(Minghui.org) Im Laufe der Geschichte war der Himalaya eine Region mit vielen Kultivierenden. Die Menschen dort führen ein einfaches, bescheidenes Leben. Sie singen und tanzen und verehren das Buddha-Fa (Gebot). Vor fast einem Jahrtausend gab es in dieser Region einen Kultivierenden mit Namen Milarepa. Während sich die Mehrheit der Buddhas und Bodhisattvas in vielen Leben kultivierten und viel Elend und Leid durchlebten, bevor sie zur Erleuchtung kamen, erreichte Milarepa in nur einem Leben eine gleichwertig mächtige Tugend. Er wurde später bekannt als der Begründer der Weißen Sekte des tibetischen Buddhismus.
(Fortsetzung von Teil V)
Milarepa erzählte: „Als ich mich umbringen wollte, hetzten die Lamas hin und her, drängten mich aufzuhören und baten den Meister um Hilfe. Nach einer Weile beruhigte sich Meister Marpa und sagte: ‚Oh, sagt Dakmema, dass sie herkommen soll!‘ Als seine Frau eingetroffen war, fragte der Meister: ‚Wo sind Ngokton Chodor und die anderen Schüler jetzt?‘
Seine Frau antwortete: ‚Als Ngokton deiner Anweisung folgend die Ornamente und den Rosenkranz holen wollte, sah er draußen den Starken Mann, der gerade Selbstmord begehen wollte. Der Starke Mann bat Ngokton, nach seinem Tod die Rituale zur Rettung seiner Seele durchzuführen. Jetzt versuchen alle, den Starken Mann aufzuhalten.‘
Als der Meister dies hörte, brach er in Tränen aus. Er sagte: ‚So ein guter Jünger! Er erfüllt alle Anforderungen eines Jüngers des geheimen Mantrayana [Vajrayana], sehr bemitleidenswert. Ruf sie jetzt alle herein!‘ Daher lief einer der Jünger zu Ngokton Lama und sagte: ‚Der Meister ist zur Ruhe gekommen. Er schickt mich, den Starken Mann hereinzubitten.‘
Als ich das hörte, geriet ich in Panik und unterbrach ihn: ‚Ich fürchte, dass niemand es gern sähe, wenn ich dorthin gehen würde. Mit meinen Sünden bin ich der Gegenwart des Meisters immer noch unwürdig, selbst wenn der Meister gut gelaunt ist. Angenommen, ich würde mich zusammenreißen und hingehen, dann fürchte ich, er würde mich nur wieder beschimpfen und verprügeln.‘ Nach diesen Worten weinte ich bitterlich weiter. Ngokton Lama sagte zu dem Jünger: ‚Geh und erzähl dem Meister, was der Starke Mann gesagt hat. Lass uns herausfinden, ob der Starke Mann den Meister sehen kann. Ich muss hierbleiben und mich um ihn kümmern. Ansonsten gibt es vielleicht einen Zwischenfall.‘ Der Jünger ging zurück und erzählte dem Meister alles in allen Einzelheiten. Auch die Frau des Meisters ging hinein.
Der Meister sagte: ‚Was er sagte, war in der Vergangenheit wahr. Doch die Situation ist jetzt anders, er muss keine Angst mehr haben. Dieses Mal wird der Starke Mann mein Ehrengast sein. Dakmema, bitte ihn herein!‘ Seine Frau kam zu mir und sagte erfreut: ‚Der Meister weiß dich jetzt sehr zu schätzen. Dieses Mal wirst du sein Ehrengast sein. Er bat mich, dich hereinzuschicken. Du musst wissen, dass er mich nicht angeschrien hat. Beeile dich, sei froh und gehe hinein!‘ Ich war skeptisch und konnte meinen Ohren nicht trauen. Benommen ging ich ins Haus.
Nachdem sich alle gesetzt hatten, sagte der Meister: ‚Bezüglich der Geschehnisse in der Vergangenheit war keiner von uns im Unrecht. Ich musste das sündhafte Karma des Starken Mannes bereinigen, daher habe ich ihn bewusst hart arbeiten und Häuser bauen lassen. Dieser Weg Visuddhimagga [der Pfad der Reinigung] konnte seine Sünden reinwaschen. Das ist jetzt vorbei, daher habe ich nichts Falsches getan. Dakmema ist eine Frau und zu weichherzig, zu mitleidsvoll, daher kann man ihr keinen Vorwurf machen. Jedoch war es eine schwere Sünde, den Brief zu fälschen. Auch Ngokton hat nichts falsch gemacht. Du musst mir jedoch die Ornamente und den Rosenkranz zurückgeben, ich werde sie dir später überreichen. Was den Starken Mann anbelangt, so war er begierig, das Dharma zu bekommen. Er schöpfte jede Methode aus, um das Dharma zu erhalten. Daher kann ich ihm wirklich keinen Vorwurf machen.
