Liebe Mutter! Wo kann ich dich jetzt finden?

Brief der Tochter von Frau CHEN Zixiu, die von der chinesischen Regierung zu Tode gefoltert wurde

Am 21. Februar 2000 starb meine Mutter nach drei Tagen Folter durch die chinesischen Behörden, nur weil sie eine Falun Gong Praktizierende war.

Meine Mutter, Frau Chen Zixiu, 59 Jahre alt, war eine Bewohnerin des Dorfes Xujia, in der Beiguan-Straße, Stadt Weifang, Provinz Shandong. Sie war eine Falun Gong Praktizierende.

Am 16. Februar 2000 stieß meine Mutter, als sie die Fushou-Straße hinunter ging, auf Parteisekretär Li, "dem Beamten zuständig für das Falun Gong Problem" des Büros in der Beiguan-Straße. Li nahm meine Mutter fest und brachte sie zum Verhör und zur Leibesvisitation in die Beiguan Polizeistation. (Während der "zwei Konferenzen" - der Volkskongreßkonferenz und der Politischen Konsultationskonferenz - wurden örtliche Behörden angehalten, den Falun Gong Praktizierenden besondere Aufmerksamkeit zu schenken.) Noch am gleichen Abend wurde sie vom Licun Dorfkomitee in Gewahrsam genommen. Um 20:00 Uhr verließ meine Mutter diesen Ort. Am Nachmittag des 17. Februar traf Parteisekretär Li auf dem Weg zum Bahnhof meine Mutter wieder. Er rief sofort die Polizei und brachte sie in das "Falun Gong Gewahrsams- und Transformationszentrum" des Chengguan-Straßenbüros. Sie verlangten von unserem Dorfkomitee auch, RMB 2000 (ca. DM 570) als "Gewahrsamsgebühr" zu bezahlen.

Um 7:00 Uhr morgens des 18. Februar erhielt meine Familie einen Telefonanruf. Der Anrufer behauptete, von der lokalen Polizeistation zu sein, und verlangte von uns eine Decke und RMB 1000 (ca. DM 285) als Verpflegungs- und Übernachtungsgebühr vorzubereiten. Wir zweifelten an der Echtheit des Anrufes und riefen bei der Hebeiguan Polizeistation an, um zu überprüfen, ob sie uns tatsächlich angerufen hatten. Dort aber verneinte man, uns angerufen zu haben. Nachts rief uns wieder jemand an und fragte, ob wir alles vorbereitet hätten. Diesmal hörten wir vom anderen Ende die Stimme meiner Mutter: "Bringt mir eine Decke. Sie haben RMB 1000 verlangt. Gibt sie ihnen. Alles andere ist nicht so wichtig, aber das Geld ist entscheidend. Ich bin im Gebäude Nr. 1 des Zhuangzhongyuan."

Am 19. Februar als ich noch zögerte, das Geld zu zahlen, erhielt ich einen Anruf von einer weiblichen Person: "Hallo, warten Sie bitte." Dann hörte ich die stockende Stimme meiner Mutter, die auf schweres Leiden deutete: "Egal wieviel Geld sie wollen, gib es ihnen schnell. Bring mir eine Decke." Plötzlich merkte ich, daß etwas nicht in Ordnung war (ich hatte erfahren, daß im Weichen Distrikt sechs oder sieben Gewahrsamszentren aufgebaut worden waren, in denen extrem brutale Foltermethoden benutzt wurden, um Falun Gong Praktizierende zu zwingen, ihren Glauben aufzugeben).

