(Minghui.org) Im Laufe der Geschichte war der Himalaya eine Region mit vielen Kultivierenden. Die Menschen dort führten ein einfaches, bescheidenes Leben. Sie singen und tanzen und verehren das das Buddha-Fa (Gebot). Vor fast einem Jahrtausend gab es in dieser Region einen Kultivierenden mit Namen Milarepa. Während sich die Merheit der Buddhas und Bodhisattwas in vielen Leben kultivierten und viel Elend und Leid durchlebten, bevor sie zur Erleuchtung kamen, erreichte Milarepa in nur einem Leben eine gleichwertig mächtige Tugend. Er wurde später bekannt als der Begründer der Weißen Sekte des Tibetischen Buddhismus.
(Fortsetzung von Teil VII)
Rechungpa fragte: „Meister, wie habt Ihr Askese praktiziert? Wo habt Ihr praktiziert?“
Milarepa antwortete: „Am nächsten Morgen bereitete der Sohn des Lehrers für mich einen Sack geröstetes Gerstenmehl vor und bot mir auch ein Paket mit gutem Essen an. Er sagte: ‚Dies ist für deine Kultivierung. Bitte versprich, uns nicht zu vergessen.‘ Ich nahm das Essen und ging in eine Berghöhle hinter meinem Haus, um zu meditieren. Zum Essen vermischte ich sehr sparsam das Mehl mit Wasser. Nach einer Weile wurde mein Körper schwach, doch meine Kultivierung verbesserte sich erheblich. Auf diese Weise kultivierte ich mich mehrere Monate und verbrauchte schließlich alle Lebensmittel. Mein Körper war zu schwach, um noch weiterzumachen. Ich dachte: ‚Ich brauche etwas Yakbutter von einem Bauern und geröstetes Gerstenmehl. Um mich weiter zu kultivieren, muss ich diesen Körper vor dem Verhungern bewahren.‘
Ich ging den Berg hinunter zu einer nahegelegenen Wiese, wo ich ein Zelt aus Yakwolle sah. Als ich vor dem Zelt stand, fragte ich: ‚Almosenspender, würden Sie einem Yogi etwas Butter geben?‘ Es stellte sich heraus, dass es das Zelt meiner Tante war. Sie erkannte mich an der Stimme. Außer sich vor Wut hetzte sie einen wilden Hund auf mich. Um mich zu verteidigen, warf ich eiligst einige Steine nach ihm. Tante nahm eine Stange, die das Yakwoll-Zelt stützte, und rannte schimpfend auf mich zu: ‚Du Verschwender! Du Feind der Verwandten! Du Dorf-Dämon! Schande über dich! Was tust du denn hier? Nie hätte ich gedacht, dass eine Familie so einen Sohn wie dich haben würde!‘ Sie schimpfte weiter und schwang die Stange, um mich zu schlagen. Ich rannte weg, doch wegen der Unterernährung war mein Körper zu schwach. Ich stolperte über einen Stein und fiel in einen kleinen Bach. Tante schimpfte weiter und begann, mit der Stange auf mich einzuschlagen. Ich mühte mich sehr ab, bis es mir gelang aufzustehen. Mit der Hand auf einem Gehstock gestützt, begann ich, ihr unter Tränen vorzusingen.
Das Mädchen, das mit der Tante aus dem Zelt herausgekommen war, hörte meinen Gesang und konnte ihre Tränen des Mitgefühls nicht zurückhalten. Auch Tante fühlte sich berührt und kehrte zum Zelt zurück. Sie bat das Mädchen, mir einen Lederbeutel mit Butter und Käse zu geben. Hinkend verließ ich das Zelt der Tante und bettelte weiter, Zelt um Zelt. Ich wusste nicht, wer diese Leute waren, doch sie kannten mich alle. Wenn sie mich kommen sahen, schauten sie mich alle aufmerksam an und gaben mir eine Menge gutes Essen. Als ich darüber nachdachte, wie die Tante mich behandelt hatte, fürchtete ich, mein Onkel würde es mir auch schwer machen. So überlegte ich, besser woanders hinzugehen, um Essen zu erbetteln. Mit diesem Gedanken ging ich ins nächste Dorf.