Dieses Mal wusste Ngokton nicht, dass es sich um einen gefälschten Brief handelte. Daher brachte er dem Starken Mann die Verse bei und führte für ihn Abhisheka [Guanding] durch. So konnte ich den Starken Mann nicht weiter leiden lassen. Daher war ich so wütend und habe deine Bitten nicht beachtet. Bitte sei dir jedoch bewusst, dass dies eine andere Form von Wut ist als die Wut eines alltäglichen Menschen. Alles, was sich in der Vergangenheit gezeigt hat, war für das Dharma. Die Svabhava [Natur des Herzens] sollte sich mit der Bodhi [Erleuchtung] angleichen. Wenn du den Prozess der Erlösung nicht verstehst, solltest du auch kein falsches Verständnis entwickeln. Darüber hinaus ist es so, wenn mein Sohn Starker Mann neun große Leiden, große Qualen erleiden könnte, würde er erlöst werden (das heißt, dass er nicht mehr in der Sechs-Wege-Reinkarnation wiedergeboren würde). Ohne die Fesseln dieser Skandhas [Elemente, welche die psychische und physische Existenz eines Lebewesens bilden] würde er zum Buddha werden. Er hat das noch nicht erreicht, weil eine kleine Menge Karma verblieben ist. Und das wurde voll und ganz durch Dakmemas Weichherzigkeit verursacht.
Wie dem auch sei, der größte Teil seines Karmas wurde während seiner acht großen und zahllosen kleinen Askesen grundsätzlich gereinigt. Ab heute werde ich ihn unterstützen, Abhisheka für ihn durchführen und ihn Verse lehren. Ich werde ihm die geheimsten Grundlagen und Verse weitergeben. Darüber hinaus werde ich ihn versorgen und ihm weitere Unterstützung geben, so dass er sich gut kultivieren kann. Starker Mann, du kannst dich wirklich freuen!‘
Damals dachte ich: ‚Ist das wahr oder ein Traum? Wenn es ein Traum ist, möchte ich niemals aufwachen.‘ Mein Herz war mit unermesslicher Freude erfüllt. Freudentränen brachen aus mir heraus wie aus einer Quelle. Weinend warf ich mich vor dem Meister hin. Die Frau des Meisters, Ngokton Lama, und viele Anwesende dachten, dass der Weg der Karmabeseitigung des Meisters sehr beeindruckend sei. Einige dachten, dass die Stärkung durch den Meister und seine Barmherzigkeit wirklich riesig seien. Einige dachten, dass der Meister einem Buddha gleich sei. Unter Tränen machten sie vor dem Meister Kotau und sagten: ‚Wir möchten Euch von Herzen danken!‘ So beendeten wir das Ritual in fröhlichem Lachen und mit Tränen in den Augen.
An diesem Abend versammelten wir uns, um die Buddhas mit Opfergaben zu verehren. Als wir fertig waren, sagte der Meister: ‚Heute werden wir die Ordinationszeremonie des Pratimokshagelübdes [Gelübde der individuellen Erlösung] für dich abhalten.‘ Nachdem mein Kopf rasiert und meine Kleider gewechselt waren, sagte der Meister zu mir: ‚Dein Name wurde bereits bei unserem ersten Treffen festgelegt. In meinem Traum sah ich Meister Naropa, wie er dir den Namen Mila Dorje Gyaltsen gab.‘ Das wurde mein Dharma-Name. Ich erhielt dann noch die Leihenregeln und die Bodhisattva-Regeln vom Meister.
