Ethan Gutmann: Ein Ereignis in der Fuyou Straße

Veröffentlicht in der National Review am 20. Juli 2009, VOL. LXI, NO. 13

(Minghui.org)

Anmerkung der   Redaktion:   Ethan Gutmann, Autor des Buches ‚Verlust des Neuen China’, gedachte im Jahre 2009 in einer Rede zum 10. Jahrestag der ‚Falle von Zhongnanhai’. Er beleuchtete die Situation von Falun Gong in China damals und heute und die Rolle des Westens in diesem Fall. Die Rede hielt er am 15. April 2009 in den Räumen des Europäischen Parlaments in Brüssel auf der Internationalen Konferenz über die Religionsfreiheit in China, veranstaltet von Edward McMillan-Scott, Vizepräsident des Europäischen Parlaments.

Als ich vor zehn Jahren am 25. April eine Hochzeit in Peking besuchte, hörte ich ein Gerücht, dass sich eine große Menschenmenge bei Zhongnanhai, dem Hauptsitz der chinesischen Führerschaft, versammelt habe. Ich rief meinen Freund Jasper Becker an, den Büroleiter der South China Morning Post. "Wer sind sie?", fragte ich ihn. "Ich glaube, sie heißen `Falun Gong´, sagte er. "Offensichtlich ist das eine sehr große chinesische religiöse Bewegung. Aber wir wissen eigentlich nichts über sie." Die Leute hatten eigentlich keine Ahnung, wer sie waren, aber das Ausmaß des Ereignisses war erschütternd: 10.000 Chinesen standen in der ersten Massendemonstration seit dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens ruhig am Straßenrand. Gleichermaßen erschütternd war die grausame Razzia der Partei, die am 20. Juli folgte.

Falun Gong, zur Glanzzeit eine Bewegung mit 70 Millionen Menschen, ist für China-Journalisten meist gar nicht sichtbar und erhält im Westen kaum mehr als eine Fußnote. Ein Grund dafür ist, dass Falun Gong stilistisch am undurchschaubarsten und am chinesischsten ist: Die Schautafeln über Folter mit ihren strikten daoistischen Abgrenzungen von Gut und Böse, die traditionellen gelben Seidenanzüge, die irgendwie an wogende Felder in einer 5-Jahres-Plan-Wochenschau erinnern, die Transparente, die wie halb-übersetzte chinesische Flaggensignale anmuten („SOS Dringende Rettung“, „Zieht grauenhafte Polizei zur Rechenschaft“, „Falun Dafa eröffnet neue Ära in der Menschheit!“). Ihre Slogans haben für westliche Ohren einen ganz ausgeprägten metallenen Klang – ein kommunistisches Timbre.

Viele Personen in Washington würden Falun Gong gerne aus dem Dissidenten-Pantheon ausschließen. Die Gedenkveranstaltungen zum Ereignis auf dem Platz des Himmlischen Friedens vom 4. Juni machten das offizielle Washington mobil: Konferenzen, Anhörungen, Nancy Pelosis endlose Hinweise auf ihr Eintreten für die Menschenrechte in Shanghai und Artikel in den großen Tageszeitungen wie „Wo ist der Mann aus dem Panzer?“. Als es jedoch an der Zeit für eine Kundgebung bei der chinesischen Botschaft auf der Connecticut Avenue war, erschienen nur 300 Leute. Erwarten Sie am 20. Juli eine drei Meilen lange Reihe von Falun Gong-Praktizierenden, so an die 5000. Sie werden ihre gelbe Seide reinigen lassen, Flugtickets kaufen und auf dem Boden schlafen, sodass die Washingtoner sich beklagen können, dass sie den Verkehr blockieren. Ein paar Kongressabgeordnete halten vielleicht ein paar kurze Reden bei der Kundgebung, doch die meisten werden auf Sicherheitsabstand gehen. Und es kostet keinen politischen Preis bei Nichterscheinen, weil es wenig Presse geben wird. Von einer Falun Gong-Parade zu berichten, ist wie ein Knüller-Bericht von einem Kuchenbazar.

