The Weekly Standard: Chinas grausige Organernte (Teil I)
Die ganze Welt schaut weg. Warum?
11/24/2008, Band 014, Ausgabe 10
Bangkok
(Minghui.de) Der Jeepfahrer mustert uns beim Einstieg von Kopf bis Fuß. Meine wissenschaftliche Mitarbeiterin ist eine kecke, junge, gesund aussehende Israelin, so muss ich derjenige mit dem Geld sein. Er fragt mich in gebrochenem Englisch: „Mädchen?”
„Nein, keine Mädchen. Bringen Sie uns zu...”
„Ladyboy? Kickboxen?”
Nein, kein Ladyboy und kein Kickboxen, nein danke. Ich mag ein dickbäuchiger verschwitzter weißer Kerl mittleren Alters sein, doch ich bin hier, ja eigentlich bin ich auf meinem Weg zu einer Chinesin, die in einer Seitengasse wohnt. Sie wird mir Vertrauliches über Erniedrigung. Folter und Misshandlung erzählen. Und das wirklich Beschämende daran ist, dass ich nach ungefähr 50 Interviews mit Flüchtlingen aus chinesischen Arbeitslagern, nicht einmal mehr so genau zuhören werde. Ich bin in Bangkok, weil Falun Gong-Praktizierende, die Angehörigen der von China geächteten Bewegung, die den Buddhismus zum Leben erweckt, sich normalerweise in Richtung Süden bewegen, wenn sie aus China entkommen sind. Diejenigen ohne Pass schlagen sich auf Motorrädern und Seitenstraßen durch Burma. Einige wurden von Sachbearbeitern der Vereinten Nationen interviewt, doch nur wenige wurden von der Presse interviewt, obwohl sie nach dem Entkommen aus chinesischen Arbeitslagern begierig, ja sogar sehr entschlossen sind, ihre Geschichte zu erzählen. Bei dieser Chinesin in der finsteren Seitengasse möchte ich meine Fragen von dem weglenken, worüber sie reden möchte (Verfolgung und Spiritualität). Ich möchte sie befragen zu etwas, woran sie sich fast nicht mehr erinnern wird, an einen scheinbar harmlosen Teil ihrer Erlebnisse: einen Nadelstich, ein Herumtasten an ihrem Unterleib, einer Röntgenaufnahme, einer Urinprobe, medizinischen Untersuchungen, die einheitlich bei der Bewertung von Gefangenen für Organraub durchgeführt werden.
Diese Untersuchungsreihe fing bei mir vor über einem Jahr in einem Gemeindezentrum in Montreal an, als ich einem kräftigen Chinesen mittleren Alters mit Namen Wang Xiaohua zuhörte. Er war ein sanft sprechender ganz normal aussehender Mann, bis auf eine violette Verfärbung, die sich auf seiner Stirn entlang zog.
Er erinnerte sich an folgende Szene: Ungefähr 20 männliche Falun Gong-Praktizierende standen vor leeren winterlichen Feldern flankiert von zwei bewaffneten Eskorten. Statt sie hinauszugeleiten, damit sie Felsen ausgruben und Dünger verteilten, sammelten die Polizisten sie zu einer Art Exkursion zusammen. Es war fast wie ein Feiertag. Wang hatte nie zuvor die Gesichter dieser Gefangenen gesehen. In jenem Yunnan Zwangsarbeitslager Nr. 2 wurden Falun Gong-Häftlinge sehr genau als Minderheit in jeder Zelle verteilt, damit sie von den abgebrühten Kriminellen verdroschen werden konnten.