Anschließend stärkte der Meister meine Schädeldecke der inneren Gaben mit seinen mentalen Fähigkeiten [geheime Kultivierungspraktiken haben die Nutzung dieser Umsetzung des Dharmas in Ritualen bewahrt]. Die Schädeldecke gab plötzlich farbenfrohes, strahlendes Licht ab, das alle bei der Zeremonie Anwesenden sehen konnten. Nachdem Meister Marpa den süßen Tau der Stärkung den angestammten Meistern und Buddhas als Anbetung überreicht hatte, nahm Meister Marpa einen Schluck davon und gab ihn mir. Ich trank alles in einem Zug. Der Meister sagte: ‚Das ist eine großartige Pratitya-Samutpada [bedingtes Entstehen]!‘
Der Meister sagte: ‚Meine inneren Gaben sind einzigartiger und spezieller als die vier traditionellen Arten des Abhisheka (Vasen-Abhisheka, geheimes Abhisheka, Prajnajnana Abhisheka und viertes Abhisheka). Morgen früh werde ich es für dich durchführen.‘
Am nächsten Morgen wurde ein großes Mandala mit 62 Gottheiten des Chakrasamvara (das Rad der höchsten Wonne) darauf für das Abhisheka gemacht. Als er das Mandala enthüllte, zeigte der Meister darauf und sagte: ‚Das ist ein oberflächliches Mandala, das mit Farben der menschlichen Welt gemacht wurde. Schau dir jetzt das wahre Mandala an!‘ Mit diesen Worten zeigte er auf eine leere Fläche. Sofort zeigten sich dort Dutzende von wunderschönen Orten im Chakrasamvara mit herumfliegenden Dakinis (himmlische Tänzerinnen) und anderen Lebewesen. Der Meister und die Buddhas sagten zusammen: ‚Dein Name wird Shepa Dorje sein.‘
Dann gab mir der Meister das Geheime Tantra weiter, nannte mir die Verse für die Meditation und zeigte mir die geheimen Techniken. Er legte seine Hand auf meinen Kopf und sagte: ‚Sohn, bei unserer ersten Begegnung wusste ich, dass du ein Jünger mit innerer Qualität bist. In der Nacht vor deiner Ankunft hatte ich einen Traum. Dieser prophetische Traum zeigte mir, dass du im Buddha Dharma zum Erfolg kommen wirst. Dakmema hatte einen ähnlichen Traum mit Botschaften der Dakinis. Ich habe so getan, als würde ich das Feld pflügen, um dich zu begrüßen, weil du ein Jünger bist, der mir von den Dakinis gebracht wurde.
Du hast den Wein ausgetrunken, den ich dir gegeben habe, und hast das ganze Feld gepflügt. Das war ein Omen, dass du die Verse erhalten und die Erleuchtung erlangen wirst. Später gabst du mir eine Kupferlampe mit vier Griffen als Opfergabe. Das zeigt, dass du einer meiner vier wichtigsten Jünger werden wirst. Die Lampe war nicht beschädigt und nicht verrostet. Das bedeutet, dass du keine Sorgen haben und die Wärme von Kundalini genießen wirst. Die Lampe war leer, das bedeutet, dass du in Zukunft Nahrungsknappheit haben und Hunger leiden wirst. Ich habe sie mit Öl gefüllt und angezündet, um dir und deinen Jüngern zu helfen, vom Dharma zu profitieren. So können Jünger mit Entwicklungspotential den Kern der Verse zu schätzen wissen. Ich habe dagegen geklopft, um einen lauten Ton zu erzeugen, damit sich dein Ruf weit und breit verbreiten wird. Um dein Karma zu beseitigen, ließ ich dich Häuser zur Beruhigung, zur Anreicherung, zum Magnetisieren und zur Unterwerfung bauen. Ich habe dich vom Platz der Abhisheka vertrieben und dir viele unangemessene Dinge angetan, doch du hattest keinerlei schlechte Gedanken. Das bedeutet, dass du und deine Jünger Selbstbewusstsein, Fleiß, Weisheit, Güte und andere Qualitäten haben werdet – Qualitäten, die Jünger haben sollten. Mit diesen Eigenschaften und ohne Gier kann man Schmerzen ertragen und bis zur Erleuchtung standhaft bleiben. Das Dharma, das ich dir mündlich weitergebe, wird gedeihen und grenzenlos wachsen. Sohn, du solltest dich freuen!‘
So gab mir der Meister seine Prophezeiungen, Ermutigung, seinen Trost und sein Lob. Von da an begab ich mich freudig auf den Weg der Kultivierung im aufrichtigen Dharma.“
Rechungpa fragte: „Meister, nachdem Ihr die Verse erhalten habt, habt Ihr Euch sofort in den Bergen kultiviert oder seid Ihr noch bei Meister Marpa geblieben?“
Milarepa antwortete: „Der Meister bat mich, ohne Sorgen weiter bei ihm zu praktizieren. Außerdem gab er mir sehr gute Kleidung und Essen. Er sagte zu mir, dass ich in einer Höhle über einer Klippe in einem nahegelegenen Dorf in Ruhe meditieren solle.
Während ich in der Höhle meditierte, setzte ich eine angezündete Yak-Butter-Lampe auf meinen Kopf. Ich saß still, ohne mich zu bewegen oder den Sitz zu verlassen, bis die Lampe ausging. So meditierte ich elf Monate lang den ganzen Tag und die ganze Nacht.