Wer hätte gedacht, dass Onkel vor vielen Jahren in dieses Dorf umgezogen war, weil sein Haus eingestürzt war. Ohne es zu ahnen, ging ich auf seine Tür zu. Als Onkel mich sah, sprang er auf: ‚Du Bastard! Du Geldverschwender! Ich bin so alt und bis auf die Knochen abgemagert. Du aber bist derjenige, auf den ich mein ganzes Leben gewartet habe!‘ Er hob ein paar Steine auf und warf sie nach mir. Eiligst rannte ich weg. Onkel lief hinein und schnappte sich Bogen und Pfeil. Schreiend kam er heraus: ‚Du skupelloser Verschwender! Hast du diesem Dorf nicht genug geschadet?! Hallo, Nachbarn und Verwandte, kommt schnell heraus! Unser Feind ist hier!‘ Als sie den Onkel so schreien hörten, kamen viele junge Leute heraus und halfen ihm, Steine nach mir zu schmeißen. Meinetwegen hatten sie alle früher viele Verluste erlitten. Als ich diese schwierige Situation sah, fürchtete ich, sie würden mich totschlagen. Und so täuschte ich die Geste von Wut vor und schrie: „Meister und Gottheiten! Dieser Kultivierende ist auf Feinde gestoßen, die ihm sein Leben nehmen wollen. Göttliche Wächter, bitte bringt diese Steine mit dunklen Pfeilen zurück! Selbst wenn ich sterbe, die göttlichen Wächter werden nicht sterben!‘
Als sie diese Worte hörten, erschraken alle und hielten Onkel zurück. Einige, die Verständnis für mich hatten, kamen, um bei dem Streit zu vermitteln. Auch die Steinewerfer kamen zu mir und baten um Vergebung. Sie alle gaben mir eine Menge Essen, außer Onkel. Er weigerte sich einzulenken oder mir irgendwelche Almosen zu geben. Ich nahm die Nahrungsmittel an und ging langsam zur Höhle zurück. Ich dachte darüber nach, dass meine Nähe zum Dorf ihnen Ärger und Unbehagen bereite. So fragte ich mich, ob ich diesen Ort nicht bald verlassen sollte.
In dieser Nacht hatte ich einen Traum, in dem ein Omen mir zu sagen schien, ich solle noch einige Tagen bleiben. Das beschloss ich zu tun.
Nach einigen Tagen kam Dzese mit sehr gutem Essen und Wein. Als sie mich sah, nahm sie mich in die Arme und begann laut zu weinen. Schluchzend beschrieb sie mir ausführlich, wie Mutter gestorben war und wie meine Schwester fern von zu Hause herumzog. Als ich von diesen tragischen Erlebnissen hörte, musste auch ich vor Schmerz weinen.
Nach einer Weile hielt ich meine Tränen zurück und fragte Dzese: ‚Bist du immer noch nicht verheiratet?‘
‚Die Leute fürchten deine göttlichen Wächter und keiner wagt, mich zu heiraten. Doch selbst wenn mich jemand heiraten wollte, ich möchte gar nicht heiraten! Du praktizierst ein aufrichtiges Dharma und das ist so wunderbar.‘
Dzese sagte eine Weile nichts und fragte mich dann: ‚Hast du denn einen Plan für dein Haus und Land?‘
Ich wusste, was in ihrem Kopf vorging. Ich dachte bei mir: ‚Meine Abkehr von diesem weltlichen Leben und das Aufgeben der Familie, um einem aufrichtigen Dharma zu folgen, ist ganz und gar das Ergebnis der Barmherzigkeit von Meister Marpa. Dzese soll ein positives Verständnis des buddhistischen Dharmas bekommen. Das wäre das Beste für sie. Sie muss selbst entscheiden, wie sie diese weltlichen Dinge behandelt. Ich sollte ihr das ganz klar erläutern.‘
Ich sagte: ‚Wenn du meine Schwester Peta siehst, gib ihr das Haus und das ganze Land. Vorher kannst du diesen Familienbesitz genießen. Wenn bestätigt ist, dass Peta tot ist, überlasse ich dir Haus und Land.‘
‚Möchtest du das denn nicht für dich?‘
