Dresdner Neuste Nachrichten,11.04.02: Gelb unerwünscht: Farbenlehre eines Staatsbesuchs

Chinas Staatspräsident Jiang Zemin besuchte Dresden und Meißen / Visite begleitet von Protesten gegen Menschenrechtsverletzungen in Fernost

Dresden/Meißen. Am Morgen ist der Theaterplatz ein Platz des Friedens. Die Polizisten sitzen noch in ihren Autos, die Stoßstange an Stoßstange den Platz rahmen. Kaum Touristen. Ein paar Dutzend junger Chinesen warten am Eingang zum Zwinger. Es könnte eine Touristengruppe sein. Nur führen die gewöhnlich keine roten Fähnchen mit sich. Später werden sie auch die großen roten Fahnen ausrollen und das rote Transparent mit einer freundlichen Botschaft für ihren Staatspräsidenten. Jene, die auf Jiang Zemin warten, sind Studenten. Wie Chu Yung Wu, der an der Technischen Universität Informatik studiert. Sie tragen, was man so trägt in ihrem Alter. Nur eines nicht, gelbe Pullover. Das könnte missverstanden werden. Gelb ist an diesem Besuchs-Tag in Sichtweite des chinesischen Präsidenten eine höchst unerwünschte Farbe. Denn Gelb ist die Farbe der Falun-Gong-Anhänger. Und die sind Verrückte. Sagen die Fähnchenschwenker.

Bevor der Gast Fahnen sieht - welcher Farbe auch immer - betrachtet er Leinwände, bemalte Leinwände. Das erste Bild, vor dem der 76jährige in der Gemäldegalerie alter Meister sein stoisches Lächeln lächelt, ist die Sixtinische Madonna. Dann im protokollarischen Schnelldurchlauf jeweils ein paar Minütchen vor Rembrandt, Hans Holbein, Vermeer. Das Bild, das Gastgeber Ministerpräsident Kurt Biedenkopf am ehesten als sein Lieblingsbild in der Galerie bezeichnet, "Küstenlandschaft" von Claude Lorraine, bleibt unbeachtet. Die Zeit reicht nur für Berühmtes. Auch wenn mancher aus dem Jiang-Tross das nicht immer zu würdigen weiß. "Wo hängen die berühmtesten Bilder", fragt ein chinesischer Journalist auf der Treppe hinunter zum Ausgang. "Der Dresden-Besuch des chinesischen Staatspräsidenten ist eine Referenz an die Kunststadt Dresden", sagt Biedenkopf. Im Zwingerhof spielt das Glockenspiel die chinesische Nationalhymne, Symphatisanten schwingen rote Fahnen, Jiang Zemin winkt gemessen und mit gebührendem Abstand zurück.

Ein paar Minuten später bekommt die so sorgsam und mit enormen Sicherheitsaufwand gebastelte Harmonie ihren ersten Kratzer. Vor dem Kempinski-Hotel löst sich aus der Gruppe der Jubler eine Frau und ruft auf chinesisch: Falun Gong ist gut. Der Präsident kann die Anhängerin des in China verbotenen Kults zwar nicht mehr hören, er ist bereits im Hotel verschwunden, die chinesische Sicherheit greift trotzdem ein. Der Beamte stürzt auf die Frau zu, fasst sie grob an den Hals. Später erzählt sie, er habe ihr schmerzhaft auf den Kehlkopf gedrückt. Sie wehrt sich laut, ein sächsischer Polizist in Zivil greift ein, drängt sie ab. Uniformierte kommen dazu, ein Gerangel entsteht, in dem die schreiende Frau abgeführt wird. Handgreiflich bemühen sich Polizisten ein Kamerateam, das die Szene filmt, daran zu hindern. Schockierte Zuschauer nennen das Vorgehen der Polizei brutal. "Wir sind doch hier nicht in China", äußert ein Mann am Straßenrand empört, der zuschaut, wie ein Polizist versucht, der Frau den Mund zuzuhalten. Wie Ministeriumssprecher Thomas Uslaub auf Anfrage mitteilte, gelangte der Vorfall kurz danach auf den Tisch von Innenminister Klaus Hardraht (CDU). Er beauftragte den Landespolizeipräsidenten, sich kundig zu machen. Noch nachmittags gab es eine Eilsitzung. Nach Auswertung eines Polizeivideos vom Einsatz sehe das Innenministerium aber derzeit keine Veranlassung für dienstrechtliche Konsequenzen, sagte Uslaub.

Während die Gäste im Kempinski-Hotel Mittag essen, sitzen vor dem Kulturpalast etwa 50 Falun-Gong-Anhänger und meditieren. Vor sich blumengerahmte Bilder von Chinesen, die nach Angaben der Meditationsgemeinschaft wegen ihrer Zugehörigkeit zu Falun-Gong in Arbeitslagern ums Leben kamen. Aktivisten der Bewegung verteilen Informationsmaterial, Verfolgungsopfer werden präsentiert. Die Farbe heißt gelb.

Wie kurz vor drei, als wie aus dem Nichts plötzlich Dutzende Falun-Gong-Anhänger sowie Vertreter der Tibet-Initiative in der Menge der Zuschauer auftauchen, die vom Kempinski-Hotel bis hinter die Schinkelwache abgedrängt werden. "Fahnen runter", schreit ein Polizist. Selbst von weitem soll dem chinesischen Präsidenten, der gerade aus dem Hotel kommt und ins Auto nach Meißen steigt, der Anblick der Farbe Gelb erspart werden. Die empfängt ihn aber auch vor der Meißner Porzellanmanufaktur. Drinnen ist es netter. Der Gast schaut sich ein Tafelservice an - Dekor "Gestreute Blümchen" - Porzellanmaler Andreas Zeinar bemalt vor seinen Augen eine Vase, es gibt Geschenke, drei Becher aus Meißner Porzellan.

Noch harmonischer wird es wieder am Abend. Nach einem Gespräch mit dem Ministerpräsidenten und dem Abendessen (Nachtisch: sächsische Plinsen) gibt es ein sächsisches Kultur- und Folkloreprogramm. Gefälliges von sorbischer Folklore bis Pop. Am Ende wird das große Halali geblasen.

Immerhin war es ja auch der letzte sächsische Staatsbesuch mit einem Gastgeber Kurt Biedenkopf.

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