Eines Tages kamen der Meister und seine Frau mit gutem Essen für ein monatliches Verehrungsritual. Am Eingang der Höhle sagte der Meister: ‚Sohn, du hast jetzt genau elf Monate lang meditiert. Ich freue mich, dass du den Platz warmgehalten hast und fleißig geblieben bist. Wie wäre es, wenn du jetzt die Tür aufbrichst und herkommst, um mit mir zu sprechen? Du kannst dich ausruhen und deine Erkenntnisse mit mir teilen.‘
Als ich die Worte des Meisters in der Höhle hörte, sagte ich: ‚Ich muss mich nicht ausruhen, aber ich werde herauskommen, weil es der Meister verlangt.‘ Als ich die Tür gerade aufbrechen wollte, zögerte ich, weil ich dachte, dass es schade wäre, auf diese Weise aufzuhören. Durch dieses Zögern verlor ich noch mehr den Mut, die Tür aufzubrechen. Die Frau des Meister kam und fragte: ‚Sohn, brichst du die Tür auf?‘
Ich antwortete: ‚Mir fehlt der Mut, es zu tun.‘
Sie sagte: ‚Du machst dich nicht im Geringsten schuldig, wenn du herauskommst. Das geheime Mantrayana ist so tiefgründig. Der Meister ist ungeduldig, daher verpasse diese Schicksalsgelegenheit nicht. Ich werde dir helfen, die Tür aufzubrechen, damit du herauskommen kannst.‘ Mit diesen Worten zerstörte sie die Tür zur Höhle und ich ging mit ihr und dem Meister zum Tempel zurück.
Nachdem ich den Tempel betreten hatte, sagte der Meister: ‚Nun lass uns als Vater und Sohn das Ritual Abhisamaya [Verständnis des Dharma] durchführen. Dakmema, bitte bereite die Opfergaben vor.‘ Während der Zeremonie fragte der Meister: ‚Sohn, was ist jetzt dein Verständnis von den Versen? Hast du irgendwelche aufrichtigen Erkenntnisse erlangt, die du mit mir teilen kannst? Nimm dir Zeit und erkläre sie mir.‘
Ich kniete mich mit aneinandergelegten Händen vor den Meister und sang unter Tränen sieben Lieder als Opfergabe.
Nachdem ich die sieben Opferlieder gesungen hatte, sagte ich zum Meister: ‚Der Meister und seine Frau, meine Eltern, ihr seid nicht anders als Vajradhara. Ich bin unermesslich dankbar für Eure unvergleichliche Güte und Stärkung. Euer Jünger spürt Eure unvergleichliche Gutherzigkeit. Erlaubt mir einige meiner beschränkten Verständnisse vor Euch zu präsentieren. Ich bete, dass Ihr auf Eurer Ebene Euch erbarmt und mir aus Eurer Güte heraus zuhört.
Unser Geist und Körper ist aus zwölf karmischen Gründen entstanden, zu denen auch die Unwissenheit zählt. Einerseits besteht unser Körper aus Blut, Fleisch und dem Geist, der von den karmischen Beziehungen geführt wird. Andererseits ist der menschliche Körper für diejenigen mit Tugend und guter angeborener Grundlage ein unbezahlbar kostbares Schiff, das den Fluss zwischen Leben und Tod zur Seite der Befreiung bereist. Für diejenigen, die Missetaten und Verbrechen begehen, ist es eine Jauchegrube der Versuchung und der unglücklichen Schicksale. Je nachdem ob man Gutes oder Schlechtes tut, kann derselbe menschliche Körper nach oben steigen oder nach unten fallen. Das führt zum Unterschied zwischen Glück und Schmerz. Ich habe erkannt, dass die Entscheidung, die man an so einer Kreuzung fällt – nämlich wie man den menschlichen Körper nutzt – in Wirklichkeit die wichtigste Sache des Lebens ist.
Alles Leid hat seinen Ursprung im Meer der Reinkarnation. Es ist sehr schwierig durchzukommen. Glücklicherweise wurde ich heute gesegnet, indem mich der barmherzige Meister anleitet und mir in dem überwältigenden, grenzenlosen Meer von Leben und Tod den Weg zeigt.
Außerdem habe ich erkannt, dass ein Anfänger, der den Buddhismus oder Daoismus lernt, zuerst Zuflucht in Buddha, dem Dharma und der Sangha (Versammlung) suchen sollte. Dann erst sollte er das Dharma studieren. Wenn man das Dharma lernt, ist es am wichtigsten, dem Meister zu folgen, da der Meister die Quelle allen Glücks ist. Man sollte alle Anweisungen des Meisters befolgen. Darüber hinaus sollte man den Samaya (Geboten) folgen, denn auch sie sind entscheidend.