Am Mittag des 20. Februar brachte ich die vorbereiteten Sachen zum Zhuangzhongyuan Gewahrsamszentrum. Es kamen einige Personen heraus, um das Geld zu nehmen. Aber ich konnte meine Mutter nicht sehen. Vor dem Tor stand ein Polizeiwagen. Als ich zu Hause war, sagte mir jemand, der gerade aus dem Zentrum entlassen worden war: "Die Folter da drinnen war absolut unerträglich. Niemand konnte sie ertragen und fast jeder schrieb eine Verpflichtung, mit Falun Gong aufzuhören. Es sind noch 4-5 Leute dort in Gewahrsam." An jenem Abend konnte ich mich nicht beruhigen und ging mit meinem älteren Bruder zum Gewahrsamszentrum. Aber wir wurden nicht hineingelassen.

Am Morgen des 21. Februar rief ich beim Volkskongreß der Stadt an und drückte meine Bedenken und meine Sorge aus. Aber die Leute dort sagten mir, daß sie keine Kontrolle über die Sache hätten.

Am Abend des 21. Februar, um ca. 19:00 Uhr, brachte Dorf-Parteisekretär Yu Lezheng ohne jeden Grund mich und meinen älteren Bruder in das Zimmer 206 (2. Etage) des Jinhai Hotels, wo bereits 30 Personen waren, einschließlich der lokalen Polizei, Dorf- und Straßenbeamten und Distriktbehörden. Wir erfuhren, daß meine Mutter um 9:00 Uhr morgens des gleichen Tages eines "natürlichen Todes" durch "Herzinfarkt" gestorben war.

Mein Onkel, Herr Chen Zihe, war auch gekommen. Die Leute dort erlaubten uns weder zu telefonieren noch nach Hause zu gehen. Sie weigerten sich, uns zu sagen, wo sich der Körper meiner Mutter befand, und sie erlaubten uns auch nicht, einen Blick auf ihren Körper zu werfen oder das Hotel zu verlassen. Mein Bruder und ich versuchten mehrmals, von dort zu entkommen, aber wir wurden jedesmal von dem Sicherheitspersonal zurückgehalten. Während dieser Zeit kam Direktor Wang vom Städtischen Krankenhaus zu uns und sagte, daß meine Mutter eines "natürlichen Todes" durch "Herzinfarkt" gestorben war. Der Leiter der Distriktabteilung des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit, Herr Liu, sagte uns, daß wir die höheren Behörden um Instruktionen bitten sollten und daß wir diesen Instruktionen folgen sollten. Nachts um 00:34 Uhr erlaubten sie uns dreien durch mein erbittertes Fordern, daß wir das Hotel verlassen und am nächsten Tag die Leiche sehen konnten.

Um ca. 8:00 Uhr morgens des 22. Februar gingen wir in das Städtische Krankenhaus. Das Krankenhaus war von der Polizei abgeriegelt worden. Ca. 30 Polizisten bewachten den Leichensaal. Um ca. 10:00 Uhr gingen wir begleitet vom Arzt der Notaufnahme, Wang Jinli, in den Leichensaal. In der südwestlichen Ecke des Hofes waren die Kleider meiner Mutter auf einem Haufen gelegt worden. Ca. 40 Familienmitglieder und Verwandte bezeugten mit ihren eigenen Augen den fürchterlichen Anblick des Körpers meiner Mutter. Sie war mit Leichenkleidung bekleidet und geschminkt worden. Nachdem wir ihre Kleider geöffnet hatten, sahen wir große schwarze und lila Flecken auf ihrem ganzen Körper außer auf dem oberen, vorderen Teil ihres Körpers. Überall gab es innere Blutungen. Sogar ihre Ohren waren dunkelviolett. Ihre Zähne waren aus- bzw. zerschlagen. Obwohl sie geschminkt worden war, war noch Blut zu sehen. Ihre Kleider, Decke und Unterwäsche im Hof waren alle mit Kot bedeckt. Fast alle ihre Sachen waren mit einer Schere in Stücke geschnitten worden. Der Arzt sagte: "Als sie hier ankam, war sie kalttot." Obwohl wir alle Fotos gemacht hatten, hofften wir, das auch auf Video dokumentieren zu können. Als ich Leute mit einer Kamera herholte, wurden wir jedoch von den Polizisten umzingelt. Der Leiter der Abteilung des Sicherheitsministeriums, Herr Liu, warnte uns ernsthaft davor, hineinzugehen. Als ich fragte, warum ich nicht hineingehen dürfe, wenn meine Mutter eines "natürlichen Todes" gestorben war, sagte er uns, daß er nur Befehle von höheren Behörden ausführte. Zu den "höheren" Behörden zählten auch die Führungsmitglieder der Stadtverwaltung. Dann fragte ich ihn: "Wenn ihr Gesetzesvertreter schon eure Macht mißbraucht, warum hört ihr dann noch auf die Verwaltungsbehörden der Regierung?!" Obwohl er keine Antwort fand, konnten wir aufgrund der Blockade durch 30 Polizisten nicht hineinkommen. Später sahen wir Gerichtsmediziner, die hineingingen und die Leiche untersuchten, während wir draußen bleiben mußten. Als ich zu Hause angekommen war, hatte ich den Verdacht, daß Polizisten meine Mutter zu Tode gefoltert hatten. Ich berichtete daraufhin der Distriktstaatsanwaltschaft von dem Fall, doch nichts geschah.