Wenn man betrachtet, was Falun Gong erreicht hat, dann ist dies verwunderlich. Sie sind die einzige Dissidenten-Gruppe, die die chinesische Internet-Firewall auf breiter Basis durchbrochen hat (iranische Dissidenten verwenden die Kommunikationssysteme, die von Falun Gong-konstruiert wurden, und surfen damit frei im Web). Bis vor kurzem betrieben sie den einzigen unabhängigen Fernsehsender, der in China empfangen werden konnte, der täglich 24 Stunden lang ins Land sendete. Sie drucken die einzige Dissidenten-Tageszeitung, betreiben den einzige bedeutsamen Kurzwellen-Radiosender und so weiter und so weiter.

Beginnen wir zuerst mit der Auflistung der Schäden: Über 3.000 Tote durch Folterung. Misshandlungen und Vernachlässigung. Nach meinen jüngsten Nachforschungen sind mindestens 10.000 Falun Gong-Anhänger einem Organraub zum Opfer gefallen. Die Schätzung liegt bei über 100.000.

Oder man betrachtet Falun Gong aus der Perspektive der meisten Blutopfer. Jeder von den 300, die am 4. Juni zur chinesischen Botschaft kamen, trug metaphorisch gesehen vielleicht drei oder vier Opfer des Vorfalls auf dem Platz des Himmlischen Friedens auf seinen Schultern. Auf Falun Gong-Seite haben wir gerade erst angefangen, den Schaden zu ermitteln. Sie haben mehr als 3.000 bestätigte Todesopfer auf Grund von Folterungen, Misshandlung und Vernachlässigung in ihren Reihen. Meinen derzeitigen Nachforschungen zufolge wurde ein Minimum von 10.000 Falun Gong-Praktizierenden wegen ihrer Organe getötet. Ich vermute, dass die End-Rechnung weit über das hinausgehen wird, weil weiter praktiziert wird. Wir wollen also mutmaßen, dass jeder dieser 5.000 Falun Gong-Praktizierenden zehn, vielleicht sogar 20 Leichen auf seinem Rücken mitbringt – Leichen von Personen, die in Arbeitslagern, Untersuchungsgefängnissen, psychiatrischen Einrichtungen oder auf den Operationstischen unter den Händen von Militärärzten ermordet wurden.

Nach Aussagen meines Kollegen Leeshai Lemish zeigen quantitative Analysen, dass die Erwähnung von Falun Gong in den Medien proportional zu den Todesfällen sinkt. Darum muss ich zur Kenntnis geben, dass wir immer noch mit herunter gelassenen Hosen dastehen. Und ich muss zur Kenntnis geben, dass das Versagen bei der Interpretation des 25. April durch die westlichen Medien selbst begann.

Man kann sich noch nicht einmal auf das Ereignis beziehen, ohne sich in einen Interpretationsrahmen, in ein vorgefasstes Bild zu begeben. Aus heiterem Himmel „umzingelten" (nach AP und Reuters) oder „belagerten" (nach AFP) 10.000 höchst disziplinierte Falun Gong-Praktizierende Zhongnanhai. Dieses sind direkte Übersetzungen der kommunistischen Parteilinie. Und sie werden in Lehrwerken über die Geschichte von Falun Gong wiederholt.

Selbst Praktizierende, die für die Epoch Times schreiben, - vielleicht fühlen sie, dass es zu schwer zu erklären ist - beschreiben den 25. April als eine Massen-„Versammlung" bei Zhongnanhai. Der Unterschied ist nur der, dass sie das Wort „Demonstration" so gebrauchen, als ob es ein schmutziges Wort sei. Nun, das ist es auch für die Chinesische Kommunistische Partei.

Aber doch nicht für den Westen, nicht wahr? Henry Kissinger rechtfertigte das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens mit der Aussage: „Keine Regierung der Welt hätte geduldet, dass der wichtigste Platz der Hauptstadt acht Wochen lang von zehntausenden Demonstranten besetzt wird ..." Diese Empfindung wurde kürzlich von Charles Freeman, der von der Obama-Regierung für den Posten des Geheimdienstberaters nominiert wurde, wieder zum Ausdruck gebracht. Wenn die Elite für Außenpolitik über die Studentendemonstrationen von 1989 so redet, kann man sich vorstellen, wie sie eine unbedeutende Bewegung eines buddhistischen Wiederauflebens im Jahr 1999 beurteilt. Wie wär's mit: Nun, das ist China. Die Falun Gong wollten es so.

Wissenschaftler mögen es etwas anders ausdrücken: Die Unterdrückung der Falun Gong-Anhänger begann als eine Reaktion und Gegenreaktion und endete in einer Tragödie.