Unter der Vielzahl an Lebewesen sind Menschen sehr selten; unter der unzählbaren menschlichen Bevölkerung findet man dann noch seltener jemanden, der das Dharma hören, den Weg zur Erlösung erkennen und die Reise des Bodhi gehen kann. Das bedeutet, dass die Chance, unter den zahllosen Lebewesen eine Schicksalsgelegenheit zu bekommen, um das Buddha Dharma lernen zu können, noch kleiner ist. Es ist so schwer, es zu erhalten!
Obwohl wir das Glück haben, einen menschlichen Körper zu besitzen, können wir die Sicherheit unseres Lebens nicht garantieren. Niemand kennt den Tag seines Todes – den Tag, an dem wir diesen kostbaren menschlichen Körper verlieren. Daher sollten wir diesen menschlichen Körper zu schätzen wissen.
Alles in diesem Kosmos folgt dem Gesetz von Ursache und Wirkung. Gute Taten führen zu guten Ergebnissen und schlechte Taten führen zu negativen Konsequenzen. Wenn man das Gesetz von Ursache und Wirkung kennt, wird einem die Wurzel von Glück und Leid, Intelligenz und Dummheit, Reichtum und Armut klar. Das alles ist vergänglich. Diese guten und schlechten Konsequenzen können sich ändern. Das bedeutet, dass Tugend aus guten Taten, Glück aus harter Arbeit, familiäre Beziehungen aus Gefühlen sowie Freude und Begeisterung kurzlebig sind. Mit anderen Worten: Sie werden sich ändern und verschwinden, sie sind nicht zuverlässig. Im Vergleich zum Leid ist Freude dünn gesät. Die Schmerzen auf den drei unteren Ebenen der Reinkarnation sind sogar noch unvorstellbarer. Während der endlosen Reinkarnationen im grenzenlosen Ozean von Leben und Tod haben alle Lebewesen dieses Leid und diese Trübsale durchlebt. Wenn ich an die grenzenlose Müdigkeit und das Leiden denke, widme ich mich natürlich von ganzem Herzen dem Dharma, der Sehnsucht nach Erlösung und der Entschlossenheit, die Buddhaschaft zu erlangen.
Ein reiner Körper und ein reiner Geist sind die Basis, das Buddha Dharma lernen zu können. Daher ist der erste Schritt, die Pratimoksha Gelübde abzulegen. Danach lernen wir allmählich das aufrichtige Dharma. Man sollte die Gebote der Ausbildung wie seine eigenen Augen beschützen, so dass sie niemals beschädigt werden oder zerfallen. Die eigene Erlösung zu erstreben, ist jedoch nur ein Weg des Hinayana [Kleines Fahrzeug]. Um Mitleid mit allen Lebewesen zu haben und sie aus dem Ozean des Leidens zu erlösen, braucht man größere Barmherzigkeit und Bodhi. Die Gunst und Zuneigung aller Lebewesen sind wie ein elterliches Band; wie kann ich sie zurückzahlen? Daher sollte alle Güte auf dem Weg zum Bodhi allen Lebewesen zurückgezahlt werden. Daher behandle ich alle Lebewesen als meine Eltern. Ich gelobe, Buddha zu werden, die große Güte des Bodhi zu erlangen und alle Gebote der Bodhisattva zu lernen.
Mit der Grundlage eines Großen Fahrzeugs wie diesem kann man ins Vajrayana Mantra eintreten. Mit einem reinen Geist folgt man einem fähigen Meister, empfängt die Lehren der inneren Natur der Reinkarnation und erhält vier Arten Abhisheka zur Verkündigung und Weisheit. Der tiefen Einsicht durch das Abhisheka folgt stufenweise klare Konzentration, fleißig in der Kultivierung bleiben und die Selbstlosigkeit erhalten. Mit den Buddha-Lehren und rationalen Gedanken würde man nach dem Selbst suchen, es aber nicht finden. Ein Erleuchteter folgt dem Prinzip der Selbstlosigkeit. Mit dieser Selbstlosigkeit kann man in der Meditation die aufrichtige Ruhe erlangen, falsche Gedanken vermeiden und verhindern, dass sie wiederkehren. Mit dieser ruhigen Geisteshaltung kann man regungslos meditieren. Im Laufe der Monate und Jahre kann man dann in die Stille eintreten.
Auf diese Weise fährt man mit einem aufrichtigen Willen fort, der der Schläfrigkeit entgegenwirkt. Die Erleuchtung nimmt allmählich zu. Es ist klar und deutlich und einfach eine Manifestation der eigenen Entschlossenheit. Manche betrachten es daher als ein heiliges Phänomen, da ein alltäglicher Mensch so ein besonderes Phänomen kaum erleben kann. Nur nach dem ersten der zehn anfänglichen Stufen kann ein Mensch diese realen, heiligen Szenen sehen. Das bedeutet, dass er das Dharma lernen kann, indem er diesen Szenen folgt. Andere Szenen, die man in der Meditation sieht, zum Beispiel das Bild des Buddha, sind nur kleine Prüfungen auf dem Weg und haben keinen besonderen Wert.
