Sächsische Zeitung, 12.04.2002: Misstöne im feinen Meißner Glockenklang

Bei seiner Visite in Dresden wurde Chinas Staatspräsident Jiang Zemin auch von heimischen Realitäten eingeholt

Dresdner und Gäste der Stadt, die gestern Vormittag den Zwinger besuchen wollten, standen vor verschlossenen Türen. Besser gesagt, vor einem riesigen Polizeiaufgebot rund um das barocke Gemäuer und den Theaterplatz. "Die spinnen doch wohl", mault eine etwas aufgebrachte Dresdnerin, "das ist ja wie früher." Sie lässt sich aber dann von der bestimmten Höflichkeit eines Beamten beruhigen und wartet geduldig, bis zumindest die Straße zum Postplatz wieder freigegeben wird.

Einziger Besucher der Gemäldegalerie war bis zum Mittag Chinas Staatspräsident Jiang Zemin - selbstverständlich mit entsprechendem Schlepptau und mit Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf als ortskundigem Führer. Nach dem eher kurzen Abstecher zu den Alten Meistern spazierten Gäste und Gastgeber noch durch den Zwinger-Innenhof und konnten sich davon überzeugen, dass ein Glockenspiel aus echtem Meissener Porzellan durchaus auch die chinesische Nationalhymne intonieren kann.

Das Großaufgebot von 725 sächsischen Polizisten nebst chinesischen Sicherheitskräften sorgte dafür, dass während dieses offiziellen Programmteils nur rund 100 chinesische Studenten brav Beifall spenden und Fähnchen schwenken durften. Ein paar einsame Aktivisten von amnesty international, die per Plakat "Menschenrechte auch für China" einklagten, und eine an der mitgeführten Fahne erkennbare Vertreterin der Tibet-Initiative Deutschland hingegen mussten schon vor Eintreffen des Gastes den Rückzug antreten oder zumindest das mitgebrachte Megafon zeitweise in polizeiliche Verwahrung geben. Viel aufgeregter als die sächsischen Polizisten wirkten ob solch unbotmäßigen Verhaltens die chinesischen Sicherheitsbeamten, die schon beim bloßen Anblick der tibetischen Fahne in hektische Betriebsamkeit verfielen. Ein ziemlich augenscheinlicher Beleg dafür, dass "Flagge zeigen" gelegentlich durchaus für Bewegung sorgen kann.

Kleiner Zwischenfall vor dem Hoteleingang

Nicht verhindern ließ sich jedoch, dass es beim Eintreffen Jiangs am Kempinski Hotel Taschenbergpalais zu einem kleinen Zwischenfall kam, der das Staatsoberhaupt daran erinnerte, dass nicht alle Chinesen seine Auffassungen vom inneren-himmlischen Frieden teilen. Erst rief eine Frau laut den Namen der in China verfolgten Meditationsbewegung Falun Gong, dann musste sich Jiang von einem anderen Landsmann sogar aus unmittelbarer Nähe als "Massenmörder" titulieren lassen. Drei Protestierende sahen sich erst von chinesischen Sicherheitsleuten "bedrängt", bevor sie von der Polizei für einige Zeit in Verwahrung genommen wurden.

Schon kurze Zeit später aber tauchten sie wieder vor dem Kulturpalast auf, wo die Tibet-Initiative mit einer Mahnwache gegen Menschenrechtsverletzungen in China protestierte. Auch rund 50 Falun-Gong-Aktivisten hatten sich bei der offiziell angemeldeten Veranstaltung außerhalb der Besucherroute zu einer Meditation vor dem Kulturpalast niedergelassen. Auf einer improvisierten Pressekonferenz berichteten ausländische Falun-Gong-Anhänger auf ebenso drastische wie beeindruckende Weise von brutalen Repressalien, denen sie über Monate und Jahre in chinesischen Gefängnissen und Arbeitslagern ausgesetzt waren.

So wie die Malerin Zhang Cuiying, die erzählt, wie sie während ihrer acht Monate in Untersuchungshaft unter psychischen Druck gesetzt, körperlich misshandelt und zur Zwangsarbeit getrieben worden sei. Den offenkundigen Hass der Pekinger Führung auf die Bewegung erklärt sie auch damit, "dass Falun Gong mit rund 100 Millionen rund doppelt so viele Anhänger hat wie die Kommunistische Partei Mitglieder".

Auch der Name Jiang Zemin fiel auf dem Altmarkt des Öfteren. Als Anfang März in der chinesischen Stadt Changchun ein 45-Minuten-Bericht über die Verfolgung der Falun Gong über den örtlichen Kabelsender ging - Aktivisten hatten das Sendesignal angezapft und "ihr Programm" eingespielt -, ließ der Staatspräsident laut internen Angaben die sofortige Hinrichtung der Verantwortlichen anordnen.

Von den aus seiner Sicht ziemlich staatsfeindlichen Aktivitäten auf dem Altmarkt aber blieb der Staatsgast unbehelligt. Am Nachmittag besuchte er die Porzellan-Manufaktur in Meißen. Dort erhielt er als offizielles Geschenk der sächsischen Regierung drei Becher des früheren Meißner Gestalters Johann Gregorius Höroldt (1696-1775).

Dies dürfte Jiang und seine Gattin Wang Yeping ebenso mit Sachsen versöhnt haben wie das abendliche Gespräch und das festliche Abendessen mit Ingrid und Kurt Biedenkopf, der mit Jiangs Besuch seine letzte große internationale Audienz als scheidender "König" abhielt. Sozusagen im - wenn auch etwas fragwürdigen - Glanz des ebenfalls nur noch bis zum Herbst dieses Jahres regierenden chinesischen "Kaisers". Der musste sich im Kempinski-Hotel mangels hochrangigerer Räumlichkeiten allerdings mit der "Kronprinzen-Suite" begnügen, bevor er heute Morgen nach Goslar und Wolfsburg weiterfliegt.

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