bett waren”, erinnerte sie sich. Schlaf fand sie kaum. Zu groß war das Gedränge. Ununterbrochen lief eine Überwachungskamera. Zu essen gab es nur matschig gekochten Chinakohl, der von Ungeziefer wimmelte. Und eine einzige Zahnbürste musste für alle 23 Frauen reichen.

Es kam noch schlimmer: Xiong Wei wurde misshandelt, geschlagen, getreten, musste tagelang hocken, durfte nicht schlafen. Die Umerziehungspolizisten wechselten sich ab, redeten im Schichtdienst auf sie ein. Sie solle abschwören, hieß es, und unterschreiben, dass sie nie wieder Falun Gong praktizieren würde. Xiong Wei schrieb statt ihres Namens: „Lieber möchte ich sterben.”

Ohne Prozess wurde sie zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Dort musste sie bis spät in die Nacht Ess-Stäbchen verpacken, später von sechs Uhr morgens bis halb zehn abends Pullover und Handschuhe stricken. Alles war für den Export bestimmt. „Die alten Frauen haben gleichzeitig geweint und gearbeitet”, erinnerte sich Xiong Wei. Auch dort wurde sie schikaniert und gequält.

Sächsische Post an China

Doch während sie litt, lief in Deutschland die Hilfe an. Freunde und Bekannte sammelten Unterschriften für die Freilassung und verteilten Postkarten, die viele direkt an das Frauen-Arbeitslager schickten. Zhao, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Technischen Universität, stellte sich auf das Stadtfest, an den Goldenen Reiter und überall dorthin, wo viele Menschen waren. Wie viele Unterschriften er in Dresden sammelte, weiß er nicht. Mehr als 40000 waren es weltweit.

Am 4. Januar 2004 kam Xiong Wei frei. Sie lebt jetzt wieder in Deutschland. Gestern Abend erzählte sie im Ökumenischen Zentrum von ihrem Schicksal und bedankte sich bei den Dresdnern für die Hilfe.

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Was ist Falun Gong?

§ Falun Gong ist eine Form der chinesischen Meditationspraktiken, die unter dem Obergriff Qigong zusammengefasst werden. Nach einigen Angaben ist die Bewegung weder politisch noch religiös orientiert.
§ Die Praxis ist auf die körperlich-seelische Vervollkommnung gerichtet, verbindet Meditation mit Körper[...]übungen. Sie ähnelt dem Tai Chi.
§ Drei Grundsätze verfolgen die Falun-Gong-Anhänger: Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht. Man soll Gutes tun und sich besonders um das Gemeinwohl kümmern.
§ Seit Juli 1999 ist die Bewegung, die nach eigenen Angaben 70 bis 100 Millionen Anhänger zählt, in China verboten. Sie wird beschuldigt, Aberglauben zu vertreiben und Menschen psychologisch zu manipulieren.
§ Nach dem Verbot wurde laut Menschenrechtsorganisationen mehr als 100 000 Praktizierende in Straf- und Arbeitslagern sowie in psychiatrischen Anstalten inhaftiert. Ende 2004 waren 1128 Foltertote namentlich bekannt.
§ Bei einem Besuch des chinesischen Staatschef Jiang Zemin in Dresden im April 2002 kam es zu einem Handgemenge, als ein chinesischer Sicherheitsbeamter eine Anhängerin bedrängte.