Man sollte erst ein gütiges Herz entwickeln, bevor man mit oder ohne visuelle Szenen in die Meditation eintritt; dabei geht es nur um die Lebewesen. Bevor man eine besinnliche Praxis beginnt, behält man einen reinen Geist bei. Schließlich gibt man all den Verdienst und die Tugend an die Lebewesen zurück. All dies ohne Unterscheidung zu tun, ist der heiligste Weg. Ich verstehe diese Prinzipien nun vollständig!
Hungernde Menschen wissen, dass Nahrung ihren Hunger stillen kann. Doch das ‚Wissen‘ darum ist an sich bedeutungslos und kann den Hunger nicht stillen. Um das Problem zu lösen, muss man wirklich etwas essen. Genauso kennt man vielleicht einige Theorien über die Leere, doch dieses Wissen ist nutzlos. Man muss sie erleben und anschließend die Konzentration mit Weisheit verstärken. Für Yogis bedeutet Leere keine Erklärung, keine Unterscheidung und Einheit mit Tantra-Praktizierenden. Das ist mein begrenztes Verständnis. Um es vollständig zu praktizieren, sollte man Müdigkeit und Hunger erleben und wie ein toter Körper alle Gefühle aufgeben. Man kann dem Dharma fleißig folgen, wenn man keine Angst vor dem Tod und keine Störungen in seinem Geist hat. Vor dem unvergleichlich barmherzigen Meister und seiner Frau habe ich, Milarepa, keine materiellen Gaben oder Geld. Ich kann Ihnen nur das Praktizieren und die Errungenschaften meines ganzen Lebens widmen. Indem ich dem Dharma folge, werde ich mich dem heiligen Reinen Land hingeben als meine Gabe an Euch.‘
Dann sang ich ein weiteres Lied.
Der Meister hörte mir bis zum Ende zu und sagte sehr glücklich: ‚Sohn, hast du diese Ebene erreicht?‘ Auch seine Frau freute sich sehr: ‚Mein Sohn, du hast hart gearbeitet und große Weisheit erlangt.‘ Dann sprachen wir lange über das Praktizieren. Später kehrte ich zur Meditation in die Höhle zurück.
Der Meister ging einmal nach Ü, um das Dharma zu verbreiten. Nachdem er eines Abends ein Anbetungsritual beendet hatte, erinnerte er sich an einige Teile von Meister Naropas Lehren, über die er sich im Unklaren war. Dakinis gaben ihm einige Hinweise, daher beschloss der Meister, nach Indien zu gehen, um Meister Naropa dort zu treffen.
Einige Tage, nachdem Meister Marpa nach Lhodrak zurückgekehrt war, hatte ich einen Traum. Eine junge Dame in Grün kam zu mir. Sie trug seidene Kleider mit Knochenornamenten. Ihre Stirn zwischen ihren Augenbrauen und ihre Hüfte waren mit gelbem Elixier verziert. Sie sagte zu mir: ‚Sohn, du hast eine lange Zeit praktiziert. Jetzt hast du die Mahamudra-Verse und das Essentielle der sechs Dharma-Methoden erhalten, um die Buddhaschaft zu erreichen. Dennoch hast du die Verse der Ausscheidung und der Übertragung noch nicht erhalten, um die Buddhaschaft sofort erreichen zu können, richtig?‘ Ich dachte: ‚Diese Dame sieht wie eine Dakini aus. Ist sie real oder ein Dämon? Es ist egal, denn mein Meister kennt das gesamte Buddha Dharma. Wenn das eine Anleitung von Dakinis ist, muss ich sie vom Meister lernen.‘ Daher öffnete ich den Eingang der Höhle, verließ sie und trat vor den Meister. Der Meister sagte: ‚Sohn, warum meditierst du nicht mehr in Einsamkeit? Wozu bist du herausgekommen? Erzähl es mir bitte. Sei Dämonen gegenüber wachsam!‘
Ich antwortete: ‚Letzte Nacht hat mich eine Dame im Traum besucht. Sie sagte zu mir, dass ich das Dharma der Ausscheidung und der Übertragung suchen solle. Ich weiß nicht, ob es ein Dämon oder eine Prophezeiung der Dakinis war. Wenn es eine Dakini war, möchte ich die Verse der Ausscheidung und Übertragung lernen.‘ Der Meister dachte eine Weile ruhig nach und sagte dann: ‚Das kommt von den Dakinis, es war kein Dämon. Als ich Indien verließ, sprach Meister Naropa von den Versen der Ausscheidung und der Übertragung. Ich wollte sie lernen. Der Meister bat mich, nach den Schriften zu suchen. Wir beide suchten einen ganzen Tag lang. Es gab viele Bücher über ähnliche Themen, aber die über Ausscheidung und Übertragung haben wir nicht gefunden. Als ich vor mehreren Tagen in Ü war, bekam ich einen ähnlichen Hinweis, dieses Dharma zu suchen. Darüber hinaus gibt es noch einige Verse, die mir der Meister erklären muss. Daher habe ich mich entschlossen, wieder nach Indien zu gehen und Meister Naropa zu treffen.‘ Jeder, der das hörte, bat ihn, nicht zu gehen: ‚Meister, bitte denkt wegen Eures hohen Alters darüber nach!‘ Der Meister hörte nicht darauf, er war entschlossen zu gehen. Er tauschte die Gaben der Jünger gegen eine Schüssel aus Gold, die er mitnahm, als er nach Indien ging.
