Obwohl die Verbreitung des Internets in China beständig wächst, hat die Kommunistische Partei ihre Möglichkeiten, es zu zensieren, dank westlicher Technologie noch mehr vergrößert. Die Partei träumt seit den revolutionären Tagen von dieser Art der Überwachung. Obwohl das Projekt „Goldener Schild” die größte Einzelinvestition im ideologischen Bereich seit ihrer Machtübernahme in China im Jahr 1949 darstellt, könnte sie auch die letzte große Wette sein, bevor sie kollabiert. Wie die Berliner Mauer mag die Internetbeschränkung technisch einwandfrei sein, jedoch verteidigt sie das nicht zu Verteidigende und möchte das nicht aufrecht zu Erhaltende aufrechterhalten.
Elf Jahre nach dem ersten Anschluss an das World Wide Web werden Chinas Internetzugänge noch immer bewacht, eingebettet in Proxyserver, die sich praktischer und undurchdringlicher als die Berliner Mauer gezeigt haben. Darüber hinaus hat die steigende Nachfrage nach Breitbandverbindungen die Anwendung des 800 Millionen Dollar-Projektes „Goldener Schild” ausgelöst, ein automatisches digitales System der öffentlichen Kontrolle, das den Kommunisten helfen soll, ihre Macht zu erhalten, indem sie das Recht auf Information ihrer Bürger verleugnet.
Das dem ”Goldenen Schild» zugrunde liegende Prinzip ist: ”Wenn die Tugend einen Schritt wächst, wächst das Gegenüber zehn Schritte.” Mit Hilfe von Systemen, die von den westlichen Geheimdiensten entwickelt wurden, hat China ein virtuelles Schwert geschmiedet, das den Weg zur Demokratie bewacht und davon abschreckt.
Internet ”Gateways» kontrollieren und filtern hauptsächlich politische Informationen über China. Die technischen Funktionen beinhalten das Blockieren von Webseiten aus Übersee, die Filterung von Inhalten und Schlüsselwörtern auf Webseiten, die Überwachung von E-Mails und Internetcafes, Angriffe auf PC´s, das Aussenden von Viren und die Verbindung mit den Überwachungssystemen der Öffentlichen Sicherheitsbüros. Anstatt eine neue Ära der Freiheit zu verkünden, ermöglicht das Internet den chinesischen Behörden die perfekte totalitäre Kontrolle.
Seit dem 15. April dieses Jahres hat der ”Goldene Schild» mit seiner fortgeschrittenen Technologie jeden Gedanken und jede Handlung der Menschen, die das Internet verwendeten, überwacht.
Heute ist China das einzige Land der Welt, das in den Gesetzen das Konzept eines „politischen Internetverbrechers” vorsieht. Die Veröffentlichung von Artikeln im Internet kann darauf hinauslaufen, dass man ein „Verbrechen begangen hat” und „radikale Ansichten” können eine Haftstrafe nach sich ziehen. Die wahren Kriminellen, die Angestellten der Firmen Nortel, Cisco und Sun Microsystems, die dieses unheilvolle System der Gedankenkontrolle aufgebaut haben, werden aber eher in die Nähe von chinesischen Fünf-Sterne-Hotels als von Gefängnissen kommen.
Seit der erste chinesische Internetverbrecher, Lin Haiyin, wegen Anstiftung zu subversiven Handlungen im Jahr 2000 eingesperrt wurde, bis zum kürzlichen Arrest des Schreibers, Shi Tao, wurden mehr als 100 unabhängige Intellektuelle eingesperrt, weil sie ihre Ansichten kundtaten. Die Überwachung des Internets steckt auch hinter dem konstanten Anstieg der vom Staat getöteten Falun Gong-Praktizierenden - mehr als 1692 bis zum 18. April.
Internetkommunikation im modernen China steckt voller Köder und Fallen: benutzerfreundliches Design der Webseiten, leicht anzuklickende Icons und symbolisierte Gesichtsausdrücke, schöne weibliche Stars in Online-Werbungen und regelmäßig aktualisierte internationale Nachrichten verführen die Benutzer, daran teilzuhaben und die eigenen Ideen auszudrücken. Aber sobald die Fingerspitzen die Tastatur berühren, existiert die „Küchentisch-Demokratie” des Internets nicht mehr - er oder sie könnten schon in eine Falle getappt sein, weil die Internetpolizei jedes Wort, das eingetippt wird, überwacht.
In einem Land, wo Meinungsfreiheit seit einem halben Jahrhundert nicht existiert, hat das Internet zu Beginn gezeigt, dass es ein Segen ist: die Menschen verwendeten ihren Enthusiasmus, um Webseiten und persönliche Homepages aufzubauen. Nun aber werden diese Menschen vom Öffentlichen Sicherheitsbüro überwacht.
Zum Beispiel wurde die ”Demokratie und Freiheit»-Webseite in den letzten drei Jahren 43 mal blockiert oder abgedreht. Die Berichte über den Tod von Zhao Ziyang, dem reformorientierten Führer der 80er Jahre, der wegen seiner Einwände gegen das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens im Juni 1989 eingesperrt worden war, forderte die Kraft des „Goldenen Schilds” endgültig heraus. Heute ist ein Proxyserver durchschnittlich nur 30 Minuten online und 17.000 Internet Cafes wurden geschlossen. Die Filtertechnologie ist imstande, die E-Mails von 80 Millionen „Netzbürgern” zu blockieren oder abzufangen.
Weil Internet-Chatrooms und persönliche E-Mails für viele Chinesen unentbehrlich geworden sind, hat die Aufstockung der Internetüberwachung auch einen neuen Aufschwung erlebt. Daraus resultiert, dass Denker heutzutage viel höhere Gefahr laufen, ertappt zu werden, weil sie „unsanktionierte” Ideen verbreitet haben, als in den 80er und 90er Jahren, als Untergrundpublikationen der Hauptkanal für die freie Meinung waren.
Ma Jian ist der Autor der bekannten Memoiren „Red Dust” und der Novelle „Der Nudelmacher” und anderer Bücher.
Quelle: http://independent-bangladesh.com/news/jul/02/02072005ed.htm#A6