F.A.Z.: Falun-Gong-Anhänger in Frankfurt - Frau Chens stiller Protest

07. August 2008 Die zierliche Asiatin sitzt unbewegt, die Beine im Lotussitz überkreuzt. Aus einem Kassettenrekorder dringen meditative, fernöstliche Klänge. Doch Xiaolin Chen meditiert nicht nur, um ihren Geist zu sammeln, fast täglich im Abgasdunst der Mainzer Landstraße. „Chinesen, tretet aus der KP aus - eine neue Epoche wird die Menschenrechte zurückbringen”, steht auf zwei Stofffahnen. Auf der anderen Straßenseite liegt, abgeschirmt von einem Zaun und bewacht von Polizisten, das Chinesische Generalkonsulat.

Xiaolin Chen demonstriert gegen die Kommunistische Partei China (KP) und die Unterdrückung der Anhänger der buddhistischen Lehre Falun Gong in China. Falun Gong, eine buddhistische Schule zur Kultivierung von Körper und Geist, stellt sich als eine unpolitische Meditationsbewegung dar. In Deutschland wird die Lehre den neuen religiösen Bewegungen zugeordnet. Die Anhänger sind seit Jahren in China schweren Verfolgungen ausgesetzt.

Auch in Deutschland (hier in Stuttgart) protestieren Falun-Gong-Anhänger immer wieder gegen die Verfolgung ihrer Gruppierung in China

Falun-Gong-Anhänger in Irrenanstalt eingeliefert

Geboren in Guangdong, genannt „Kanton Provinz”, am südlichsten Zipfel Chinas, wuchs Xiaolin Chen mit ihrem Bruder und ihrer kränklichen Mutter auf, der Vater verstarb früh. Die Mutter arbeitete als Beamtin bei der KP China und half der Polizei, die Ein-Kind-Politik der Regierung auch bei der Landbevölkerung durchzusetzen. „Die Polizei hat schwangere Frauen ins Gefängnis oder ins Krankenhaus gebracht, wo sie zu Abtreibungen im fünften oder gar im achten Monat gezwungen wurden”, erzählt Chen und stockt kurz. „Ich habe es damals nicht hinterfragt. Ich bin ja so aufgewachsen.”

Gut erinnern kann Chen sich auch an den Parteieintritt im Alter von fünf Jahren, den kommunistischen Politikunterricht in der Schule und das Straßenschrubben mit harten Bürsten vor Staatsbesuchen. Als Teenager wurde sie Zeuge, wie ein Falun Gong praktizierender Nachbar plötzlich als Geisteskranker in die Irrenanstalt eingeliefert wurde. Er kehrte nie zurück.

Flucht nach Frankfurt

Eine öffentliche Versammlung von Tausenden Falun-Gong-Anhängern am 25. April 1999 in Peking führte zum Verbot der Bewegung und Verfolgungen durch die chinesische Regierung. Auch Chens Mutter, die nach etlichen Arztbesuchen und Therapien bei Falun Gong Halt gefunden hatte, musste eine schriftliche Erklärung abgeben, dass sie kein Falun Gong mehr praktiziere. „Sonst hätte ich mein Studium als Wirtschaftsprüferin nicht beenden können”, sagt Chen.

In China habe Xiaolin Chen ständig einen unsichtbaren Druck auf sich gespürt. „Wir waren einfach nicht frei.” Sie machte ihr Examen - und verließ China im Winter 2000. Als ihr Flugzeug am Frankfurter Flughafen landete, war es klirrend kalt. Sie konnte kein einziges Wort Deutsch. Doch Xiaolin Chen hatte nur einen Gedanken: „Jetzt bin ich frei.”

Es war Zufall, dass sie kurz darauf im Frankfurter Grüneburgpark Falun-Gong-Praktizierende entdeckte. „Ich war überrascht, dass Deutsche eine verbotene chinesische Meditationsform ausübten und wollte wissen, was Falun Gong wirklich ist”, berichtet Chen. Sie habe das von Falun-Gong-Gründer Li Hongzhi verfasste Buch „Zhuan Falun” gelesen - es habe ihr Leben verändert.

Mysteriöser Organhandel

Vor etwa zwei Jahren hörte sie von der kanadischen Studie von David Kilgour und David Matas über illegale Organentnahme bei inhaftierten Falun-Gong-Anhängern. Die Autoren behaupten, Mitglieder der Falun-Gong-Organisation würden gezielt und ohne jemals einen Gerichtssaal von innen gesehen zu haben verhaftet und anschließend umgebracht, um ihnen Organe entnehmen zu können. China gab vor einiger Zeit zu, tatsächlich Organe von Hinrichtungsopfern zu verwenden. „Man darf diese Aussage allerdings nicht sofort auf Falun Gong beziehen”, warnt China-Experte Dirk Pleiter von Amnesty International. „Fakt ist, dass China noch kein funktionierendes Organspendesystem gefunden hat und dass in diesem Bereich große Undurchsichtigkeit vorherrscht.”

Repressalien gegen die Familie in China

„Ich war schockiert über die Studie, habe geweint, konnte es nicht glauben”, sagt Xiaolin Chen. Dann habe sie selbst in großen Krankenhäusern in Schanghai angerufen. „Ich habe gesagt, dass ich gerne ein Organ von Falun-Gong-Praktizierenden transplantiert bekäme, und habe die Information bekommen, dass ich nur vorbeikommen solle - in einer Woche würden alle Wünsche erfüllt werden.”

Seither könne sie nicht anders, erzählt die 33 Jahre alte Chinesin in fast perfektem Deutsch, als für die Rechte der Falun-Gong-Anhänger in China zu demonstrieren. Sie verteilt Flugblätter, spricht mit Passanten und reist zu Versammlungen in ganz Europa. Probleme mit der Polizei hatte sie in Frankfurt noch nicht: „Sie leben in einem freien Land, Frau Chen”, habe einmal ein Polizist zu ihr gesagt. „Sie dürfen hier demonstrieren.” Nur auf die andere Straßenseite habe sie nach den jüngsten Tibet-Konflikten umziehen müssen. Ungefährlich ist ihr Protest dennoch nicht. In China gibt es Sippenhaft. „Eine Bekannte von mir demonstriert ebenfalls hier, und ihre Familie wird in China ständig von der Polizei belästigt”, berichtet die Asiatin.

„Ich habe meine Heimat verloren”

Zurück zu gehen kommt für Frau Chen allerdings nicht in Frage. „Mein Pass ist sicher längst registriert”, sagt sie und lächelt müde. „Mein Bruder hat geheiratet, meiner Mutter ging es schlechter - und ich konnte nicht zu ihnen. Das ist schade.” Reiste sie nach China, träfe sie vielleicht das Schicksal vieler Falun-Gong-Anhänger: Arbeitslager, Gefängnis, Umerziehung. Durch ihre Emigration hat Frau Chen zwar Sicherheit gewonnen, aber einen Teil ihrer Identität eingebüßt. „Ich lebe in einem freien Land, aber ich habe meine Heimat verloren.”

Text: F.A.Z.
Bildmaterial: dpa

Quelle: http://www.faz.net/s/RubFAE83B7DDEFD4F2882ED5B3C15AC43E2/
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