Danach versuchten die Straßenbehörden, "Trost" zu spenden. Um ca. 22:00 Uhr des gleichen Tages schickte uns das Beiguan Straßenbüro einen Brief vom Städtischen Krankenhaus mit folgenden Wortlaut (verifiziert durch Kopie):

Beiguan Straßenbüro, Weichen Distrikt:

Die Dorfbewohnerin Chen Zixiu aus Ihrem Distrikt starb trotz Rettungsversuchen in Folge eines Herzinfarkts in unserem Krankenhaus am 21. Februar 2000 um 9:30 Uhr. Ihr Körper ist jetzt schon seit über 30 Stunden in unserem Krankenhaus. Es sind schon Fäulnisflecken entstanden und der Körper fängt an, sich zu zersetzen. Unser Krankenhaus kann den Körper nicht mehr ordnungsgemäß aufbewahren. Bitte veranlassen Sie, daß die Familie den Körper zum Leichenbestatter transferiert.

Weifang Städtisches Krankenhaus
22. Februar 2000

In dieser Nacht stimmten wir der Empfehlung zu, den Körper einfrieren zu lassen und entschieden uns, dies am nächsten Tag zu tun. Mittlerweile haben wir verstanden, daß alle Forderungen nach unseren Grundrechten von den Befehlen der Behörden abhängig waren. Von diesem Tag an ist der Körper meiner Mutter vom Ministerium für Öffentliche Sicherheit verwahrt worden, und meine Familie wird 24 Stunden täglich von den Behörden überwacht.

Um ca. 7:00 Uhr des 23. Februar warteten mehr als 20 meiner Familienmitglieder und Verwandten vor dem Leichenschauhaus, um von den "höheren" Behörden die Erlaubnis zu erhalten, hineinzugehen. Wir hofften, meine Mutter mit Kleidern, die ihre Kinder gemacht hatten, anziehen zu können, bevor sie eingefroren wurde. Meine Familie, einschließlich der Jungen und der Alten, wartete bei -6° C bis 11:00 Uhr, bis die Erlaubnis vom Ministerium für Öffentliche Sicherheit erteilt wurde.

