BBC: Chinas dunkle Seite

Die Polizei möchte oft nicht, dass man über ihre Einsätze berichtet

Wenn du nach „Starbucks“ spazierst, ganz in der Nähe meiner Wohnung in Peking, wirst du es stets voller gut gekleideter junger Chinesen vorfinden, die fröhlich ihren Mokka oder Cappuccino schlürfen.

Genau gegenüber auf der anderen Straßenseite erheben sich die vertrauten goldenen Bogen von Mac Donald’s. Alles ist sehr behaglich.

China ist eine Mischung aus alt und neu

Das heutige China ist ein frei beweglicher Wirtschaftsmarkt, dessen führende Geschäftsleute in Harvard und Oxford ausgebildet wurden. Die Führer der Partei hocken sogar mit Bush und Blair zusammen und reden über freien Handel und die Terrorismusbekämpfung. Wenn man hier lebt, so wird man ganz leicht von einem Gefühl beschwichtigt, als habe sich China tatsächlich verändert.
Dann aber geschieht etwas, dass dich schaudernd mit einem Plumps wieder auf die Erde zurückbringt.
Vor zwei Wochen wurde ich durch genau so ein Ereignis aufgeweckt.

Als ich zur Arbeit ging, glitt aus einer Seitenstraße ein schwarzer Sedan und fing an, ein paar Meter hinter mir her zu schleichen. Vor dem BBC-Büro stand noch so einer.
Durch die dunkelgefärbten Scheiben konnte ich gerade eben die Gestalten von vier untersetzten Männern ausmachen, die mich scharf beobachteten.

Protest auf dem Tiananmen-Platz

Was geht hier um Himmels willen vor?, dachte ich. Im Laufe des Vormittags fing es an, klar zu werden. Medienberichten zufolge waren 14 ausländische Mitglieder der religiösen(Gruppe) Falun Gong in einem Pekinger Hotel verhaftet worden. Dann erreichte uns ein anonymer Anruf. „Es wird eine Protestkundgebung auf dem Tiananmen-Platz stattfinden,“ sagte der Anrufer und hängte auf.
Wir sprangen in unser Auto. Als wir das Bürogelände verließen, rauschten nicht einer, nicht zwei sondern drei schwarze Sedan hinter uns her.
Am Tiananmen-Platz waren die Sicherheitsvorkehrungen so stark, wie ich sie noch nie gesehen hatte.

Westliche Protestierende sind in den vergangenen Monaten bei verschiedenen Gelegenheiten festgenommen worden

Hunderte von uniformierten Polizisten standen dort, zusammen mit buchstäblich Hunderten von Polizisten in Zivil – junge, robust aussehende Männer, alle mit dem selben Bürstenschnitt und Mobiltelefon.
Als ich so stand und beobachtete, entrollten ausländische Protestierenden Spruchbänder und fingen an zu rufen:“ Falun Gong ist gut ! Schluß mit der Unterdrückung !“

Oft werden mutmaßliche Falun Gong - Anhänger eingesperrt

Aus den vier Ecken des Platzes kamen Hunderte von Polizisten gerannt. In wenigen Minuten war alles vorbei, die Protestierenden zu Boden geschlagen und in die wartenden Polizeiwagen gezerrt. Ich fing an, zum BBC-Wagen zurückzugehen, um meinen Bericht einzureichen.

Polizeiliches Verhör

Aber als ich an dem gewaltigen Stalinistischen Geschichts-Museum an der Ostseite des Platzes vorbeiging, bremste ein Polizeiwagen quietschend neben mir. Zwei Männer und eine Frau sprangen heraus. „Was tun Sie hier?“ fragten sie. „Nichts,“ sagte ich. „Sie müssen mit uns kommen, “ bestanden sie. „Wieso?“ fragte ich und meine Nackenhaare begannen, sich zu sträuben,“ ich habe nichts getan.“ „Macht nichts. Sie müssen mit uns kommen.“ Ich wurde zu einer nahegelegenen Polizeistation gebracht und in ein Vernehmungszimmer geschleppt.
Es waren schon einige andere ausländische Journalisten dort.

Ich fing an, mich mit einem von ihnen zu unterhalten. „Schluß mit schwatzen!“ schrie einer der Polizisten.
„Was sagen Sie?“ sagte ich.“ Sie können mir nicht verbieten, zu sprechen.“
„Ich kann Ihnen sagen, was mir gefällt,“ schrie er zurück, “ich bin ein Polizist!“
Ich sagte, er sei ein Dummkopf - sicher nicht gerade das Zartfühlendste, das man tun konnte.
Er schoß hoch, packte mich an der Kehle und schubste mich heftig gegen die Wand.
Mein Magen zog sich zusammen und für einen Augenblick dachte ich wirklich, er würde mich schlagen. „Wen nennst Du einen Dummkopf?“ lächelte er höhnisch, sein Gesicht dicht an meinem. „Sie haben etwas Ungesetzliches getan.“
„Haben Sie beantragt, zum Tiananmen-Platz zu gehen? Warum waren Sie dort? Wer hat Ihnen befohlen, dorthin zu gehen?“ Das Verhör wurde noch zwei Stunden fortgesetzt.

Einschüchterung

Sie versuchten mich dazu zu bewegen, ein Bekenntnis zu unterschreiben, dass ich ein chinesisches Gesetz gebrochen habe indem ich zu dem Platz ging. Ich verweigerte. Schließlich wurde mir erlaubt, zu gehen. Vor dem BBC-Büro standen wieder die schwarzen „Sedan“. In den folgenden Tagen folgten sie mir, wohin ich auch ging – sei es zu „Starbucks“ auf einen Kaffee oder sogar, als ich mit meinem Sohn in den Park ging. Die untersetzten Männer waren nie weit. Sie machten keinen Versuch, sich zu verbergen - wenn überhaupt, dann taten sie genau das Gegenteil. Die Absicht war, mich einzuschüchtern, mich von meiner Arbeit als Journalist abzuhalten.

Die Polizei ist sogar in „Starbucks“ anwesend

Es war nur eine kleine Irritation und nach ein paar Tagen gingen sie weg – jedenfalls fürs Erste.

Geheimakten

Chinesen, die wagen, die Regierung zu kritisieren oder anzuzweifeln sehen dem jeden Tag ins Auge. Eine bedeutende Dissidentin, die ich kenne, wurde 1o Jahre lang von einem Polizeiteam beobachtet. Wohin sie geht, was immer sie tut, sie sind immer im Hintergrund.
Es sind aber nicht nur Dissidenten. Das Kontrollsystem greift tiefer. Der chinesische Staat führt ein persönliches Dossier über jeden einzelnen Bürger - genannt Dang An.
Man kann es nie einsehen, man weiß also nicht, was drinsteht aber es kontrolliert dein Schicksal.

Eine schlechte Note, ein schlechter Schulbericht, eine Unstimmigkeit mit deinem Chef, ein Besuch beim Psychiater, das alles geht mit dir durch dein ganzes Leben.
Eine Bekannte erwischte einmal einen flüchtigen Einblick in ihre Dang An.
Darin war ein rosafarbener Zettel aus ihrer Grundschulzeit, den sie wieder erkannte.
Sachen, die sie als achtjähriges Kind gemacht hatte, folgten ihr noch mehr als 20 Jahre lang nach.

Bis sich das ändert, bleiben die modernen Kaffeebars und die Wolkenkratzer von Peking eine Tünche für einen Polizeistaat, der darauf angewiesen ist, Angst und Zwang auszuüben, um die Kontrolle nicht zu verlieren.