Falun Gong-Praktizierenden war es nicht erlaubt, sich offen zu unterhalten. Als nun die Wärter den Zug in Bewegung setzten, hatte Wang das Gefühl, dass die Gruppe in das Schritttempo einer sanft abwandernden Herde fiel. Er schaute auf die rote Erde hinab, die streifenweise mit Stroh und dem Abfall der Menschen durchsetzt war, bis zu den öden Bergen am Horizont. Was auch immer vor ihnen lag, Wang wusste, dass sie keine Angst hatten
Nach 20 Minuten sah er ein großes leuchtendes Bauwerk in der Ferne. Wang dachte, dass es vielleicht ein Krankenhaus sei. Der Sommer 2001 war brutal in Südchina. Nachdem Wang monatelang in der brennenden Sonne gearbeitet hatte, war sein rasierter Kopf schlimm infiziert worden. Vielleicht wurde es schon ein bisschen besser, oder vielleicht hatte er sich einfach daran gewöhnt. Später fiel ihm nur noch der warme ranzige Gestank seiner modernden Kopfhaut auf, wenn er aufwachte.
Wang durchbrach die Stille und fragte einen der Polizisten, ob das da vorne das Lagerkrankenhaus sei. Der Wärter antwortete abgeklärt: „Du weißt, dass wir uns so sehr um euch kümmern. Daher bringen wir euch zu einer ärztlichen Untersuchung. Schaut nur, wie gut ihr von der Partei behandelt werdet. Normalerweise gibt es so etwas überhaupt nicht in einem Arbeitslager.”
In dieser Einrichtung stellten sich die Praktizierenden in einer Reihe auf und jedem von ihnen wurde eine große Blutprobe entnommen. Dann gab es noch eine Urinprobe, ein Elektrokardiogramm, Röntgen des Unterleibs und eine Augenuntersuchung. Als Wang auf seinen Kopf zeigte, murmelte der Arzt so etwas wie, dass das normal sei und verlangte nach dem nächsten Patienten. Als die Gefangenen zurückgingen, fühlten sie sich erleichtert, ja sogar ein bisschen übermütig wegen dieser Sache. Trotz all der Folter, die sie ausgehalten hatten, und der brutalen Bedingungen, war die Regierung gezwungen, sich darum zu kümmern, dass die Falun Gong-Praktizierenden gesund waren. Sie bekamen nie irgendwelche Ergebnisse dieser medizinischen Untersuchung mitgeteilt, so Wang, bei dem plötzlich ein kleines Lächeln durchbrach. Er konnte nicht anders, er hatte überlebt.
Ich sprach mit Wang im Jahr 2007. Dies war nur eines von über 100 Interviews für ein Buch über den Konflikt zwischen Falun Gong und dem chinesischen Staat. Wangs Geschichte ist nicht neu. Zwei prominente kanadische Menschenrechtsanwälte, David Kilgour und David Matas, behandelten seinen und andere Fälle in ihrem „Bericht zu den Anschuldigungen des Organraubs von Falun Gong-Praktizierenden in China”, welcher in gedruckter Form und im Internet 2006 veröffentlicht wurde.
Bei meinem Interview mit Wang zog ich meinen Hut vor den umfangreichen Untersuchungen, die von anderen bereits gemacht worden waren. Ich erwartete weder, dass sich Wangs Schema bei weiteren Interviews wiederholte, noch, dass ich herausfinden würde, dass Organraub über Falun Gong hinaus verbreitet war. Ich irrte mich.
Falun Gong wurde Ende der 1990er Jahre in China stürmisch populär. Aus verschiedenen Gründen, vielleicht weil die Anzahl der Mitglieder dieser Bewegung größer war als die der Kommunistische Partei Chinas (und sich mit ihr überschnitt), oder weil die Altlast des Ereignisses vom Platz des Himmlischen Friedens ungelöst war, oder weil 70 Millionen Menschen plötzlich nach einem Weg zum Himmel (einem anderen als Geld) suchten, beschloss die Partei, Falun Gong zu eliminieren. Im Jahr 1998 annullierte die Partei still und heimlich die Gewerbescheine von Personen, die Falun Gong praktizierten. Im Jahr 1999 kamen dann die Massenverhaftungen, Beschlagnahmungen von Vermögen und Folterungen. Als dann die Bewegung im Jahr 2000 damit antwortete, dass sie offener aktivistisch wurde, am Platz des Himmlischen Friedens demonstrierte und Fernsehsignale auf dem Festland anzapfte, stieg die Anzahl der Toten in die Höhe und erreichte 2005 fast 3.000 bestätigte Fälle von Tod infolge Folter, Hinrichtung oder Versäumnispflicht.