Ich antwortete: ‚Ich kultiviere mich in einer asketischen Praxis und lebe wie eine Ratte oder wie ein Vogel, so dass das Land für mich nicht nützlich ist. Selbst wenn mir alle Ländereien dieser Welt gehören würden, könnte ich bei meinem Tode nichts mitnehmen. Wenn ich in diesem Augenblick alles loslasse, werde ich jetzt und auch in Zukunft glücklich sein. Was ich tue, ist das Gegenteil dessen, was alltägliche Menschen tun. Und so betrachte mich von nun an nicht mehr als einen gewöhnlichen Menschen.‘
Sie fragte: ‚Also missbilligst du alle anderen Menschen, die Dharma praktizieren?‘
‚Wenn ein Mensch das Dharma in der Absicht lernt, berühmt zu werden, wird er Schriften lehren und das Dharma erklären. Er ist dann glücklich, wenn seine Sekte gewinnt und freut sich, wenn andere verlieren. Das heißt, er trachtet nur nach Ruhm und persönlichem Vorteil. Sie tragen lediglich gelbe Roben und behaupten nur, das Dharma zu studieren. Ich bin gegen solche Menschen. Andererseits, wenn die Motive eines Menschen rein und aufrichtig sind, ist es ganz gleich, in welcher Sekte er ist. Er strebt nach Erleuchtung (Bodhi), dann bin ich absolut nicht gegen ihn. Ich missbillige jene, deren Absichten grundlegend unrein sind.‘
Dzese sagte: ‚Nie habe ich jemanden getroffen oder von jemandem gehört, der verarmt oder verlumpt ist wie du und Dharma lernt. Welchem Ableger des Mahayana (Dharma des Großen Fahrzeugs) folgst du?‘
‚Dies ist die heiligste unter allen Methoden. Das bedeutet, die acht weltlichen Interessen aufzugeben und in einem Leben Buddhaschaft zu erlangen.‘
‚Deine Worte und dein Handeln unterscheiden sich von allen anderen Meistern. Es hat den Anschein, dass einer der beiden falsch liegt. Angenommen, beide sind Dharma, so mag ich ihre immer noch lieber.‘
Ich erwiderte: ‚Ich mag jene Meister nicht, die ihr weltlichen Menschen gerne habt. Der Inhalt ihres Dharma ist der gleiche wie von meinem. Wenn man aber eine gelbe Robe trägt und immer noch von weltlichen Interessen getrieben wird, ist es weitgehend sinnlos. Selbst wenn diese Person nicht von den Acht Weltlichen Winden bewegt wird, ist die relative Zeit, die diese Person benötigt, um die Buddhaschaft zu erlangen, sehr unterschiedlich. Du kannst vielleicht diesen Punkt nicht verstehen. Kurz gesagt, wenn du entschlossen sein kannst, wäre es am besten, wenn du danach strebst, Dharma zu praktizieren. Wenn du es nicht kannst, solltest du dich einfach um das Land und das Zuhause kümmern.‘
Dzese antwortete: ‚Ich möchte dein Haus und dein Land nicht. Du kannst es einfach deiner Schwester geben. Ich werde Dharma praktizieren, aber deine Kultivierungsmethode kann ich nicht praktizieren.‘ Nachdem sie dies gesagt hatte, ging sie.
Ein paar Tage danach erfuhr Tante, dass ich das Haus und das Land nicht mehr wollte. Sie war erstaunt und dachte: ‚Obwohl er sagte, er folge den Worten seines Meisters und wolle keinen Besitz, muss ich gehen und schauen, ob das wahr ist.‘ So besuchte sie mich mit Essen und Wein. Als sie mich sah, sagte sie: ‚Neffe, vor ein paar Tagen hatte ich unrecht. Du bist ein Dharma-Praktizierender, bitte habe Nachsicht und vergib mir. Ich möchte dein Land für dich bestellen und dir jeden Monat Pacht zahlen. Es wäre doch schade, wenn dein Land sonst unfruchtbar wäre. Was meinst du dazu?‘
Ich sagte: ‚Großartig! Ich brauche jeden Monat nur ein Khal (etwa 25 bis 30 Pfund) Getreidemehl. Den Rest kannst du behalten.‘ Glücklich und zufrieden ging Tante wieder weg.