Nun ja, die Falun Gong-Anhänger haben viele Fehler gemacht. Aber ich kann nicht annehmen, dass sie darum gebeten haben, zu Märtyrern zu werden. Und ich glaube, dass auch Sie das nicht annehmen können. Wenn Sie es aber tun, dann sollten Sie mit Menschen sprechen, die am 25. April und vorher in Tianjin dabei waren.

Die chinesische Gesellschaft wird oft mit einer Pyramide verglichen, einem Bild, das auf Dauerhaftigkeit und kaiserliche Pracht hinweist. Doch unter dem Kommunismus war sie eher wie eine Rakete in den Anfangstagen der Raumforschung: ehrgeizig, notdürftig zusammengebaut und potentiell explosiv. Ganz unten ist ein gewaltiges Hilfstriebwerk, das mit Massen von Bauern und verarmten Arbeitern angefüllt ist. Wenn man nach oben in den zweiten und dritten Stufen nachschaut, findet man die Intellektuellen, das Militär die Unternehmer und die Neureichen und ganz an der Spitze eine winzige Kapsel, die die Partei enthält. Aus der Sicht der Partei scheint sich Falun Gong mit seiner Betonung der traditionellen chinesischen Moral durch diese Rakete wie ein elektrisches Feuer zu bewegen. Bereits 1996, nur vier Jahre nachdem die Bewegung begonnen hatte, schaffte sie es, bis in die Kapsel vorzudringen und der Rauch zog ernsthafte Beachtung nach sich. Die Antwort: Das Zhuan Falun, das Buch des Gründers Li Hongzhi, wurde verboten, und Li verließ das Land in Richtung Amerika.

Anfang 1999 veröffentlichte der Physiker He Zuoxiu einen Artikel im Journal der Universität Tianjin, der die Falun Gong attackierte. Er stellte sie im Wesentlichen als gefährlichen Kult dar. Weil der Physiker und das Journal relativ unbedeutend waren, beschuldigte man Falun Gong als hypersensibel gegenüber Kritik.

Aber dieses ist nicht der Westen und die Dinge geschehen nicht zufällig. Von He Zuoxiu, dem Verfasser des Artikels, ist bekannt, dass er der Schwager von Luo Gan ist, dem damaligen Sicherheitschef. Und das Journal der Universität Tianjin stimmt mit dem Staat überein.

Li Hongzhis Buch Zhuan Falun war schon Mitte der 1990er Jahre von den offiziellen Publikationen ausgeschlossen worden, teilweise deshalb, weil die Partei sich über außer Kontrolle geratene Verkaufsziffern des Buches Sorgen machte. Bis zum Jahre 1999 hatten die Falun Gong wenigstens 70 Millionen Praktizierende angezogen, fünf Millionen mehr als die Partei.

Und darum war der Artikel absolut nicht unbedeutend. Er war eine Fackel in der Nacht, ein Signal, dass die Partei etwas vorhatte. Etwas mit Konsequenzen.

Wenn man in China ein solches Signal sieht, hat man zwei Möglichkeiten. Entweder man verhält sich ruhig und wird vielleicht vernichtet - oder man erhebt sich dagegen und wird höchstwahrscheinlich vernichtet - doch die Wahrheit zu verbreiten und Lügen zu widerlegen, das genau sind wesentliche Teile der Falun Gong Moral. Und Falun Gong hatte dafür eine Methode: in Massen auftauchen (es ist leicht den Kopf eines einzigen religiösen Führers kürzer zu machen, schwerer wird es bei tausenden von Gläubigen), sich ruhig verhalten und nur ganz einfach dastehen, bis jemand mit einem spricht. Sie wandten diese Methode bereits bei frühen negativen Berichten an, Zeitungsartikeln im Jahr 1997 und einer Sendung im Pekinger Fernsehen 1998.

Darum erhoben sich die Falun Gong-Anhänger. Ungefähr 5.000 Praktizierende veranstalteten eine stille Demonstration an der Fachhochschule für Erziehung in Tianjin und verlangten eine Rücknahme des Artikels oder einen Dialog. Die Polizei wurde gerufen. Hao Fengjun, ein Polizeioffizier, war einer von ihnen. Seine „gesamte Polizeitruppe wurde plötzlich zu der Hochschule beordert."Man „befahl ihnen, das Kriegsrecht anzuwenden und das Gebiet zu räumen". Als sie am Schauplatz ankamen, sah er ... „dass nichts so war, wie man uns beschrieben hatte - Falun Gong-Anhänger, die zum Kampf bereit waren, die die öffentliche Ordnung störten u.s.w. Aber wir hatten keine Wahl."