Es hieß, dass sich zu jedem Zeitpunkt immer 100.000 Falun Gong-Praktizierende irgendwo im chinesischen Strafsystem befanden. Wie die meisten Zahlen aus China waren dies grobe Schätzungen, die durch das Geratter von Behauptung und Gegenbehauptung noch unzuverlässiger wurden. Doch eine Sache entzieht sich jeder Meinungsverschiedenheit: Die Unterdrückung von Falun Gong ist außer Kontrolle geraten. Verhaftungen, Verurteilungen und was auch immer in den Internierungslagern, psychiatrischen Einrichtungen und Arbeitslagern stattfand, folgte keinerlei gängigen rechtlichen Vorgehensweisen oder Zügelungen. Als Akt des passiven Widerstands oder einfach nur, um Schwierigkeiten für ihre Angehörigen zu vermeiden, fingen viele Falun Gong-Praktizierende an, der Polizei ihre Namen vorzuenthalten und gaben sich einfach als „Praktizierende” oder „Dafa-Jünger” aus. Wenn sie nach ihrer Heimatprovinz gefragt wurden, dann sagten sie „das Universum”. Über diese Namenlosen, deren Familien keinerlei Anhaltspunkte für eine Suche nach ihnen haben oder sich für sie einsetzen können, gibt es wahrscheinlich überhaupt keine Aufzeichnungen.
Anfang 2006 tauchten aus Nordost-China die ersten Anschuldigungen eines groß angelegten Organraubs auf: operative Entfernung von Organen, während die Gefangenen noch am Leben sind, jedoch im Lauf des Vorgangs getötet werden. Diese Anklagen lösten einen stillen Sturm im Lager der Menschenrechtler aus. Doch diese Anklage war nicht weit hergeholt.
Harry Wu, ein chinesischer Dissident, der die Laogai-Stiftung gründete, erbrachte bereits umfangreiche Beweise, dass der Staat nach der Exekution von offiziell zum Tode verurteilten Kriminellen deren Nieren, Lebern, Augenhornhäute und andere Körperteile an Chinesen und Ausländer, eigentlich an jeden, der den Preis bezahlen kann, verkauft. Diese Praktik fing in der Mitte der 1980er Jahre an. Um 1995 herum hatte sich dieses Geschäft unter Zuhilfenahme des in China entwickelten Anti-Gewebeabstoßungsmedikaments entwickelt. Mobile Organraub-Lieferwagen, die von der Armee gefahren werden, werden routinemäßig gleich außerhalb des Tötungsgebiets bepackt und stellen sicher, dass die Militärkrankenhäuser die erste Wahl haben. Dies war kein striktes Geheimnis. Ich sprach mit einem ehemaligen chinesischen Polizisten, einem einfachen Mann vom Lande. Dieser erzählte, dass er einem Freund eines Verurteilten einen Gefallen getan hatte. Er hatte für ihn die Hintertür eines solchen Lieferwagens aufgemacht und den Leichensack aufgezogen. Der Brustraum der Leiche war sauber leer geräumt.
Taiwanische Ärzte, die sich um Transplantationen für Patienten auf dem Festland kümmerten, erklärten, dass es keine Übersicht über das System gab, keine zentrale chinesische Datenbank der Organe und keine Krankenakte der Spender, keine Bürokratie, um medizinische Gewinne zu mindern. So war die wirkliche Frage, ob chinesische Krankenhäuser bei einem Kostenpunkt von 62.000 Dollar für eine frische Niere irgendeinen Körper, den sie in die Hände bekommen konnten, verschwenden würden?
Was jedoch anfangs das meiste Feuer bei den Skeptikern entzündete, war die Behauptung, dass den Menschen die Organe vor ihrem Tode entnommen werden. Für alle Falun Gong-Agierenden war diese Behauptung jedoch nicht so haarsträubend. Jeder medizinische Experte weiß, dass die Wahrscheinlichkeit der Abstoßung bei einem Organempfänger viel niedriger ist, wenn er ein lebendes Organ erhält. Jeder Transplantationshändler wird bestätigen, dass die Käufer für so ein Organ mehr bezahlen. Bis vor kurzen bewarben hochkarätige chinesische Transplantationszentren ganz offen die Verwendung von Lebendspendern auf ihren Webseiten.