Zwei Monate später kam Tante zurück und sagte: ‚Alle Leute sagen, wenn jemand dein Feld bestellt, seien die göttlichen Wächter ärgerlich und würden es verhexen! Bitte verzaubere es nicht!‘
Ich erwiderte: ‚Warum sollte ich es verzaubern? Du hast Tugend, mach dir also keine Sorgen. Kultiviere das Feld einfach und bring mir Nahrungsmittel.‘
Sie sagte: ‚Wenn das so ist, bin ich beruhigt. Kannst du mir das versprechen?‘
Ich dachte: ‚Warum möchte sie, dass ich das tue? Selbst wenn sie schlechte Absichten hat, könnte diese negative Bedingung zu einer annehmbaren werden.‘ Und so gab ich das Versprechen und sie ging freudig weg.
Ich praktizierte in der Höhle weiter. Obwohl ich mein Bestes gab, konnte ich die Tugend der inneren Hitze immer noch nicht erreichen. Als ich überlegte, was ich tun könnte, hatte ich nachts einen Traum. In diesem Traum sah ich mich beim Bestellen eines Feldes, was sehr schwierig war. Ganz gleich, wie sehr ich mich abmühte, es war schwer zu pflügen. Gerade als ich aufgeben wollte, erschien Meister Marpa im Himmel und sagte: Mein Sohn! Arbeite hart beim Pflügen! Solange du mutig voranschreitest, wie schwer es auch ist, wirst du Erfolg haben.‘ Mit diesen Worten pflügte Meister Marpa vorne und ich pflügte hinten. Tatsächlich war das Feld später von gesunden Setzlingen bedeckt.
Glücklich wachte ich auf. Als ich aber weiter darüber nachdachte, begriff ich, dass ein Traum nur eine Manifestation meiner Gewohnheiten ist. Nicht einmal ein alltäglicher Mensch würde ihn ernst nehmen. Wenn ich mich über einen Traum freute, war das nicht zu albern? Trotzdem wusste ich, dass dies ein Omen war. Ich würde bestimmt Tugend erhalten, wenn ich mich weiterhin bemühte voranzukommen.
Damals hatte ich bereits die Absicht, in der Trakar Taso Höhle zu praktizieren (Weißer Pferdezahnfelsen). Dann besuchte mich Tante mit drei Dous geröstetem Gerstenmehl (ein Dou entspricht etwa 10 Liter), einem abgetragenen Mantel, einem Stoffstück und einem Packen Butter und Fett. Ärgerlich sagte sie zu mir: ‚Das ist das, was du für den Verkauf des Landes bekommst. Bitte nimm das und geh an einen fernen Platz, wo ich dich weder sehen noch hören kann, weil die Dorfbewohner alle sagen: ‚Topaga hat unserem Dorf so sehr geschadet und nun hast du ihn zurückgerufen. Vermutlich wird er alle im Dorf töten. Wenn du ihn nicht vertreibst, werden wir euch beide töten, dich und ihn!‘ Und so kam ich extra hierher, um dir das zu sagen. Bitte, es ist das Beste, wenn du an einen fernen Ort gehst. Angenommen du musst hierbleiben, dann werden sie mich vielleicht nicht töten, aber dich werden sie ganz bestimmt töten.‘
Ich wusste, dass die Dorfbewohner so etwas nicht sagen würden. Wäre ich kein wahrer Dharma-Praktizierender gewesen, hätte ich ihr nicht erlaubt, das Land in Besitz zu nehmen, das ich ihr früher versprochen hatte. Obwohl ich versprochen hatte, keinen Zauber zu erwirken, bedeutete das nicht zwangsläufig, sie könne sich mein Land durch Täuschung aneignen. So dachte ich und sagte zu Tante: ‚Ich bin ein Kultivierender und es ist für einen Kultivierenden entscheidend, Demütigungen hinzunehmen. Wenn man Widrigkeiten nicht ertragen kann, wie könnte man das dann als Ertragen von Demütigung bezeichnen? Müsste ich heute Abend sterben, wäre nicht nur dieses Land, sondern alles in dieser Welt nutzlos für mich. Demütigung zu erdulden, ist das Entscheidenste für einen Dharma-Praktizierenden. Und Tante, du bist meine Kontrahentin, um das Ertragen von Demütigungen zu kultivieren. Der Grund, warum ich einem aufrichtigen Dharma begegnen konnte, war auch wegen deiner und Onkels Gefälligkeiten. Um euch die Gefälligkeiten zurückzugeben, gelobe ich, dass ich hoffe, dass ihr beide in Zukunft die Buddhaschaft erlangen werdet. Ich will das Land nicht und will dir auch das Haus geben‘. Dann sang ich ein Lied:
‚Im Vertrauen auf die Gnade des Meisters wohne ich frei und uneingeschränkt in den Bergen;Segen und Unheil der Jünger sind dem Meister wohl bekannt.