Videoaufnahmen zeigen ein paar Leute, die irgendwo herum saßen. Was also veranlasste die Polizisten, in die Menge hinein zu marschieren und 40 Praktizierende zu schlagen und zu verhaften? Viele Praktizierende versuchten, mit den Beamten von Tianjin und den Polizisten vernünftig zu reden. Und die Antwort? Die Polizei war machtlos. „Dieses ist vom Sicherheitsministerium unter der Zentralregierung veranlasst worden. Also müsst ihr nach Peking gehen, um Beschwerde zu erheben."

In den beiden Tagen, die auf die Festnahmen in Tianjin folgten, verbreitete sich das Wort „Beschwerde" (oder „Petition) rasch unter den Praktizierenden - aber nicht als eine Art allgemeinen Befehls, sondern es ging von Mund zu Mund. Aber es hatte ein klares Ziel: Die Nationale Petitionsbehörde, die einzige Stelle, an der sich ein Bürger in China legal über seine örtliche Behörde oder die Zentralregierung beklagen kann.

Jedermann wusste, dass die Verhaftungen in Tianjin einen beängstigenden Präzedenzfall schufen und einige waren der Meinung, dass es besser sei, zu Hause zu bleiben – Meister Li hatte mehr als einmal gesagt, dass die Praktizierenden sich nicht in Politik einmischen sollten. Andere argumentierten, dass die Wahrheit verteidigt werden müsse und dass das, was sie in Betracht zogen, keine Demonstration, sondern eine rechtliche Niederschrift war. Am 24. April begaben sich tausende von Praktizierenden nach Peking. Einige schrieben am Abend zuvor noch ihr Testament.

Man folgte ihnen. Eine Gruppe aus der Provinz Jilin wurde bei einer Bushaltestelle von einer Spezialeinheit der Polizei abgefangen. Man sagte ihnen: `Geht nach Hause, das Problem von Tianjin ist gelöst.` Andere wurden von einem Polizisten in Shenyang aufgehalten, der sorgfältig einige Sätze aus dem Zhuan Falun auswendig gelernt hatte, um besser in ein Gespräch kommen zu können. Eine Gruppe von 20 Personen nahm einen Nachtzug aus der nordöstlichen Stadt Harbin. Als sie auf den Bahnsteig in Peking traten, der voller Praktizierender war, dirigierte sie ein ganzer Strahl von Polizisten wieder zurück in den Zug.

Da die Petitionsstelle wie auch die Regierung sich bei den Petitionsprozessen sehr zurückhielt, war der Standort dieser Stelle wenig bekannt. Nicht ein einziger der Praktizierenden, die ich interviewt habe, konnte mir die Stelle auf einer Karte zeigen, obwohl man allgemein glaubte, sie befände sich in den Hutongs, die von der Fuyou Straße abgehen. Und die Fuyou Straße stößt an den westlichen Eingang von Zhongnanhai.

Und so glaubte am 25. April, einem schönen, frischen Frühlingsmorgen, jeder einzelne Praktizierende (diejenigen, die ich interviewt habe), dass sie einem rechtmäßigen Protokoll folgten, und nicht, dass sie nach Zhongnanhai gingen, um zu demonstrieren.

Sie waren sich der Risiken bewusst. Einige Praktizierende verfassten am Abend vorher ihr Testament. Wenn Sie glauben, das klinge melodramatisch, dann betrachten Sie Folgendes.

Als der 25. April anbrach, schob Zeng Zheng, eine junge Gutachterin und Falun Gong-Praktizierende, ihr Fahrrad in die Fuyou Straße und stellte fest, dass etwas irgendwie nicht ganz so war wie sonst. Zeng hatte kurzzeitig in Zhongnanhai gearbeitet und kannte die Sicherheitsmaßnahmen genau. Normalerweise waren so viele Wachen da, dass es schwierig war, ohne Befragung überhaupt in die Straße zu gelangen. Jetzt, kurz vor 07:00 Uhr, schlenderten Praktizierende die Fuyou Straße hinunter, unterhielten sich und suchten nach dem Appellationsbüro, als ob sie in einem Einkaufszentrum wären. Doch eine Reihe von Polizisten stand am südlichen Ende. Die Polizei befahl den Falun Gong-Praktizierenden, den Block zurückzugehen und sich zum Zutritt eines Hutong (schmale Gasse) gegenüber des westlichen Tores von Zhongnanhai zu stellen. Das Apppellationsbüro würde um 08:00 Uhr aufmachen. Zeng verstand: „Sie waren sehr gut vorbereitet“, erklärte sie. „Sie erwarteten uns.“

