"Praktizierende einer Meditationsgruppe berichten über Mißhandlungen durch die Regierung"


von Jon Sawyer

("St Louis Post-Dispatch", 25.05.2000)



NANJING - Die Polizei in Nanjing dementiert Anschuldigungen, die besagen, daß Praktizierende der Praktik- und Meditationsgruppe, die als Falun Gong bekannt ist, festgenommen, geschlagen und zwangsweise in Nervenheilanstalten verlegt worden sind.

Die Journalisten der Stadt behaupten, daß es nichts gäbe, worüber man berichten könnte.

Sogar anerkannte, westlich orientierte Professoren halten nichts von der Debatte über Falun Gong. Sie behaupten, westliche Kritiker würden zu viel Wert auf eine Handvoll Leute am Rande der chinesischen Gesellschaft legen, die auf lächerliche Weise irregeführt worden seien.

Aber wenn all das wahr ist, was ist dann mir den acht Personen, die auf die Gefahr hin, ins Gefängnis zu kommen, einen Reporter des Post-Dispatch trafen und detaillierte Berichte darüber abgaben, wie sie festgenommen und inhaftiert worden waren, manchmal wochenlang, nur weil sie gegen die Entscheidung der Regierung vom letzten Sommer protestiert hatten, eine Übungspraxis zu verbieten, der bis dahin Millionen von Chinesen friedlich in öffentlichen Parks nachgegangen waren?

Und was ist mit Li Annin, der pensionierten Managerin einer Investmentgesellschaft, die in einer geschlossenen Station der Nanjing Nervenheilanstalt festgehalten wird?

Die Personen, die einen Reporter in einer Arbeiterklasse-Wohnung trafen, legten haarsträubende Berichte darüber ab, was die Niederschlagung von Falun Gong durch die Regierung für sie bedeutet:


  • Ein 55 Jahre alter Chauffeur berichtete, daß er entlassen und zu einem gewöhnlichen Arbeiter degradiert worden war, wobei sein Gehalt um 60 Prozent gekürzt wurde. Eine 24 Jahre alte Fabrikarbeiterin berichtete darüber, daß die Polizei passiv dabeistand, als gewöhnliche Kriminelle eine andere weibliche Praktizierende verprügelten, die mit ihr in der gleichen Zelle war.

  • Eine 34 Jahre alte Arbeiterin einer Nanjinger Raffinerie sagte, daß sie festgenommen worden war, nachdem sie im Dezember an einem Protest in Peking teilgenommen hatte. Sie wurde zwei Monate auf der Nanjinger Polizeistation festgehalten. Danach wurde sie zwangsweise in die Nanjing Nervenheilanstalt überführt und dort für weitere drei Wochen festgehalten.

  • Der Ehemann der Frau protestierte gegen die Einlieferung, und ihm wurde eine Falle angeboten. Polizeibeamte sagten ihm, daß seiner Frau erlaubt würde, die Nervenheilanstalt früher zu verlassen, aber nur, wenn er Dokumente unterschrieb, die besagten, daß seine Frau geistig krank sei. Dies lehnte er ab. Sie wurde schließlich entlassen: ihren Angaben zufolge gegen eine Bezahlung einer Strafe von 600 USD.

  • Das Treffen wurde von einem Lehrer arrangiert, der in einem Nanjinger technischen Institut arbeitet und seit vier Jahren Falun Gong praktiziert. Der Post-Dispatch fand ihn durch einen Freund, der nach Kanada ausgewandert ist.

    "Nachdem ich Ihren Namen erhalten hatte, war ich mir erst nicht sicher, was ich tun sollte", sagte er, "aber ich fand, daß es unmenschlich ist, Menschen ins Krankenhaus zu zwingen. Diese Praktizierenden treffen sich nicht öffentlich. Sie verstoßen nicht gegen Gesetze. Sie werden nur für ihren Glauben bestraft."

    "Ich hoffe, daß durch Ihren Bericht Leser im Westen etwas darüber erfahren werden, was hier passiert," fügte er hinzu. "Berichten Sie es ihren Lesern so objektiv wie möglich. Übertreiben Sie nicht. Sagen Sie nur die Wahrheit, und lassen Sie sie es wissen."