Damals befand sich der verehrte Naropa in der Meditation. Meister Marpa fragte herum und riskierte sogar sein Leben, ohne ihn zu finden. Er sah jedoch ein Zeichen, dass er Meister Naropa treffen könne, und fuhr daher fleißig fort, ihn zu suchen. Schließlich traf er ihn in einem Wald. Der Meister bat Naropa, nach Pullahari zu kommen, um das Dharma der Ausscheidung und der Übertragung zu lehren. Meister Naropa fragte: ‚Weil du darüber sprichst: War es deine eigene Idee oder eine Prophezeiung der Buddhas?‘
Meister Marpa antwortete: ‚Das war nicht meine Idee, sie wurde mir gegenüber auch nicht von einer Dakini erwähnt. Ich habe einen Jünger namens Topaga. Eine Dakini gab ihm die Prophezeiung, danach fragte er mich danach. Deshalb bin ich jetzt nach Indien gekommen.‘
Der verehrte Naropa war überrascht: ‚Ah, das ist sehr selten. In einem dunklen Ort wie Tibet habe ich keinen so großen Weisen erwartet, der mit seinem Licht wie die Sonne auf die schneebedeckten Berge scheint.‘ Dann drückte er seine Hände zusammen, legte sie über seinen Kopf und fing an zu singen:
‚In der Dunkelheit des Nordens,scheinen die schneebedeckten Berge wie die Sonne;wenn ich den Namen Topaga höre,grüße ich ihn mit aufrichtigem Herzen.‘
Nachdem er gesungen hatte, drückte er erneut seine Hände zusammen, schloss seine Augen und verbeugte sich dreimal in Richtung Norden bis zum Boden. Die Bäume in dieser Region verbeugten sich mit ihm – ebenfalls dreimal. Selbst heute verharren die Berge und Bäume nahe Pullahari in dieser Haltung, so als ob sie sich nach Norden Richtung Tibet lehnen und nicken würden.
Der verehrte Naropa lehrte Meister Marpa daraufhin die Verse der Dakinis und das vollständige Dharma der Ausscheidung und der Übertragung.
Um die karmische Beziehung zu berücksichtigen, enthüllte der verehrte Meister Naropa ein Mandala. Meister Marpa verbeugte sich zuerst vor den Gottheiten des Mandala, anstatt vor Meister Naropa. Daher wusste Meister Naropa, dass Meister Marpas Kinder nicht lange leben werden, während sein Dharma wie ein großer Fluss unendlich weitergegeben werden und für immer in der Welt fortbestehen würde.
Nachdem Meister Marpa das Dharma erhalten hatte, kehrte er nach Tibet zurück.
So wie Meister Marpas Kotau vor den Gottheiten des Mandala bereits angekündigt hatte, starb sein Sohn früh. Ein Jahr nach dem Tod seines Sohnes kamen alle Jünger zusammen. Einige Hauptjünger fragten Meister Marpa: ‚Meister, zwischen Euch und anderen Buddhas gibt es keinen Unterschied. Weil uns Lebewesen die Tugend fehlt, scheint Ihr auch gealtert zu sein. Wie sollen wir unser mündlich weitergegebenes Dharma in der Zukunft verbreiten? Kann uns der Meister eine Prophezeiung geben?‘
Der Meister sagte: ‚Ich habe die Lehren mündlich von Meister Naropa bekommen. Es wird laut Omen im Traum und aufgrund der Schicksalsverbindung gedeihen. Meister Naropa hatte auch gute Prophezeiungen. Bitte geht wieder beten und erzählt mir morgen von den Omen in eurem Traum.‘ Am folgenden Tag berichteten alle Jünger von ihren Träumen. Sie waren alle sehr gut, trafen jedoch nicht ganz die Vorhersage.
