Kleine Zeitung (Österreich),10.11.2002: Reich

Karl Marx aber längst nichts mehr am Hut, die heutigen Machthaber wollen vor allem Chinas wirtschaftliche Öffnung vorantreiben.

Denn die chinesische Spielart des Kommunismus ist mittlerweile ein beinharter Kapitalismus - allerdings ohne Demokratie. Die Gefängnisse und Arbeitslager sind voll mit Andersdenkenden, die mehr Vielfalt und Freiheit fordern. Massenbewegungen wie Falun Gong werden mit voller Härte niedergeschlagen. Mit der Ängstlichkeit eines Diktators, der fürchtet, die Kontrolle zu verlieren, wird alles unterdrückt, was politische Veränderung fordert.

Die ist aber nur schwer aufzuhalten. Das merkt auch die Partei. Im heutigen China sind nicht die Bauern und Arbeiter, sondern die Privatunternehmer im Vormarsch. Sie gelten als Stützen des Wirtschaftsaufschwungs, der seit 24 Jahren anhält. Einige wenige haben enormen Reichtum angehäuft, jetten mit Privatfliegern durchs Land und leben in monströsen Villen. Die KP hat sich den einstigen Klassenfeind kurzerhand einverleibt: Neuerdings dürfen die Privatunternehmer trotz ihrer kapitalistischen Lebensart Parteimitglieder werden. "Schließlich arbeiten", so die offizielle Lesart, "auch die Unternehmer beim Aufbau des Sozialismus mit."

Die Umarmung der Kapitalisten geht einher mit dem Abschied vom Proletariat. Die einst privilegierten Arbeiter sind die großen Verlierer der Wirtschaftsreformen. 55 Millionen Menschen verloren seit 1996 mit dem Umbau der Staatsbetriebe ihre Arbeit und damit auch Kranken- und Pensionsversicherung. In einigen Städten kochte der Volkszorn bereits über, die Armee gebot den monatelangen Demonstrationen Einhalt. Auch für Millionen von Bauern wurde mit dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation der Wettbewerb härter und die soziale Kluft tiefer. Dass nur ein Teil der neuen Reichen aus eigener Kraft zu Geld kam, oft aber KP-Bonzen und Beamte aus ihren Ämtern Kapital schlugen, sorgt zusätzlich für Sprengstoff.

Konkurrenz. Das Zauberwort der Regierenden bleibt "Stabilität", weil alles andere die Alleinherrschaft gefährden könnte. Es bleibt ein spannendes Experiment, ob eine Gesellschaft, für die Vielfalt der Ideen und Konkurrenz im Bereich der Macht nicht vorgesehen sind, die Herausforderungen wird bewältigen können