Am frühen Morgen beobachtete ein Ehepaar unter den Praktizierenden etwas sehr Seltsames, als es am Stadtgraben auf der Ostseite der Verbotenen Stadt entlang ging. Eine zahlenmäßig große Einheit der Roten Armee saß mit aufgepflanzten Bajonetten in Jeeps und schaute nach Westen, Richtung Zhongnanhai.

Als sie und weitere Praktizierende gegen 7.00 Uhr in der Fuyou Straße ankamen und versuchten, sich auf den Weg in die Hutongs zu machen, in denen sie die sagenumwobene Petitionsstelle vermuteten, tauchte plötzlich eine riesige Polizeitruppe auf. Und doch war die Fuyou Straße nicht abgeriegelt - was Jennifer Zeng, die für das Staatsratsbüro in Zhongnanhai gearbeitet hatte, seltsam fand. Normalerweise „gab es dort viele Sicherheitskräfte und viele Wachen und es war immer sehr schwierig, in die Nähe der Straße zu gelangen. Aber dieses Mal versuchte niemand, die Menschen am Betreten zu hindern. Normalerweise wird jeder, der auftaucht, sofort befragt ... es schien so, als ob sie sehr gut vorbereitet seien, als ob sie uns erwarteten."

Mit der vagen Versicherung, dass das Petitionsbüro später öffne, wurden die Praktizierenden in die Fuyou Straße gedrängt, direkt vor das Tor von Zhongnanhai. Tante D erinnert sich, dass Dienstbusse und Polizeiwagen in bestimmten Abständen auf der Fuyou Straße postiert waren. „Kameras wurden aufgestellt und direkt auf uns gerichtet. Ich hatte Angst und wagte es nicht, mich in die vordere Reihe zu stellen. Ich dachte, wenn es ihnen gelänge, mich zu filmen, würden sie später nach mir suchen. (Tante D verschwand für mehrere Jahre in einem Arbeitslager.)

Die Praktizierenden, die glaubten, dass das Petitionsbüro in der südlichen Fuyou Straße liege, oder diejenigen, die glaubten, dass sie den Block umrunden und die Hutongs vom Westen her betreten könnten, sahen ihren Weg am Changan Boulevard blockiert und wurden ermutigt, sich wieder nach Norden zu bewegen vor die Westtore von Zhongnanhai. Diejenigen, die vom Norden kamen, durften sich der Menschenmenge anschließen und wurden schnell die Fuyou Straße hinunter gedrängt. Tante C (eine Freundin von Tante D) beschrieb es so: „Zu dem Zeitpunkt gaben sie uns Befehle: Geht hier entlang, geht hier entlang - und wir folgten."

Die Bühne für die Kabuki Aufführung, die dann folgte, war bereitet. Das beruhigende öffentliche Erscheinen des Premierministers Zhu Rongji und das langsame Umfahren Zhongnanhais von Jiang Zemin in seiner Limousine mit getönten Scheiben. Während der ganzen Zeit, 16 Stunden lang, gab es keinen Bericht, keinen Film oder eine plausible Erklärung dafür, dass die Falun Gong-Praktizierenden irgendetwas taten, das auch nur im Geringsten als Provokation gedeutet werden konnte. Kein herumliegender Müll, kein Rauchen, kein Singen, keine Gespräche mit Reportern (oder irgendjemand anderem).

Ein Praktizierender schlug vor, dass sie sich abwechseln sollten, um etwas zu essen oder zu trinken aber die anderen Praktizierenden „... sagten nein, auf keinen Fall. Denn wenn wir trinken wollen, müssen wir in einen Waschraum [Toiletten] gehen und das würde diejenigen stören, die dort wohnen oder arbeiten." Selbst nach den erfindungsreichen Standards der Partei gab es einfach keinen Vorwand, der es gerechtfertigt hätte, die Truppen einzusetzen, die am Tor der Verbotenen Stadt warteten.

