„Sie ist keine Verbrecherin, sie ist ein guter Mensch“

(Minghui.org) Das Tor des Frauengefängnisses Heilongjiang öffnet sich. Gerade erst ist ein Schneesturm durch die Region gefegt und hat viele Straßen unbefahrbar gemacht. Sun Fengjie geht langsam über den Gefängnishof auf das Tor zu, wird jedoch von einem Wärter angehalten.

„Wie ist Ihr Name?“ fragt der Wärter vorschriftsmäßig.

„Sun Fengjie.“

„Ihr Verbrechen?“

„Kein Verbrechen, ich praktiziere Falun Gong.“

Sun kehrt dem Gefängnis den Rücken zu. 13 Jahre hat sie darin zugebracht. Sie weiß, dass ihre Familie auf sie wartet. Sie hat von Anfang an zu ihr gestanden …

***

Chinesisches Neujahrsessen – Familie kommt ins Gefängnis

Es war der chinesische Neujahrstag im Jahr 2000. Alle Chinesen schienen das neue Jahr und das neue Jahrtausend zu feiern. Li Gang bereitete die Füllung und den Teig für Teigtaschen vor, um das traditionelle Neujahrsessen zuzubereiten.

Anstatt die Teigtaschen zu Hause zuzubereiten, wie es seine Familie schon immer getan hatte, packte er das Essen ein und machte sich mit seiner 13-jährigen Tochter und seinem 8-jährigen Sohn zum unwahrscheinlichsten Ort für ein Fest auf – einer Haftanstalt.

An diesem Tag wollte er seine Frau sehen und brauchte dafür eine Genehmigung. Li bat Freunde, Kollegen und ehemalige Mitschüler um Hilfe. Er fragte jeden, der ihm einfiel. Er besuchte die Polizeidienststelle und anschließend das Büro 610. Schließlich bekam er vom Parteisekretär der Kommunistischen Partei der Stadt Shuangyashan eine Sondergenehmigung.

Das war keine Kleinigkeit gewesen. Diese Vergünstigung bekommt normalerweise nicht jeder und die Familie einer Falun-Gong-Praktizierenden schon gar nicht. Auch wenn Li Gang selbst kein Praktizierender war, so kannte er sich mit Falun-Gong-Praktizierenden aus. Er sagte jedem: „Meine Frau möchte nur ein guter Mensch sein. Sie hat keine Gesetze gebrochen.“

An diesem Neujahrstag hatten Li Gang, Sun Fengjie und ihre beiden Kinder ein ungewöhnliches Abendessen mit Teigtaschen in einer Gefängniszelle. Eine ältere Falun-Gong-Praktizierende, die auch dort eingesperrt war, feierte mit ihnen zusammen.

Als Sun in der Gefängniszelle saß, wusste sie nicht, was mit ihr geschehen würde. Sie war zum dritten Mal in sechs Monaten nach Peking gereist, um für Falun Gong einzutreten. Zum dritten Mal wurde sie von der Polizei festgenommen und nach Hause geschickt.

Nachdem sie gehört hatte, dass die Regierung Falun Gong öffentlich verboten hatte, war sie am 20. Juli 1999 zum ersten Mal nach Peking gefahren. Kaum zu Hause angekommen, wurde sie von der Polizei abgeholt. Danach blieb sie über drei Monate in Haft.

Das zweite Mal reiste sie mit ihrem 7-jährigen Sohn nach Peking. Sie wurden nach Harbin gebracht. Auf dem Weg dorthin konnten sie entkommen.

Sun konnte nicht verstehen, warum die Regierung einen Kultivierungsweg verboten hatte, der Wahrhaftigkeit, Güte und Nachsicht lehrt. Sie war als freiwillige Koordinatorin für die Praktizierenden in der Stadt Shuangyashan tätig gewesen. Dafür war sie nicht bezahlt worden und hatte auch keine Verfügungsgewalt. Ihre Verantwortung lag darin, neuen Praktizierenden die Übungen beizubringen und die Hilfsbedürftigen zu unterstützen.

Seitdem sie praktizierte, hatte sich ihr Gesundheitszustand stetig verbessert. Sie versuchte zu Hause und bei der Arbeit ein besserer Mensch zu sein. Sie fragte sich, wie dieses Verhalten falsch sein konnte.

Der Leiter des Büros 610 in der Polizeiabteilung und der Hauptmann der Staatssicherheitsabteilung besuchten sie in der Haftanstalt. Sie sagten ihr, dass sie Erklärungen schreiben solle, in denen sie Falun Gong abschwöre und garantiere, dass sie nicht wieder praktizieren werde.

Ein Leiter der Polizeiabteilung hatte sie gerade besucht: „Ich bin ein Schulfreund Ihres Mannes“, sagte er. „Sie müssen nur eine Erklärung unterschreiben, in der Sie garantieren, dass sie Falun Gong nicht mehr praktizieren werden, und ich kann Sie heute nach Hause lassen.“

Sie lehnte ab.