Dabei hilft, dass der Gehirntod in China rechtlich nicht anerkannt ist. Lediglich wenn das Herz zu schlagen aufhört, dann wird der Patient als tot betrachtet. Das bedeutet, dass Ärzte einen Gefangenen in den Kopf schießen können, sozusagen operativ, dann entfernen sie die Organe, bevor das Herz zu schlagen aufhört. Oder sie können eine Narkose verabreichen, die Organe entfernen und dann, wenn die Operation fast beendet ist, eine Herzstillstand auslösende Droge verabreichen, die neueste Methode. Bei beiden Methoden wurde der Gefangene exekutiert und Organraub ist der Spaß nebenbei. In Wirklichkeit sind dies laut allen Ärzten, mit denen ich in letzter Zeit sprach, gut bewanderte Praktiken auf dem derzeitigen Festland, der Organraub von lebenden zum Tode verurteilten Gefangenen im Zuge der Exekution ist Routine.
Das wirkliche Problem war, dass die Anschuldigungen von Falun Gong, dem ständig ungeplanten Kind aus der Dissidentengemeinschaft, kamen. Anders als die Studentenführer vom Platz des Himmlischen Friedens und andere chinesische Gefangene des Gewissens, die sich im westlichen Exil niederließen, marschierte Falun Gong zu einer deutlich vernehmbaren chinesischen Trommel. Mit seinen Wurzeln in der chinesischen Tradition des chinesischen Kernlandes hätte Falun Gong nie eine Version der Freiheitsstatue gebaut, um damit für CNN zur Parade aufzuziehen. Tatsächlich konnte von westlichen Beobachtern wahrgenommen werden, dass die Öffentlichkeitsarbeit von Falun Gong einige der Grobheiten der kommunistischen Parteikultur transportierte: eine Wahrnehmung, dass Praktizierende zur Übertreibung neigten, Folterschautafeln direkt aus der Kulturrevolutionsoper schufen, um Slogans anstelle von Fakten auszuspeien.
Aus verschiedenen Gründen, einige davon stichhaltig und einige beschämend, wurde die Glaubwürdigkeit von verfolgten Flüchtlingen im Westen oft angezweifelt. Im Jahr 1939 beschrieb ein Beamter des britischen Außenministeriums, höflich für die Mehrheit sprechend, die Juden als vielleicht nicht vollkommen vertrauenswürdige Zeugen. Während des „Großen Sprungs nach vorne” strömten ausgemergelte Flüchtlinge aus dem Festland nach Hongkong und jammerten über ausgestorbene Dörfer und Kannibalismus. Nüchterne westliche Journalisten ignorierten diese Berichte als subjektiv und befangen.
Das Jammern der Anhänger der spirituellen Erwecker zählt offensichtlich noch weniger als die Zeugenaussagen eines Bauern oder eines Juden. Als Falun Gong die Ehefrau eines Arztes in der Öffentlichkeit bekannt machte, die angab, dass ihr Mann, ein Chirurg, tausende von Augenhornhäuten von Praktizierenden in einem nordöstlichen chinesischen Krankenhaus namens Sujiatun entfernt hatte, wurde dieser Anklage mit wachsamen Skeptizismus aus der Dissidentengemeinde und mit fast vollständiger Stille von Seiten der westlichen Presse (mit Ausnahme dieses Magazins und National Review) begegnet.
