Tagesspiegel: Menschenrechte in Zeiten des Terrors
UN-Kommission tagt in Genf. Human Rights Watch warnt vor Beschneidung bürgerlicher Rechte / Mary Robinson kandidiert nicht wieder
Der Beginn der Konferenz war für Mary Robinson zugleich ein Abschied. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte wird Ende September aus ihrem Amt scheiden. Das gab die ehemalige irische Präsidentin am Montag in Genf zum Auftakt der diesjährigen Sitzung der UN-Menschenrechtskommission bekannt. Nichtregierungsorganisationen wie Human Rights Watch machen die UN-Sicherheitsratsmitglieder USA und Moskau für Robinsons Ausscheiden verantwortlich. "Sie hat den Preis dafür bezahlt, dass sie öffentlich mächtige Regierungen wie die der USA und Russland kritisiert, wenn diese die Menschenrechte verletzen." Robinson nahm zu den Umständen ihrer Ablösung nach viereinhalb Jahren keine Stellung - sie hätte im Herbst wieder kandidieren können.
In Genf sollen in den kommenden sechs Wochen die schlimmsten Verstöße gegen die Menschenrechte zur Sprache kommen: Das Blutvergießen im Nahen Osten, die chinesische Unterdrückungspolitik oder das Schreckensregime Robert Mugabes in Simbabwe. Und insbesondere Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch warnen in Genf davor, dass unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung bürgerliche Rechte beschnitten und schwere Menschenrechtsverletzungen verübt werden.
Viele der Täter brauchen die höchste Menschenrechtsinstanz der Völkergemeinschaft ohnehin kaum zu fürchten. Beispiel Russland: Moskaus Feldzug gegen "tschetschenische Terroristen" nimmt kein Ende. Amnesty International und Human Rights Watch berichten über einen "schmutzigen Krieg": Vergewaltigungen, Folter, willkürliche Hinrichtungen, Entführungen, Vertreibungen. Appelle der UN, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, befolgt Moskau nur zögerlich. In vielen Gefängnissen Russlands herrschen laut Amnesty "Zustände wie unter Stalin": überfüllt, dreckig, inhuman.
Bisher zögert jedoch jedes der 52 anderen Mitgliedsländer der UN-Menschenrechtskommission, eine Resolution gegen Moskau einzubringen. Resolutionen gelten als die schärfste Waffe des Gremiums. Zwar zieht ein solcher Text noch keine Sanktionen nach sich. Aber das Anprangern vor der Weltgemeinschaft hat auf viele Regierungen dennoch eine abschreckende Wirkung. Die EU-Staaten wollen mit Moskau zunächst nur über einen abgeschwächten "Konsenstext" verhandeln.
EU-Diplomaten bestreiten zwar energisch, "dass es einen Rabatt für Mitglieder der Anti-Terror-Koalition wie Russland gibt". Menschenrechtsaktivisten gehen jedoch genau vom Gegenteil aus. Immerhin will die EU Resolutionen gegen elf Staaten einbringen - etwa Simbabwe, Iran und Irak. Dass in diesem Jahr die USA zum ersten Mal seit 1947 kein Mitglied der UN-Kommission sind, verdüstert die Aussichten für die Menschenrechte zusätzlich. "Wir werden uns zurückhalten", bestätigen US-Diplomaten. Auch wenn die Amerikaner in puncto Menschenrechte selber keine weiße Weste haben: Ohne die USA verliert die Kommission an Durchschlagkraft. Davon profitiert zumal China. Da bisher Washington fast immer die roten Machthaber kritisierte, dürfte Peking dieses Jahr ungeschoren davonkommen. Und die EU-Staaten brüten noch über einer gemeinsamen Linie gegen Peking. Nötig wäre die schon: Human Rights Watch klagt etwa über eine "eskalierende" Kampagne gegen die Falun-Gong-Bewegung. Insgesamt seien bereits 1600 Falun-Gong-Anhänger exekutiert worden und 120 000 seien in Gefängnissen oder Arbeitslagern verschwunden.
Israel hingegen dürfte wegen des Krieges in den besetzten Palästinenser-Gebieten von der Menschenrechtskommission angeprangert werden. Arabische Staaten, so ist zu vernehmen, bemühen sich, eine moderate Resolution vorzulegen. Dann könnten auch die zögerlichen Europäer die Konfrontations-Politik von Premier Ariel Scharon verurteilen.
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