Zwei Tage nach dem Neujahrsessen in der Haftanstalt mit ihrer Familie wurde sie am 6. Februar für ein Jahr in ein Zwangsarbeitslager gebracht.

Gegen Ende 2001 waren Li und Sun sehr mit dem Supermarkt beschäftigt, der ihrer Familie gehörte. Sun war aus dem Arbeitslager entlassen worden, in dem sie fast ein Jahr lang festgehalten worden war. Das Textilgeschäft, dass sie zuvor besessen und betrieben hatte, musste sie auf Grund des Aufenthalts im Arbeitslager aufgeben.

Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, eröffnete das Paar einen Supermarkt, in dem sie Obst, Gemüse und Haushaltsgegenstände verkauften. Sie bauten sich schnell den Ruf auf, zu ihren Kunden ehrlich und fair zu sein. Ihre Kinder halfen nach der Schule im Laden mit. Obwohl sie oft von Beamten der Polizeiwache in der Nachbarschaft überprüft wurden, fand ihr Leben wieder zur Normalität zurück.

Am 28. Dezember kamen über ein Dutzend Beamte in mehreren Polizeifahrzeugen zu ihrem Laden.

„Mit welchem Recht sind Sie hier?“, verlangte Li Gang zu wissen.

Ein Polizist holte ein Blatt Papier heraus. Lis Tochter schnappte es sich und zerriss es. Der Polizist ging auf sie zu und wollte sie verhaften.

Li schritt ein und sagte: „Verhaften Sie mich an ihrer Stelle!“

Ein Polizist ergriff Suns Arme und verdrehte sie hinter ihrem Rücken. Anschließend stieß er sie in Richtung Tür. Li eilte hinzu und schlug den Polizisten. Die beiden rangen miteinander, während die anderen Polizisten zusahen.

Schließlich wurde Li von mehreren Beamten überwältigt. Sie zogen ihn und seine Frau in die wartenden Autos. Li wehrte sich und rief: „Falun Dafa ist gut! Falun Dafa ist wirklich gut!“

In Haft trat Sun für neun Tage in Hungerstreik und wurde schließlich auf einer Trage nach Hause gebracht. Sobald sie wieder dazu in der Lage war, ging sie jeden Tag zur Polizeiwache und verlangte die Freilassung ihres Mannes.

Li Gang verbrachte einen Monat und zwei Tage in der Haftanstalt. Er bekam in dieser Zeit jeden Tag nur getrocknete Dampfbrötchen zu essen.

Erneut verhaftet

Sun wurde erneut verhaftet. Dieses Mal, weil sie mit einer weiteren Falun-Gong-Praktizierenden auf der Straße Flyer verteilt hatte. Die Polizisten wollten von ihr die Namen weiterer Praktizierender erfahren. Als örtliche Koordinatorin war sie eine Informationsquelle und daher ein Hauptziel der Verfolgung.

Sie musste barfuß auf dem eiskalten Betonboden stehen. Ein Mann zündete ihre Haare mit einem Feuerzeug an. Sie konnte den Geruch von verbranntem Haar riechen und das brutzelnde Geräusch hören. Dann zog ihr ein anderer Mann eine Plastiktüte über den Kopf, um sie zu ersticken. Sie wusste was kommen würde.

Es war ein weiteres Verhör. Sie wurde seit ihrer Festnahme vor 20 Tagen immer wieder verhört. Nach jedem Verhör wurde sie bewusstlos aus dem Zimmer getragen. Sie wurde auf Essens-, Wasser- und Schlafentzug gesetzt. Sie wurde verprügelt, bis sie Blut spuckte.

Zwölf Stunden später war Sun nur noch gerade so am Leben und wurde in ihre Zelle zurückgetragen. Das war am 30. Dezember 2002.

Li Gang hatte seit 20 Tagen nichts mehr von seiner Frau gehört. Er machte sich große Sorgen. Er wusste, dass sie die Stadt verlassen hatte, um einer weiteren Runde von Massenverhaftungen zu entgehen. Sie hatte mit einer anderen Praktizierenden eine Wohnung in der Gemeinde Jixian gemietet.

Dann bekam er die Nachricht, dass sie erneut verhaftet worden war. Er versuchte, sie so oft wie möglich zu besuchen. Jedes Mal musste er zu mehreren Leute gehen und sie überzeugen, ihm eine einfache Besuchserlaubnis für seine Frau zu erteilen.

Am 8. Mai 2003, fünf Monate nach ihrer Verhaftung, sah Li Gang seine Frau im Gerichtssaal. Li und sein Sohn durften dem Schauprozess gegen seine Frau und sechs andere Praktizierende beiwohnen. Seine Frau war blass und trug Handschellen. „Unser Sohn und ich werden dich immer unterstützen!“ rief er ihr zu.

Sun wurde zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt.

Als Li Gang seine Frau wiedersah, zeigte sie ihm das Urteil. „Du musst wegen mir so viel Leid ertragen“, sagte sie und schlug vor, dass sie sich scheiden ließen.