    Der Mann sagte, daß er seiner Frau nicht gesagt hatte, daß er das Treffen mit den Praktizierenden arrangiert. "Sie will nicht, daß ich in diese Sachen involviert bin," sagte er. "Sie macht sich Sorgen über ihre Sicherheit."

    Der traurigste Fall war der von Li Annin.

    Die Augen klar, mit ihren gepflegten schwarzen Haaren und einen modischen braunen Pullover tragend, sah Li, 51 Jahre, in dem lärmenden Aufenthaltsraum der Station 5 der Nanjing Nervenheilanstalt fehlplatziert aus. Ein Fernseher plärrte in der Ecke und ungefähr ein Dutzend Frauen, viele von ihnen offensichtlich gestört, liefen umher.

    Li sagte, daß ihre Schwierigkeiten anfingen, als sie im Januar nach Peking ging, um gegen das Verbot von Falun Gong zu protestieren. Sie wurde auf dem Tiananmen-Platz festgenommen und zur Nanjinger Polizeibehörde gebracht. Sie wurde dort einen Monat festgehalten und dann der Obhut ihres erwachsenen Sohnes übergeben. Ein paar Wochen später unterschrieb der Sohn die Verpflichtungsdokumente, die sie in die Nervenheilanstalt zwangen.

    "Ich gebe meinem Sohn nicht die Schuld," sagte Li, während sie auf einer Bank vor einem nackten Holztisch saß. Sie sagte, daß sie seine Ängste verstehe, daß die Tatsache, daß sie eine Praktizierende ist, dazu führen könnte, daß seine Karriere und seine Familie in Mitleidenschaft gezogen werden. "Er könnte die Leiden, die ihm dadurch entstehen würden, nicht aushalten," sagte sie.

    Das Gespräch fand während der regulären Besuchszeiten statt, dauerte aber nur ein paar Minuten. Es wurde von einer Krankenschwester unterbrochen, die Frau Li sagte, daß die Anwesenheit eines Ausländers in der Station ihr den Job kosten könne, wenn ihre Vorgesetzten davon erführen.

    Praktizierende in Nanjing erzählten, daß ein halbes Dutzend Praktizierende in dem Krankenhaus festgehalten werden. Menschenrechtsaktivisten behaupten, daß sich im ganzen Land Hunderte in ähnlichen Situationen befinden. Es ist jedoch schwierig, diese Statistiken in einem Land zu verifizieren, in dem offiziell jegliche Inhaftierung dementiert wird.

    Die Nanjinger Stadtverwaltung hat eine Ausstellung in der Innenstadt organisiert, die mit Hilfe von Fotos und Texten nahelegt, daß Falun Gong den "Branch Davidians" aus Waco, Texas, oder den Opfern des Jonestown Massenselbstmordes in Guyana oder anderen "bösartigen Sekten" ähnlich ist. Die Medien vor Ort haben die Anschuldigungen der Regierung zitiert, haben aber keine unabhängigen Untersuchungen der Mißhandlungen unternommen.

    "So weit ich weiß," sagte Chen Longqui, Direktor der Rechtsabteilung der Nanjinger Behörde für öffentliche Sicherheit, "sind in Nanjing keine Praktizierenden von Falun Gong im Gefängnis oder woanders festgehalten worden."

    In der Nanjinger Nervenheilanstalt wird den Patienten währenddessen erlaubt, die fünf Übungen des Falun Gong weiter zu praktizieren - solange sie die Medizin nehmen, die sie von der Falun Gong Krankheit heilen soll.

    Vor nicht all zu langer Zeit hätte allerdings ein westlicher Reporter in China keinen Zugang zu einem Häftling in einer Nervenklinik erhalten.

    Aber auch heute ist China ein Land, in dem Menschen aus Gründen, die im besten Fall zweifelhaft sind, in Nervenkliniken geworfen werden können und in dem Journalisten, Beamte und gewöhnliche Leute größtenteils sich dafür entscheiden, wegzuschauen.

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