Spiegel Online, 07.07.2003: Ein bisschen Liberalität für den Duftenden Hafen
Die Demokratiebewegung Hongkongs hat einen wichtigen Sieg errungen. Eine Massendemonstration hat die Machthaber offenbar beeindruckt. Ein umstrittenes Sicherheitsgesetz wurde erst mal auf Eis gelegt.
Nachdem am vorigen Dienstag eine halbe Million Menschen in der Innenstadt der südchinesischen Finanzmetropole gegen die Regierung demonstriert hatten, verschob Verwaltungschef Tung Cheehwua am Sonntagabend nach einer Sondersitzung des Kabinetts die Verabschiedung des heftig umstrittenen Sicherheitsgesetzes. Die letzte Lesung war ursprünglich für den 9. Juli vorgesehen.
Die Entscheidung kommt überraschend. Offensichtlich fürchtete der Statthalter Pekings in der ehemaligen britischen Kronkolonie, sogar Abgeordnete aus den Reihen der Peking treuen Parteien könnten unter dem Eindruck des riesigen Protestes gegen das Paragraphenwerk stimmen oder sich zumindest der Stimme enthalten. Der Chef der Liberalen Partei, James Tien, hatte in den letzten Tagen verlangt, das Vorhaben aufzuschieben. Tien gehört sonst zum regierungstreuen Lager.
Gleichzeitig beharrte Tung aber darauf, das Gesetz zu einem späteren Zeitpunkt durchzusetzen. Hongkongs Verfassung verpflichte ihn, mit einem Edikt die "Nationale Sicherheit zu schützen", erklärte er.
Tatsächlich verlangt Artikel 23 des Hongkonger Miniverfassung (Basic Law), die von Briten und Chinesen vor der Übergabe Hongkongs an die Volksrepublik 1997 ausgehandelt worden war, ein Anti-Umsturzgesetz. Peking will damit verhindern, dass der "Duftende Hafen", wie Hongkong auf chinesisch heißt, Basis von Dissidenten und religiösen Bewegungen wird.
Regularien sehen strenge Strafen unter anderem gegen Landesverräter und jene Personen vor, die die Sicherheit des Staates unterminieren, das Volk zum Verrat oder "gewalttätiger öffentlicher Unordnung" aufhetzen oder die Staatsgeheimnisse besitzen und veröffentlichen.
Kritiker befürchten, mit dem Gesetz könnten Menschen- und Bürgerrechte ausgehebelt werden. Weiterer Einwand: Es verletzte das von Peking versprochene Prinzip "Ein Land - zwei Systeme", das die Volksrepublik der Sieben-Millionen-Einwohner-Metropole nach der Rückgabe 1997 versprochen hatte.
Hongkongs Regierung will in den kommenden Wochen versuchen, ihr Anliegen der Öffentlichkeit besser zu erklären. Wann die Regierung das Projekt wieder in Angriff nimmt, ist noch unklar.
Der Rückzieher Tungs bedeutet nach Ansicht von Beobachtern in Hongkong einen schweren Gesichtsverlust des unbeliebten Verwaltungschefs und seiner für die Sicherheit verantwortlichen Ministerin, Regina Ip. Die Machthaber in Peking und ihre Statthalter in der Finanzmetropole waren nach der Demonstration offenbar tief erschreckt. Etliche einflussreiche Hongkonger Politiker eilten kurz darauf nach Peking, um sich zu beraten.
Schon am Sonnabend hatte Tung nachgegeben und drei wichtige Konzessionen eingeräumt. Organisationen, die von Peking verboten worden sind, dürfen - im Gegensatz zur ursprünglichen Fassung des Sicherheitsgesetzes- in Hongkong weiter existieren.
Journalisten, die vermeintliche Staatsgeheimnisse veröffentlichen, werden nicht mehr automatisch verurteilt, sondern haben das Recht, die Publikation mit dem allgemeinen "öffentlichen Interesse" zu verteidigen. Zudem darf die Polizei nicht, wie geplant, uneingeschränkt Wohnungen von Verdächtigen durchsuchen.
Pekings Funktionäre hielten sich bislang bedeckt. Während die chinesischen Medien den eindrucksvollen Massenprotest zunächst totgeschwiegen hatten, verriet am Wochenende die Online-Ausgabe des KP-Organs "Volkszeitung", was die Genossen denken: Sie nannte die Hongkonger Oppositionellen eine "Clique der Demokraten", die schon seit Jahren aktiv seien, "Fakten zu fälschen", "soziale Konflikte anzuheizen", "Unzufriedenheit zu schüren" und "die Massen sowie die internationale Meinung irrezuleiten".
Nur eine "kleine Zahl" der Demonstranten, so die "Volkszeitung, sei in Wahrheit gegen die Rückgabe Hongkongs an das Mutterland vor sechs Jahren. Die anderen hätten lediglich ihre Unzufriedenheit wegen "wirtschaftlicher Schwierigkeiten" und "fallender Einkommen" gezeigt.
Hongkongs Bürger dürfen derzeit nur 24 der 60 Abgeordneten des Gesetz gebende Rats (Legco) direkt wählen, die anderen werden von der Regierung bestimmt oder von Berufsgruppen entsandt. Hongkongs Verwaltungschef wird von einem besonderen Gremium gewählt, das zum größten Teil aus Peking treuen Mitgliedern besteht.
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