Als Falun Gong-Komitees sich zu einer vollständigen Untersuchungsmethode aufmachten, stellten die kanadischen Anwälte Kilgour und Matas die sich anhäufenden Beweise in ihrem Bericht zusammen. Dieser enthält Abschriften von Mitschnitten von Telefonanrufen, in denen chinesische Ärzte bestätigten, dass ihre Organspender junge, gesunde Menschen seien, die Falun Gong praktizierten; schriftliche Zeugenaussagen aus dem Festland über Erfahrungen von Praktizierenden in Haft; eine Explosion bei Organtransplantationsaktivitäten, die mit dem Anstieg von Inhaftierungen von Falun Gong zusammenfallen, internationale Kunden, die nur eine Woche auf eine Gewebeeignungsprobe warten müssen (in den meisten Ländern warteten Patienten mehr als ein Jahr). Schließlich verglichen Kilgour und Matas die Anzahl der Exekutionen in China (laut Amnesty International im Wesentlichen konstant) mit der Zahl der Transplantationen. Es wurde eine Diskrepanz von 41.500 ungeklärten Fällen in einem Zeitraum von fünf Jahren festgestellt.
Dieser Bericht wurde nie Punkt um Punkt widerlegt, trotzdem blieb die Mehrheit der Menschenrechtsaktivisten auf Distanz. Da die Anklagen von Falun Gong verdächtig waren, waren auch die Aussagen ihrer Helfer verdächtig. Transplantationsärzte, die angeben, dass sie Falun Gong-Organspender im Keller haben? Sie sagten einfach, was potentielle Organspender hören wollten. Schriftliche Zeugenaussagen von Praktizierenden? Sie wurden von Aktivisten vorbereitet. Der Anstieg von Organtransplantationen? Vielleicht ist dies nur bessere Berichterstattung. Die Diskrepanz zwischen Exekutionen und Transplantationen? Eben, wie ein respektierter Menschenrechtsgelehrter mich fragte, warum Kilgour und Matas die Schätzungen der Hinrichtungszahlen in China von Amnesty International nahmen, die andeuten, dass diese Zahl in den letzten 10 Jahren konstant blieb? Sogar Amnesty gibt zu, dass ihre Zahlen vielleicht eine starke Untertreibung darstellen. Vielleicht ist da gar keine Diskrepanz.
Warum traten schließlich keine wirklichen Zeugen, ein Arzt oder eine Krankenschwester, die wirklich an Falun Gong-Praktizierenden operierten, auf? Menschenrechtsanwälte argumentierten, dass es ohne solche Beweise (obwohl die persönliche Glaubwürdigkeit, sogar mit unterstützenden Dokumenten, immer auch verrissen werden kann) keinen Grund geben würde, diese Geschichte ernst zu nehmen. Es war sicherlich nicht genügend Grundlage für Präsident Bush, um bei seiner Menschenrechtsrede am Abend der Olympischen Spiele von Peking Organraub zu erwähnen.
Kritiker wiesen auf rechtliche Diskussionspunkte hin. Aber das tat auch die chinesische Regierung: Frisch nach dem Bekenntnis im Jahr 2005, dass Organe von gewöhnlichen zum Tode verurteilten Gefangenen entnommen werden, und nach der Veröffentlichung ihres vorhersehbaren Dementis des Organraubs an Falun Gong, erließ Peking plötzlich im Juli 2006 ein Gesetz, welches den Verkauf von Organen ohne Einwilligung des Spenders verbietet.
Drei Dinge geschahen. Der Organnachschub wurde spärlicher, die Preise verdoppelten sich und die Transplantationen gingen weiter. Außer, wenn seit 2004 ein dramatischer kultureller Wandel vor sich ging (damals wurde in einem Bericht aufgezeigt, dass nur 1,5 Prozent der transplantierten Nieren von Verwandten gespendet werden), müssen die Organe, die verkauft werden, immer noch von irgendwoher kommen. Nehmen wir einmal an, dass es Gefangene sind (das denken die taiwanischen Ärzte) und theoretisieren, dass das neue Gesetz ein Signal war: Holt euch Einverständniserklärungen und beendet vorerst den Organraub an Falun Gong.
Und die Kritiker hatten bei einer Sache genau recht: Exaktheit ist eine Illusion. Kein mitgeschnittenes Gespräch mit einem Arzt vom Festland ist unbestreitbar. Alle Zeugen aus China haben immer verschiedene Motive. Und dann kann außerdem keine einzige Zahl aus China, nicht einmal die aus dem letzten Abschnitt, als definitiv angesehen werden.