Weltliche Menschen werden vom Karma gelenkt, können Leben und Tod nicht entrinnen.Wenn gierig auf weltliche Interessen,gibt es keine Hoffnung, da meine Seele verloren ist.
Weltliche Menschen sind damit beschäftigt, Karma anzusammeln, das führt zu Leiden auf niedrigen Ebenen;Gier und Verblendung führen in eine glühende Flamme.
Streben nach Besitz und Reichtumbringt oft Konflikte und schafft Feinde.Guter Wein ist wie Gift; wer ihn trinkt, findet die Befreiung schwierig.
Meine Tante liebt Geld sehr, gierig sammelt sie unermüdlich Besitz;geizig mit weltlichen Habseligkeiten, endet letztlich als hungriges Gespenst.
Was Tante sagte, ist meist Verbreiten von Geschwätz.Noch mehr solche Worte, bringen wirkliches Leid …
Mein Haus und all mein Landder Tante geschenkt.ich lerne Dharma mit reinem Herzen, Buddhaschaft wird erlangt.
Jenen, die leiden, Erlösung anbieten, da Ungemach durch karmische Einflüsse entsteht.Als Praktizierender baue ich auf Erhöhung, die innere Natur bleibt unbewegt.
Gesegnet mit Barmherzigkeit, bete ich um Unterstützung durch den Meister.Frei und uneingeschränktlebe ich hier in den Bergen.‘
Tante hörte mein Lied und sagte nur: ‚Neffe, Menschen wie du sind wahre Kultivierende!‘ Zufrieden und glücklich stieg sie den Berg hinunter.
Nach diesen Irritationen wurden meine Abscheu und mein Wunsch stärker denn je, diese irdische Welt zu verlassen. Deshalb machte es mir fast nichts aus, das Haus und das Land wegzugeben. Ich dachte daran, sofort nach Drakar Taso zu gehen, um dort zu meditieren. Diese Höhle war der Ort, an dem ich praktizierte, bis ich die Vollendung erreichte. Deshalb wurde sie später von allen ‚Felsenhöhle des Aufbruchs‘ genannt.
Am nächsten Tag nahm ich die Gaben, die ich durch den Landverkauf bekommen hatte, zusammen mit ein paar armseligen Habseligkeiten und ging nach Tagesanbruch nach Drakar Taso, noch bevor irgendjemand aufwachte. Drakar Taso war eine geeignete Felsenhöhle, um darin zu wohnen. Nach meiner Ankunft legte ich ein hartes Stück Filz aus und platzierte darauf eine kleine Matte als Meditationssitz. Nachdem ich alles Nötige arrangiert hatte, sang ich ein feierliches Versprechen:
‚Ich gelobe, hier zu bleiben, bis ich Buddhaschaft erlange.Ungeachtet von Kälte oder Hunger werde ich wegen Kleidung oder Nahrungvon hier nicht weggehen.
Werde ich krank, lasse ich mich nicht behandeln. Erdulde ich Leiden, riskiere ich eher mein Leben, als den Berg zu verlassen, um Medikamente zu holen.
Selbst für einen kurzen Moment keine weltlichen Vorteilefür diesen physischen Körper;nur durch Körper, Sprache und Geist kann man nach großer Erleuchtung streben.
Ich bete aufrichtig zum Meister und allen Buddhas der zehn Himmelrichtungen:Bitte schenkt mir großartige Unterstützung,damit dieses Gelübde keinen Schaden erleidet.