Die Ankündigung am Abend über die Freilassung der in Tianjin Festgenommenen wurde mit ruhiger Erleichterung aufgenommen und hinterließ bei den Praktizierenden ein optimistisches Gefühl. Nach Aussagen von Tante C lauteten die offiziellen Medienberichte am nächsten Tag: „Falun Gong Anhänger versammelten sich bei Zhongnanhai, 'sie sagten nicht, wir umstellten Zhongnanhai.' Die Berichte brachten auch zum Ausdruck, dass jeder die Freiheit habe, zu praktizieren oder nicht, ganz nach Wunsch."

Den Rest, denke ich, kennen Sie wahrscheinlich bereits: Die unaufhörlichen Versicherungen von Seiten der Partei, dass alles in Ordnung sei, dass die „drei Nein" (keine Werbung, keine Kritik, keine Debatten über Qigong) noch amtlich seien - wohingegen die Telefone der Praktizierenden bereits angezapft wurden, Spione auf den Übungsplätzen der Praktizierenden auftauchten, Warnungen auf ausgesuchten Arbeitsplätzen erschienen und die Partei das Büro 610 einrichtete, eine der entsetzlichsten Einrichtungen der Geheimpolizei mit uneingeschränkten Machtbefugnissen. Am 20. Juli setzte sich die gut geölte Maschinerie für die Razzia in Gang, um in ganz China unbehelligt ihr Handwerk zu betreiben. Und alles fand seine Rechtfertigung in der Vorstellung eines infamen Datums, des 25. April, eine Vorstellung, die dazu benutzt wurde, um eine noch nie da gewesene Verfolgung einzuleiten, die bis heute andauert.

Ein Punkt zum Schluss noch. Der Offizier Hao Fengjun wurde im Jahre 2000 zu seiner Arbeit im Büro 610 eingeteilt. Das erste, was er bemerkte: „Unser Abhörraum hatte bereits eine umfassende Sammlung von Berichten und Daten über Falun Gong-Praktizierende. So etwas kann man nicht in ein oder zwei Jahren zusammen tragen."

Haos Verdacht ist richtig. Nach Aussagen eines früheren Distriktbeamten, ich werde ihn Minister X nennen, wurde die Entscheidung der Partei, Falun Gong zu eliminieren und Vorbereitungen auf dieses Ziel hin zu treffen, lange Zeit vorher getroffen, bevor irgendein Verbot öffentlich bekannt gemacht wurde. Diese Entscheidung wurde ausnahmslos nur auf internen Parteitreffen verbreitet: Jiang Zemin konnte das Problem des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens nicht lösen, es sei denn, er schuf eine neue Zielgruppe. Das war Falun Gong. Andererseits erhielt Minister X den Befehl, unauffällig die Ausstellung für Geschäftslizenzen an Falun Gong-Anhänger zu stoppen. Der 25. April war ganz einfach der Beginn einer ausgeklügelten Lockvogeltaktik mit Falun Gong als Sündenbock.

Vielleicht könnte Letzteres auch für den Westen gelten.

Zehn Jahre ist es jetzt schon her. Wollte die Partei wirklich so viele töten? Natürlich nicht. Die Partei ist geneigt, an ihre eigene Rhetorik zu glauben. Und das, so scheint es, machen auch westliche Berichterstatter. Die Partei wird sich nicht selbst feuern und es ist an der Zeit, dass sich der Westen mit der Realität in China beschäftigt. Eine post-kommunistische Bürgergesellschaft in China wird eine Rolle für Falun Gong beinhalten und wir sollten uns klar werden über die wirkliche Geschichte dieser Bewegung. Für heute genügt es, mindestens einen Mythos auszuräumen, der die unangebrachte Idee nährt, dass es nicht Aufgabe des Westens sein soll, sich in einen undurchsichtigen Familienstreit einzumischen. Falun Gong hat diesen Krieg nicht angefangen. Das war die Kommunistische Partei Chinas. Und die Partei sollte auch für die Ergebnisse zur vollen Verantwortung gezogen werden.

----

Herr Gutmann, außerordentliches Mitglied der Foundation for Defense of Democracies, ist Autor des Buches „Losing the New China: An Story of American Commerce, Desire, and Betrayal“ Er dankt der Earhart Foundation und der Familie Peder Wallenberg für die Unterstützung seiner Nachforschungen.