Tatsächlich muss gesehen werden, dass sich die gesamte Untersuchung noch in einer sehr frühen, ja sogar primitiven, Phase befindet. Wir kennen nicht wirklich das Ausmaß der Geschehnisse. Wenn man an 1820 denkt, als eine Handvoll Ärzte, Wissenschaftler und Amateur-Fossiljäger sich bemühte, aus einem verstreuten andeutenden Beweis und einem Haufen zerlegter Knochen sinnvolle Schlüsse zu ziehen. Erst nach 22 Jahren prägte ein englischer Paläontologe den Begriff „Dinosaurier”, „schreckliche Echse” und die moderne Forschung dieser ausgestorbenen Kreaturen schritt ernsthaft voran. Diejenigen von uns, die den Organraub von unfreiwilligen Spendern in China erforschen, sind wie diese frühen Dinosaurierjäger. Wir arbeiten nicht in enger Beratung zusammen. Wir warten immer noch darauf, dass ein Arzt, der Organraub an lebenden Gefangenen des Gewissens begangen hat, aus dem Festland China hervortritt. Bis dies geschieht, das ist wahr, haben wir nicht einmal Dinosaurierknochen. Aber wir haben Spuren, und hier sind ein paar von den Spuren, auf die ich gestoßen bin.
Qu Yangyao, eine sich deutlich artikulierende chinesische Fachfrau, besitzt drei Magisterabschlüsse. Sie ist auch der Flüchtling, der als erstes eine medizinische Untersuchung „ausschließlich von Organen” beschrieb. Qu entkam im vergangenen Jahr nach Sydney. Als Gefangene in China weigerte sie sich im Juni 2000, sich „umerziehen” zu lassen und eine Erklärung der Aufgabe von Falun Gong zu unterzeichnen. Schließlich wurde sie in ein Arbeitslager gesteckt. Qus Gesundheitszustand war relativ gut, auch wenn sie von Hungerstreiks Gewicht verloren hatte. Angesichts der Stellung und der Bildung von Qu gab es Gründe, sie gesund zu erhalten. Die chinesische Polizei wollte Todesfälle in Polizeigewahrsam vermeiden, weniger Papierkram, weniger Fragen. Zumindest nahm Qu das an.
Qu war 35 Jahre alt, als sie von der Polizei zusammen mit zwei anderen Praktizierenden in ein Krankenhaus eskortiert wurde. Qu erinnert sich genau, dass ihr eine große Menge Blut abgenommen wurde, danach eine Röntgenuntersuchung des Brustraums und Proben. „Ich war mir nicht sicher, worum es ging. Sie tasten dich an verschiedenen Stellen ab ... Unterleib, Leber.” Sie erinnert sich nicht, dass sie damals eine Urinprobe geben sollte, doch die Ärzte leuchteten ihre Augen aus und untersuchten ihre Augenhornhaut.
Forderte der Arzt sie danach auf, die Bewegung des Lichts mit ihren Augen zu verfolgen oder überprüfte er ihren Sichtumfang? Nein, er überprüfte nur ihre Hornhäute und ließ den Test aus, der die Gehirnfunktion betrifft. Und das war es: kein Hämmern auf das Knie, kein Betasten der Lymphknoten, keine Untersuchung der Ohren, des Mundes oder der Genitalien: der Arzt überprüfte nur ihre handelsfähigen Organe, sonst nichts.
Ich habe bei unserem Interview vielleicht gespürt, wie eine stille Kälte meinen Rücken entlang lief, doch Qu schien, wie viele gebildete Gesprächspartner, anfangs die potentiellen Schlussfolgerungen aus dem Gesagten überhaupt nicht wahrzunehmen. Viele Gefangene bewahren sich eine Art von „dies kann hier nicht passieren”-Empfindlichkeit. „Ich bin zu wichtig, um ausgeschaltet zu werden”, das ist das Mantra des Überlebenden. In der Mehrheit der hier dargelegten Interviews hatten die Befragten keine klare Ahnung von der Richtung meiner Fragestellung oder von den „richtigen” Antworten, obwohl ihnen der Sachverhalt des Organraubs bekannt war.