Ich trat vor den Meister und beschrieb meinen Traum von den vier Säulen detailliert.
Meister Marpa freute sich sehr und sagte: ‚Dieser Traum ist ein großartiges Omen. Dakmema, bitte bereite das beste Essen und die Opfergaben vor!‘ Nachdem seine Frau das Essen vorbereitet und sich die Hauptjünger versammelt hatten, sagte der Meister: ‚Mila Dorje Gyaltsen hatte gestern Nacht so einen Traum. Das kommt nicht oft vor.‘ Die Hauptjünger baten den Meister daraufhin, das Omen zu erklären. Er stimmte freudig zu und sang ein Lied, um den Traum zu deuten.
Als Meister Marpa fertig war, freuten sich die Jünger sehr.
Der Meister brachte den Jüngern daraufhin viele geheime Verse bei. Tagsüber erklärte er den Jüngern das Dharma und bat sie, nachts zu meditieren. Das Bestreben aller wuchs und ihre Sinneswahrnehmungen verbesserten sich.
Eines Nachts dachte der Meister, dass er jeden Jünger entsprechend seiner karmischen Situation unterrichten sollte, während er das Mutter Tantra Abhisheka für die Jünger ausführte. Am Morgen des folgenden Tages visualisierte der Meister die abhängige Entstehung und wusste danach, dass Ngokton Chodor das Hevajra Dharma verbreiten, Meton Tsonpo das klare Licht praktizieren und Tsurton Wange der Übertragung des Bewusstseins folgen, während ich mich auf Tummo (die innere Hitze) konzentrieren würde. Darüber hinaus hatte jeder von uns seine eigene karmische Situation und Zukunft.
Nach dieser Visualisierung brachte der Meister Ngokton Lama die Verkündung von sechs Parametern und vier Modi sowie zusätzliche Verse bei. Er gab ihm außerdem Naropas sechs Ornamente, einen rubinfarbenen Rosenkranz, Ritualien und Erklärungen der Schriften in Sanskrit, damit er in Zukunft das Dharma verbreiten konnte.
Tsurton Wange brachte der Meister die Öffnung der Fontanel (Stelle, an der sich die Schädelknochen eines Säuglings noch zusammenfügen müssen) zur Übertragung des Bewusstseins bei – eine Methode, bei der man wie ein Vogel im Himmel fliegen kann. Er gab ihm außerdem Naropas Haar, Nägel, Nektarpillen und die Fünf-Buddha-Krone, damit er die Menschen mit der Übertragung des Bewusstseins retten kann.
Meton Tsonnpo brachte der Meister die Methoden bei, wie man nachts strahlendes, klares Licht abgibt. Dann gab er ihm Naropas Vajra-Stößel, -Trommel und -Knochenbecher. Er ermahnte ihn, sich auf Bardo [den Zustand zwischen Tod und Wiedergeburt] zu konzentrieren.
Mir gab der Meister die Lehren der inneren Hitze, es war ähnlich, wie Feuer aus Feuerholz zu machen. Danach gab er mir den Hut des verehrten Maitripa und den Mantel von Naropa und sagte: ‚Du solltest in den verschneiten Bergen praktizieren.‘
Nachdem sie die Prophezeiung des Dharma beendet hatten, kamen die Lamas, um dem Opferritual beizuwohnen. Als sich alle nacheinander gesetzt hatten, sagte der Meister: ‚Ich habe euch Verse auf der Grundlage eurer karmischen Situation gelehrt. Diese sollten die Grundlage für euch sein, euer Dharma zu verbreiten, damit ist euch eine erfolgreiche Zukunft gewiss! Mein Sohn ist bereits gestorben. Ich habe euch wie meine Söhne behandelt und euch alle Verse und Stärkungen gegeben. Ihr solltet fleißig sein und sicherstellen, dass ihr mit eurer Arbeit zum Wohle der Lebewesen erfolgreich seid!‘
Später kehrten alle Hauptjünger dorthin zurück, wo sie hergekommen waren. Der Meister sagte zu mir: ‚Du bleibst noch ein paar Jahre hier. Ich werde dir Abhisheka und spezielle Verse geben. Du kannst deine Eindrücke und dein Verständnis mit mir teilen. Beeile dich und geh meditieren!‘ So kehrte ich in die Höhle zurück, in der Meister Naropa die Prophezeiungen gemacht hatte.
Der Meister und seine Frau gaben mir oft ihr Essen und Gegenstände aus Opfergaben. Sie waren sehr freundlich zu mir.“
(Fortsetzung folgt)