Rede anlässlich der Veranstaltung von Falun Gong in Berlin am 8.4.2002

Berlin, 8.4.2002

Sehr geehrte Damen und Herren,

ein Viertel aller Menschen lebt in China. Ein Viertel aller Menschen in der Welt hat nicht das Recht auf eine eigene Meinung, auf Religionsfreiheit, auf freie Presse, hat nicht das Recht, Parteien zu bilden und seine Regierung frei zu wählen und darf nicht ohne ausdrückliche Genehmigung das Land verlassen. Dafür verantwortlich ist Jiang Zemin.

Sein Weg ist der Weg der Härte. Nur wenige Tage nach der Niederschlagung der Studenten im Juni 1989 wurde er Generalsekretär der kommunistischen Partei Chinas. Im April 1996 verkündete er die Kampagne "Hart zuschlagen!". Er sprach von den Kriminellen, er meinte aber die Uiguren und die Tibeter. Am 22. Juli 1999 verbot er die Falun Gong- Bewegung. Am 13. Dezember vergangenen Jahres verkündete er, daß der staatliche Einfluß auf die Religionen verstärkt werden müsse. Jiang Zemin und seine kommunistische Partei sind machtbesessen, sie vertragen keine Kritik, sie vertragen keine Kontrolle, sie vertragen noch nicht einmal Selbstverwirklichung im privaten Bereich.

In seiner Regierungszeit sind Hunderttausende unschuldiger Menschen aus politischen Gründen in Gefängnisse und Lager geschickt worden, hunderte Unschuldiger sind aus politischen Gründen hingerichtet worden.

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte beobachtet nicht nur die Menschenrechtsverletzungen in China, sondern auch, wie unsere Politiker darauf reagieren. Der Ausbau der Beziehungen zu einem so bedeutenden Staat wie China ist wichtig und richtig, aber es ist falsch, deswegen über Menschenrechtsverletzungen mehr und mehr zu schweigen und dennoch von freundschaftlichen Beziehungen zu reden. Einem Freund muß man alles sagen können, einem Freund muß man trauen können. Aber kann man Jiang Zemin alles sagen und darf man seiner kommunistischen Partei trauen?

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte erwartet, daß sich Bundeskanzler Gerhard Schröder für Xiong Wei, einsetzt, die hier in Berlin sechs Jahre von 1993 bis 1999 an der Technischen Universität studiert hatte und am 5. Januar 2002 beim Verteilen von Informationsmaterial über die Verfolgung der Falun Gong von der Polizei in Peking verhaftet wurde. Ist das zuviel erwartet?

Das Auswärtige Amt hatte am Wochenende Wie Jingsheng zu einem Gespräch empfangen - das ist in jedem Falle bequemer, als einen Bürgerrechtler, der in China bedrängt wird, einzuladen und sich für dessen Ausreise einzusetzen. Es ist auch bedeutend einfacher, Falun Gong als Sekte abzutun und ihre gewaltfreien Aktionen in Peking nicht zu kommentieren, als sich für die Freilassung ihrer verfolgten Anhänger einzusetzen.

Während Jiang Zemin konsequent seine Gegner verfolgt, fehlt hier der Mut, das Richtige zu tun. Das sage ich nicht nur an die Politiker gerichtet, sondern das sage ich ganz bewußt auch an die Adresse der Presse, die behauptet, stolz darauf zu sein, frei zu sein. Aber ist sie wirklich so frei, wie sie sagt? Oder verfolgt auch sie bereits politische und wirtschaftliche Interessen? Ist das Interview und die Pressekonferenz mit Jiang Zemin wichtiger als ein Aufruf zur Achtung der Menschenrechte und die Beantwortung der Schuldfrage wegen der Menschenrechtsverletzungen in China?

Als die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte 1999 erstmals über die Verfolgung der Falun Gong berichtete, veröffentlichten wir die Namen Li Chang, Wang Zhiwen, Ji Liewu und Yao Jieder. Sie waren im Juli 1999 verhaftet worden und wurden am 30.10.1999 wegen Organisierens eines gesetzwidrigen Kultes angeklagt. Diesen vier Namen folgten seitdem viele andere, aber noch viel mehr unbekannte namenlose Falun Gong Schicksale, deren Spuren sich in Umerziehungslagern verloren.

Die IGFM hat es sehr begrüßt, daß sich freie Menschen gefunden haben, die Zeichen setzen wollten und nach China gefahren sind, um dort vor Ort gegen das Unrecht, gegen die fortgesetzte Verfolgung zu demonstrieren. Nur wenn die Verfolgten in China selbst Unterstützung bekommen und die Menschen in China von der weltweiten Solidarität erfahren, wird sich wirklich etwas ändern und wird das unfreie System überwunden. Das war in DDR-Deutschland so, das war in der Sowjetunion und anderen Ostblockländern so. Darum sollten diese Aktionen fortgesetzt werden.

Jeder blickt jetzt auf Bundeskanzler Schröder: wird er mit Herrn Jiang Zemin über Menschenrechte reden oder wird er das niedrigeren Amtsrängen überlassen? Wird die freie Presse nur über das gute Einvernehmen von Schröder und Jiang Zemin berichten, oder wird sie auch über diese Kundgebung schreiben?

Einsatz für die Menschenrechte braucht nicht immer viel Mut. Aber Beharrlichkeit und Ausdauer. Jiang Zemin ist frei, er kann gehen, wohin er will; er kann sagen, was er will, er kann glauben, woran er will. Er nimmt die Menschenrechte wahr. Diese Rechte haben alle Chinesen und müssen alle Chinesen wahrnehmen können. Dafür stehen wir hier und dafür kämpfen wir weiter.