Ich bete aufrichtig zu allen Dakinis zusammen mit göttlichen Wächtern:Steht mir bei dieser schicksalsbedingten Verbundenheit bei,macht dieses Gelöbnis zu meiner ultimativen Bestimmung.‘
Dann gelobte ich: ‚Vor meiner Vollendung und großartigen Verwirklichung werde ich den Berg nicht wegen Nahrung verlassen, selbst wenn ich verhungere; ich werde den Berg nicht wegen Kleidung verlassen, selbst wenn ich vor Kälte sterbe. Ich werde den Berg nicht wegen Medikamenten verlassen, selbst wenn ich durch Krankheit sterbe. Entschlossen gebe ich alles und jegliches auf, was zu diesem Leben und zu der irdischen Welt gehört. Mein Körper, meine Sprache und mein Geist werden standhaft bleiben und ausschließlich nach Buddhaschaft streben. Ich hoffe, der Meister, die Dakinis und die göttlichen Wächter werden mir helfen, dies zu erreichen. Sollte ich dieses Gelübde brechen, würde ich eher sterben als einen menschlichen Körper zu behalten, der nicht aufrichtig Dharma kultiviert. Daher, wenn ich mein Gelöbnis nicht erfülle, hoffe ich, die Buddhas und göttlichen Wächter werden mein Leben sofort beenden. Falls ich sterbe, wünsche ich mir, der Meister könnte mir helfen, als Mensch wiedergeboren zu werden, der ein aufrichtiges Dharma praktizieren kann.‘
Nach diesem Gelöbnis aß ich jeden Tag nur eine kleine Menge geröstetes Gerstenmehl. Tag um Tag praktizierte ich weiter Askese.
Doch selbst mit Hilfe der Mahamudra-Meditation reichte meine physische Kraft wegen des Nahrungsmangels nicht aus und meine Energie und mein Atem waren nicht harmonisch. Dadurch konnte ich das innere Feuer nicht wecken und fühlte mich sehr kalt. Und so bat ich den Meister um Hilfe. Eines Nachts schien ich mit heller Freude Meister Marpa bei einem Anbetungsritual zu sehen, umgeben von vielen Damen. Eine Dame fragte: ‚Was sollte Milarepa tun, wenn er das innere Feuer nicht generieren kann?‘ Meister Marpa antwortete: ‚Er sollte auf diese und jene Weise praktizieren.‘ Dann zeigte er eine besondere Meditationsposition. Als ich aufwachte, folgte ich seiner Anleitung, um die Sechs Feuersiegel (eine Art von spezieller Sitzposition) auszuführen. Nachdem ich die Energie angepasst, meine Atmung unter Kontrolle gebracht und zufällige Gedanken unterdrückt hatte, entspannte sich mein Geist und das innere Feuer wurde erzeugt.
Nach einem Jahr überlegte ich, hinauszugehen und das Dorf zu besuchen. Als ich gerade gehen wollte, erinnerte ich mich an mein Gelübde von früher.
Und so ermahnte ich mich und machte tapfer weiter, Tag und Nacht ohne Pause, um fleißig voranzukommen. Allmählich machte ich immer mehr Fortschritte. So vergingen mehr als drei Jahre.
Obwohl ich nur ein Khal geröstetes Gerstenmehl in einem Jahr verzehrte, wurde es im Laufe der Jahre allmählich weniger. Am Ende hatte ich nichts mehr zu essen. Wenn ich auf diese Weise weiter machte, würde ich verhungern. Ich überlegte: ‚Weltliche Menschen trachten mit diesem kostbaren Menschenkörper unermüdlich nach Geld. Sie freuen sich über jeden kleinen Gewinn und sind über jeden kleinen Verlust unzufrieden. Sie sind so bemitleidenswert. Selbst das Gold von dreitausend Welten sind im Vergleich zum Erreichen von Buddhaschaft nichts. Wenn ich es nicht erreichen kann und diesen menschlichen Körper vergeblich verliere, wäre es wahrlich schade. Ich sollte also gehen, um ein wenig Nahrung zu holen, damit ich weiterleben kann.‘ Dann erinnerte ich mich an mein Gelübde von früher. Sollte ich wohl den Berg hinuntergehen oder nicht? Nachdem ich hin und her überlegt hatte, begriff ich, dass jetzt zu gehen, nicht der Muße diente, sondern um ein wenig Nahrung für meine Kultivierung zu holen. Daher zählte es nicht als Brechen des Gelübdes, sondern als etwas, das ich tun musste. Um etwas Nahrung zum Praktizieren des Dharma zu holen, ging ich nach Drakar Taso.
Dieser Ort war ein offenes Feld, wo ich sehr weit sehen konnte. Die Sonne schien warm, dort war ein klarer Bach und überall gab es üppiges Gras und grüne Nesseln. Als ich das sah, war ich glücklich und dachte: ‚Nun kann ich überleben, indem ich Nesseln esse und nicht mehr wegen Nahrung den Berg hinunter muss.‘ Von da an lebte ich ein kärgliches Dasein, verzehrte Nesseln und setzte meine Meditation fort.
