AP, 07.06.2002: Fischer hält nichts von «Anti-Terror-Rabatt»
Berlin (AP) - Außenminister Joschka Fischer hat Tendenzen kritisiert, Menschrechtsverletzungen unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung zu legitimieren. Bei der Vorstellung des sechsten Menschenrechtsberichts der Bundesregierung sagte er am Freitag in Berlin, einen «Anti-Terror-Rabatt» dürfe es nicht geben. Gleichzeitig verteidigte er die Abkehr von der Politik des «kritischen Dialogs» der Vorgängerregierung, mit der Defizite bei den Menschenrechten oft verhüllt worden seien. Der Grünen-Politiker strich das Engagement für die Menschenrechte als einen der wichtigsten Orientierungspunkte für die Außenbeziehungen der rot-grünen Bundesregierung heraus. Der 387 Seiten umfassende Bericht greife mit der erstmaligen Einbeziehung auch anderer Politikbereiche thematisch weiter als die Studien der vergangenen Jahre. Die Terrorangriffe vom 11. September stellen laut Fischer die Menschenrechtspolitik vor enorme Herausforderungen. Menschenrechte seien kein Luxusgut oder «Orchideenthema», das immer dann in den Hintergrund rücke könne, wenn die Stunde angeblich wichtigerer Themen wie der Sicherheitspolitik oder der Terrorismusbekämpfung schlage. Weltweit sei die universelle Gültigkeit der Menschenrechte noch lange nicht von allen Staaten akzeptiert, sagte Fischer. Immer wieder gebe es Versuche, individuelle Rechte zu relativieren oder sie unter den Vorbehalt von Ideologien, Religionen oder kulturellen Eigenheiten zu stellen. Er verteidigte auch die Abkehr vom «kritischen Dialog» der Vorgängerregierung, die der Wahrung der Menschenrechte in anderen Staaten dienen sollte. Fischer sagte, er sei beispielsweise sehr für den Dialog mit dem Islam. Der müsse zu einer «offenen und hoffentlich konstruktiven Auseinandersetzung» führen, sonst werde die Kritik verhüllt und der Dialog mache keinen Sinn. Als Beispiel verwies der Außenminister auf seine massive Kritik an China auf der Genfer Menschenrechtskonferenz am 20. März, die eine verärgerte Reaktion Pekings nach sich gezogen habe. Darin erkannte er einerseits die neuen Freiheiten an, die das Regime gewähre. Andererseits forderte Fischer China namens der Bundesregierung erneut auf, die Repressionen gegen Mitglieder von christlichen Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften zu beenden, die Unterdrückung ethnischer Minderheiten einzustellen und insbesondere den Tibetern und Uighuren substanzielle Autonomierechte zu gewähren. Außerdem verlangte er von China, Falun-Gong-Anhänger nicht weiter zu verfolgen, ein Moratorium bei der Vollstreckung der Todesstrafe mit dem Ziel ihrer endgültigen Abschaffung zu verhängen sowie den Pakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte bald zu ratifizieren. Besorgnis über die Lage der Menschenrechte gebe es darüber hinaus wegen der Krisen in Tschetschenien und um Kaschmir sowie in Nordkorea, im Nahen- und Mittleren Osten sowie in Afrika. Als neues Menschenrechtsthema nannte Fischer die Bio-Ethik. Die Fortschritte auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften berührten unmittelbar das Wesen und das Selbstverständnis des Menschen. Die neuen Technologien könnten zur Klonierung und Selektion von Menschen sowie zur Diskriminierung einzelner auf Grund ihrer genetischen Disposition führen.
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