Um 16:00 Uhr des gleichen Tages informierte uns die Staatsanwaltschaft, daß die Polizei meine Mutter nicht geschlagen habe und daß der Fall an das Ministerium für Öffentliche Sicherheit übertragen worden war. Um 17:00 Uhr begannen die Distriktsabteilung des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit und die Distriktstaatsanwaltschaft gemeinsam die Untersuchung des Falles, und sie teilten uns mit, daß der Körper gemeinsam von 10 Gerichtsmedizinern der Provinz-, Präfektur- und Gemeindeebene am Nachmittag des 24. Februar untersucht werden würde. An jenem Nachmittag wurde die Untersuchung durchgeführt. Die Gerichtsmediziner faßten kurz zusammen: "Dem Eindruck nach waren die Verletzungen durch Schläge gering und nicht schwerwiegend genug, um zum Tode zu führen. Tatsächlich wird die Möglichkeit, zu Tode geschlagen worden zu sein, ausgeschlossen, und es ist nicht notwendig, den Körper weiter aufzubewahren." Wir wußten wenig über Medizinwissenschaft. Aber ohne ein Ergebnis zu haben, fühlten wir eine unerfüllte Verpflichtung gegenüber der Toten und wiesen die Forderung, den Körper einzuäschern, zurück.

Später erfuhren wir, wie meine Mutter in jenen drei Tagen brutal gefoltert worden war. Wir erfuhren auch von dem unmenschlichen und geisteskranken Verhalten eines Teils des "Arbeitspersonals", das die Regierung vertritt. Sie brüllten einmal: "Jeder, der freikommen will, muß eine Verpflichtung schreiben, Falun Gong aufzugeben. Diejenigen, die die Verpflichtung nicht schreiben, werden eines natürlichen Todes sterben. Sie kommen tot heraus. Jedem, der sich selbst erhängen will, wird ein Strick gegeben. Wenn etwas passiert, selbst wenn wir ins Gefängnis kommen, kommen wir heute hinein und sind morgen wieder draußen." Gleichzeitig erfuhren wir, wer sie waren und wer hinter ihnen stand. Wir hofften sehr, mit den Leuten, die die Leiden meiner Mutter in den drei Tagen bezeugt hatten, sprechen zu können. Wir nahmen davon aber Abstand, weil wir fürchteten, diesen Leuten dadurch Probleme zu schaffen. Wir wollten einen Rechtsanwalt engagieren. Uns wurde jedoch gesagt, daß Rechtsanwälte die Erlaubnis des Justizministeriums benötigen, um die mit Falun Gong verbundenen Fälle übernehmen zu können. Uns allen ist klar, welch komplizierter Situation wir gegenüberstehen. Zu viele Menschen haben uns gesagt, daß uns keine Gerechtigkeit widerfahren wird. Ich weiß, daß sie das gut meinen. Wir wissen, daß Falun Gong Praktizierende uns unterstützen würden. Aber wir fürchten, daß die Konsequenz eine weitere Tragödie oder ein weiterer "natürlicher Tod" sein würde.

Einige meiner Gedanken: Ich habe nicht die Absicht, für Falun Gong etwas zu tun oder zu sagen. Ich bin selbst keine Falun Gong Praktizierende. Ich möchte nur von einigen Fakten berichten, die ich kenne:

Die gute Gesundheit meiner Mutter war für alle Menschen in ihrer Umgebung offensichtlich. Sie hatte einen so bewundernswert gesunden Körper, daß sie überhaupt keine Medizin genommen hat oder zum Arzt gegangen ist, denn sie hatte überhaupt keine Krankheiten. Ich respektiere ihre Wahl des Glaubens. Ihre Warmherzigkeit, Selbstlosigkeit und Offenheit waren von allen Menschen um sie herum hoch geschätzt. Wir erinnern uns an und vermissen jeden Tag ihrer 20 erfüllten Jahre als Witwe. Wir bewundern ihren starken Willen, ihre Persönlichkeit und ihre Einstellung. Alle Menschen ihrer Umgebung wußten, daß sie ein guter Mensch war. Aber ihr Ende ist so traurig.

Als ihr Kind, solange ich einen einzigen Tag in dieser Welt am Leben bin und keine Gerechtigkeit für meine Mutter bekommen kann, kann ich meinem Gewissen nicht entgegentreten. Mein Herz kann keine Ruhe finden.

Liebe Mutter! Wo kann ich dich jetzt finden? ...

Von ZHANG Xueling (keine Falun Gong Praktizierende)
Tochter von Frau CHEN Zixiu

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