Falun Gong-Praktizierende dürfen nicht lügen. Das heißt nicht, dass sie das nie tun. Im Lauf meiner Interviews hörte ich ein paar Verzerrungen. Das ist nicht, weil diese Menschen „vorpräpariert” waren, sondern, weil sie ein Trauma erlitten hatten. Absichtliche Verzerrungen sind sicherlich außerordentlich rar. Die beste Möglichkeit, sich vor falschen Zeugenaussagen zu schützen, ist es, ausgedehnte Interviews im Sitzen durchzuführen.
Insgesamt interviewte ich 15 Falun Gong-Praktizierende aus Arbeitslagern und nach langer Haft, die etwas Unerklärliches im medizinischen Ablauf erlebten. Mein wissenschaftlicher Mitarbeiter, Leeshai Lemish, interviewte Dai Ying in Norwegen, so dass es insgesamt 16 sind. Wem diese Zahl niedrig erscheint, der soll die Schwierigkeit des Entkommens und Überlebens bedenken. Außerdem konnte ungefähr die Hälfte der Gesprächspartner als ernsthafte Kandidaten für Organentnahmen aussortiert werden: zu alt, körperlich zu mitgenommen von der harten Arbeit oder zu ausgemergelt von Hungerstreiks. Einige waren bei ihren Erinnerungen an bestimmte Vorgänge einfach zu schwankend, um eine große Hilfe zu sein. Einige wurden Drogentests unterzogen. Einige erhielten anscheinend ganz normale umfassende körperliche Untersuchungen, obwohl sogar von solchen Menschen manchmal wertvolle Hinweise kamen.
Zum Beispiel berichtete Lin Jie, eine Frau Anfang 60, die in Sydney lebt, dass im Mai 2001, als sie im Yong Chaun Frauengefängnis von Chingqing eingesperrt war, über 100 weibliche Falun Gong-Praktizierende „am ganzen Körper sehr genau untersucht wurden. Und sie fragten uns nach Krankengeschichten”. Soweit, so gut, aber Yet Lin fragte sich damals, warum „ein Polizist pro Praktizierender” nötig war, um die Frauen zur Untersuchung zu begleiten, so als ob sie gefährliche Kriminelle seien. Falun Gong-Praktizierende sind vieles, heftig, moralistisch, zielstrebig, doch sie sind absolut gewaltlos. Es ist eindeutig, dass jemand im chinesischen Sicherheitssystem nervös war.
Nehmen wir zum Beispiel Jing Tian, ein um die vierzig Jahre alter weiblicher Flüchtling, jetzt in Bangkok. Im März 2002 führte das Internierungslager Shenyang bei allen Praktizierenden eine umfassende körperliche Untersuchung durch. Jing beobachtete den Vorgang genau und sah nichts Ungewöhnliches. Doch dann fingen die Behörden im September an, teuere Blutuntersuchungen zu veranstalten (im Westen würden sie pro Person 300 Dollar kosten). Jing beobachtete, dass sie genug Blut abnahmen, um acht Proberöhren pro Praktizierender zu füllen. Das war genug für ausführlichere Diagnosen oder Überprüfungen von Gewebeverträglichkeit. Jia Xiarong, eine weibliche Praktizierende mittleren Alters, die aus einer Familie von Beamten mit guten Beziehungen stammt, erklärte gegenüber Jing unumwunden: „Sie machen das, weil die alternden Beamten Organe benötigen.”
Doch Jing bemerkte in jenem Herbst noch etwas anderes, etwas viel Wesentlicheres: Gefangene kamen mitten in der Nacht an und waren vor Sonnenaufgang verschwunden. Es gab Transporte zu „Krankenhaus-Zivilschutzeinrichtungen” mit Namen wie Sujiatun und Yida, und es handelte sichum Praktizierende ohne Namen, nur mit Nummern.
Fortsetzung folgt ...
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