Li Gang wollte davon nichts hören. „Ich werde warten. Die Kinder und ich werden auf dich warten. Wir werden unsere Familie nicht von ihnen auseinanderreissen lassen.“

Li Gang bereitete zum Neujahrsfest und Herbstfest immer ein traditionelles Familienessen zu, auch als seine Frau im Gefängnis war und nicht bei ihnen sein konnte. Er deckte den Tisch für vier – für seine Frau, für ihre Tochter Xinxin, für ihren Sohn Hualin und für sich selbst. Er war entschlossen, ihre Familie zusammenzuhalten.

Gefoltert

Sun wurde am 18. September 2003 ins Frauengefängnis Heilongjiang gebracht, wo sie schwer gefoltert wurde. Einmal verlor sie eine Zeitlang ihr Augenlicht.

Die Gefängnisleitung erlaubte monatliche Besuche zwischen 15 und 30 Minuten. Li fuhr am Vorabend mit dem Zug in Shuangyashan los und kam früh morgens in Harbin an, wo er eine weitere Stunde mit dem Bus fuhr und dann den Rest des Weges zum Gefängnistor zu Fuß zurücklegte.

Falun-Gong-Praktizierenden, die ihren Glauben nicht aufgeben, werden Familienbesuche oft untersagt. Um seine Frau sehen zu können, musste Li Gang oft einen der Gefängnisdirektoren um eine Sondererlaubnis bitten. Obwohl das jedes Mal ein Kampf war, gab Li niemals nach.

Li und seine Kinder versuchten einmal Sun gemeinsam zu besuchen. Als sie am Gefängnis ankamen, sagte man ihnen, dass sie sie nicht sehen könnten, weil Sun ihren Glauben nicht aufgeben würde.

„Meine Frau praktiziert nur Falun Gong. Sie hat kein Gesetz gebrochen. Warum können wir sie nicht sehen?“ fragte er.

„Sie können sie nicht sehen, weil sie Falun Gong praktiziert und sich nicht umerziehen lässt“, sagte ein Wärter.

Li ging in das Dienstzimmer der Wärter und verlangte ihren Vorgesetzten zu sehen. Schließlich sprach er mit dem stellvertretenden Gefängnisdirektor und bekam die Sondererlaubnis, Sun zu sehen. Die Familie aß gemeinsam in der Cafeteria des Gefängnisses.

In den 13 Jahren, in denen Sun dort eingesperrt war, wechselte der Gefängnisdirektor mehrfach. Li Gang kannte sie alle.

Beschwerde eingereicht

Anfang 2004 reichte Li Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft der Stadt Shuangyashan ein. Darin beschuldigte er die Polizei, seine Frau gefoltert zu haben, um von ihr ein Eingeständnis zu erzwingen. Später verklagte er den Vorsitzenden Richter und andere Gerichtsbeamte, weil sie seine Frau unrechtmäßig verurteilt hatten.

Als Sun im Gefängnis gefoltert wurde, stellte Li Gang den Gefängnisdirektor zu Rede, zeigte ihm die Beweise für die Folter und verlangte eine Untersuchung. Viele Direktoren dieses Gefängnisses bekamen Briefe von Li Gang. Einige bekamen mehrere Briefe zu unterschiedlichen Anlässen. Li verwendete Einschreiben, um sicher zu sein zu können, dass seine Beschwerden ankamen.

Außerdem reichte Li Beschwerde gegen das Frauengefängnis Heilongjiang ein, weil seine Frau dort verfolgt wurde. Die Beschwerden gingen an die Gefängnisverwaltung, die Justizbehörde der Provinz und die Oberstaatsanwaltschaft der Provinz. Jeder Brief führte die Vorfälle, die Täter und die Verantwortlichen auf. Einen Gedanken behielt er fest im Herzen: „Meine Frau ist keine Verbrecherin, sie ist ein guter Mensch!“

Im Juli 2012 begann das Gefängnis eine neue Runde der Verfolgung von Falun-Gong-Praktizierenden, die ihren Glauben nicht aufgeben wollten. In weniger als zwei Monaten nahm Sun über 20 Kilogramm ab. Als Li seine Frau zu der Zeit besuchte, erkannte er sie kaum wieder. Sie konnte kaum laufen oder stehen und ihr Haar war fast vollständig ergraut. Li schrieb an die Vereinten Nationen und andere Menschenrechtsorganisationen und brachte dort den Fall seiner Frau vor mit der Bitte, sich für sie einzusetzen.

Als Li Gang im Jahr 2015 auf der Straße Flyer über die Strafanzeigen gegen den ehemaligen Parteivorsitzenden Jiang Zemin sah, erinnerte er sich daran, dass seine Frau Jiang im Jahr 2003 angezeigt hatte. Sie war zu der Zeit in der Haftanstalt Jixian gewesen.

Er fand ein Exemplar ihrer Strafanzeige und fügte weitere Tatsachen hinzu. Er unterschrieb als gesetzlicher Vertreter seiner Frau mit seinem Namen und schickte die Strafanzeige an die Oberste Volksstaatsanwaltschaft.