Münchener Merkur, 12.04.02: Geschäfte statt Humanität

JIANG ZEMIN AUF DEUTSCHLANDBESUCH

Der Adressat der Proteste bekommt die friedlichen Demonstranten gar nicht zu sehen: Wo immer Chinas Staatspräsident Jiang Zemin auftritt, schirmen ihn deutsche Polizisten von seinen Kritikern ab. Dafür darf ein Häuflein jubelnder chinesischer Studenten sogar vorm Kanzleramt Fähnchen schwenken.

Das gefällt dem Herrn über das Land der Mitte. Auf Kritik reagiert er dagegen allergisch.

Deshalb stellt sich Jiang auch kein einziges Mal der Presse - Journalisten könnten ihm kritische Fragen stellen - nach dem Schicksal von rund 4000 politischen Gefangenen in China, nach dem brutalen Vorgehen gegen die Falun-Gong-Bewegung, nach dem Grund der Flut von öffentlichen Hinrichtungen. Die deutsche Regierung will jeden Eklat vermeiden. 1994, als Li Peng seinen Besuch in München vorzeitig abbrach, ist noch in schmerzhafter Erinnerung.

Jiang Zemin darf sich also in Deutschland wie zu Hause fühlen. Denn der Staats- und Parteichef hat den Deutschen signalisiert, dass man sich in Peking wünscht, mit Europas mächtigstem Staat noch mehr Handel zu treiben, dass man den Deutschen zu einem festen Platz im Weltsicherheitsrat verhelfen wolle. Das zählt. Die Berliner, Potsdamer oder Dresdner werden nur durch schwer bewachte Fahrzeugkolonnen und abgeriegelte Straßen und Plätze auf den Besucher aufmerksam.

Auch Amnesty darf nur hinter einem Kordon aus Polizeibussen Flagge zeigen, weil nach Regierungsmeinung Zusammenarbeit besser ist als Kritik. Leisetreterei wirft Amnesty deshalb der Schröder-Administration vor. SPD und Grüne, die 1998 mit hehren humanitären Ansprüchen angetreten sind, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, die Humanität fürs Geschäft geopfert zu haben.

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