Nach der langen Zeit waren alle Kleider, die ich hatte, abgetragen und nichts mehr davon übrig. Weil ich nur Nesseln aß, war ich abgemagert und meine Haare und Poren waren grün geworden.
Als ich an den Brief des Meisters dachte, legte ich ihn auf den Kopf und fühlte mich sehr glücklich. Obwohl es nichts zu essen gab, fühlte ich mich glücklich und wohl, als hätte ich gerade köstliche Speisen gegessen. Ich fühlte mich sehr behaglich und zufrieden. Ich dachte daran, den Brief zu öffnen und zu lesen. Doch ein Omen zeigte an, es sei noch nicht die Zeit dafür, und so öffnete ich ihn nicht. Auf diese Weise verging ein weiteres Jahr.
Einmal kam eine Gruppe Jäger mit Jagdhunden vorbei. Sie hatten keine Beutetiere finden können und waren irgendwie zum Eingang meiner Höhle gelangt. Als sie mich sahen, erschraken sie und riefen: ‚Bist du ein Mensch oder ein Gespenst?‘
Ich antwortete: ‚Ich bin ein Mensch. Ich bin ein Mensch bei der Kultivierung.‘
‚Wie kommt es, dass du so aussiehst? Warum ist dein Körper ganz grün?‘, fragte einer.
‚Ich habe lange Zeit Nesseln gegessen, deshalb bin ich so geworden.‘
‚Wo ist denn deine Nahrung fürs Praktizieren? Leih uns etwas von deinem Essen und wir werden dir dafür später Geld geben. Wenn du uns kein Essen gibst, werden wir dich töten!‘ Sie durchsuchten die ganze Höhle und drohten mir bösartig.
‚Es sind keine Nesseln mehr da. Wenn ich welche hätte, würde ich sie nicht verstecken. Ich glaube, dass Menschen den Kultivierenden Nahrungsmittel geben und sicherlich nicht den Kultivierenden das Essen rauben.‘
Ein Jäger fragte: ‚Was ist gut daran, Kultivierenden Spenden zu geben?‘
‚Kultivierenden Spenden zu geben, bringt dir Segen‘, erwiderte ich.
Er lachte einfach und sagte: ‚In Ordnung. Großartig! Ich werde kommen und dir eine Spende geben!‘ Er hob mich vom Sitz hoch und warf mich auf den Boden. Dann hob er mich wieder hoch und ließ mich wieder fallen und wiederholte dies noch einmal. Mein magerer und schwacher Körper konnte es natürlich nicht vertragen, so hochgehoben und hingeworfen zu werden, und es tat unbeschreiblich weh. Obwohl sie mich auf diese Weise demütigten, entsprang in meinem Herzen Barmherzigkeit für sie. Ich fand sie unbeschreiblich bedauernswert und konnte meine Tränen nicht zurückhalten.
Ein anderer Jäger, der seitlich saß und mich nicht beschimpft und geworfen hatte, rief: ‚Hey! Tut so etwas nicht! Er ist in der Tat ein asketischer Praktizierender. Selbst wenn er es nicht wäre, macht es keinen Helden aus dir, eine so abgemagerte Person zu tyrannisieren. Und unsere Mägen sind nicht seinetwegen hungrig. Hör auf, solch unvernünftigen Dinge zu tun!‘ Dann sagte er zu mir: ‚Yogi, ich bewundere dich wirklich und störe dich nicht. Bitte beschütze und segne mich.‘ Der Jäger, der mich misshandelt hatte, sagte: ‚Ich habe dir bereits eine Opfergabe gegeben, rauf und runter. Du solltest auch mich segnen!‘ Er lachte und ging.
Ich habe sie nicht mit Zaubersprüchen belegt. Vielleicht war es die Strafe durch die Drei Juwelen [den Buddha, das Dharma und den Mönchsorden des Buddhismus] oder die Vergeltung für seine eigenen bösen Taten, jedenfalls erfuhr ich später, dass ein Richter diesen Jäger bald danach zum Tode verurteilte. Außer dem Jäger, der zu den anderen sagte, sie sollten mich nicht tyrannsieren, erhielten alle anderen schwere Strafen.“
(Fortsetzung folgt)