Die Zeitung der Toskana, 28. Mai 2002: Offener Brief an den Präsidenten der Toskana, Martini

Lieber Herr Präsident Martini,

manchmal denke ich, vielleicht ein bisschen arglistig, daß Sie eine merkwürdige Angewohnheit angenommen haben. Einerseits sprechen Sie, vielleicht ein bisschen zuviel, von „Verpflichtung zum Frieden“, und andererseits versäumen Sie nicht die Gelegenheit, die „roten“ Teppiche auszurollen für die Repräsentanten der Volksrepublik China, die eine der grausamsten Diktaturen der Erde ist. Das haben Sie am vorigen Samstag für den Vizepräsidenten Li Lanqing getan und Sie haben es auch am 13. Mai gemacht, als Sie eine Delegation chinesischer Bürgermeister aus der Provinz Jangsu zu Gast hatten. Diese Provinz ist eine chinesische „Partnerprovinz“ der CGIL, mit der die Toskana einen Kooperationsvertrag geschlossen hat. Deshalb hat sie dies im Juli 2000 in die Tat umgesetzt, indem sie sich mit dem Premierminister Zu Rongji traf. Bis dahin also nichts Böses, denn auch ich kenne die Wichtigkeit der Diplomatie bei der Bildung einer anderen ,neuen Welt‘ zur Genüge. Aber mir kommen Zweifel, wenn ich Ihre unaufhörlich wiederholten Erklärungen von großer Freundschaft zu dem Dalai Lama bedenke. Ich möchte natürlich nicht, dass Sie es bei solchen Treffen an Höflichkeit fehlen lassen; aber auch nicht an Verantwortung, wenn auch nur als Repräsentant aller Toskaner, gegenüber Ihren Gästen, die Fragen der Menschenrechte zu erwähnen. Weil in allen Ihren Erklärungen nicht eine einzige Spur davon zu finden ist.
Wenn der Verdacht dann Wirklichkeit wird, lieber Präsident Martini, ändert sich alles. Am Samstag Nachmittag würden Radikale und Anhänger von Falun Gong Li Lanqing als Gast von Florenz friedlich empfangen und Sie freundlich gebeten haben, Herr Präsident, bei dem Treffen im Palast Bastogi, die Frage der Menschenrechte und den massenhaften Gebrauch der Todesstrafe in China anzusprechen. Die Polizei hat diese Leute aus der Via Cavour geräumt und sie in die Seitengäßchen verbannt. Eine kritische Aufmerksamkeit, sagen wir es mal so, die nicht unbeobachtet vorbeigegangen ist, sie waren nicht einmal „ein schwarzer Block“ der schlimmsten Sorte. Wie Sie wissen, war auch ich in der Via Cavour mit den ‚Freunden von Falun Gong‘ um die Fahne von Tibet hochzuhalten, das 1950 von der Volksrepublik China besetzt wurde.

Ich sagte, dass alles sich verändert. Ich begreife sehr wohl, lieber Präsident, dass Sie sich immer ferner von der Welt der „Nichtglobalen“ fühlen und daß Sie als nunmehriger Vorkämpfer der Ausdehnung der Wirtschaft die Sorge geteilt haben, auf die große Zahl der chinesischen Bewohner in der Toskana Aufmerksamkeit zu verwenden. Aber Sie müssen auch daran erinnert werden, dass Herr Li Langqing das ‚Büro 61o‘ lenkt, eine Einrichtung, die am 10. Juni 1999 vom Präsidenten Jiang Zemin extra geschaffen wurde, um gewaltsam die Bewegung des Falun Gong zu unterdrücken. Allein im Jahre 2001 – sie müssen das wissen - wurden mindestens 3500 Hinrichtungen durchgeführt, das sind 74,5% der Hinrichtungen weltweit. Die Todesstrafe wurde auch über Christen verhängt, die Bibeln verbreitet haben, über aufständische Uighuren, die des Separatismus angeklagt wurden, und über Hunderte von Menschen, angeklagt wegen gewaltloser Vergehen, unter ihnen viele tibetanische Mönche. Ich hoffe, dass Sie Ihren Gast an diese Nebensächlichkeiten erinnert haben.

Sie reden unaufhörlich von Frieden, von Gewaltlosigkeit, von schwierigen Begriffen wie „Vielfalt“. Ich hoffe nur, dass Sie Acht geben, was sie sagen, weil, wie Sie sicher wissen werden, um Frieden auf der Welt zu schaffen, man sich vorher der Einführung von Gerechtigkeit in der ganzen Welt versichern muß: Für die Tibeter, für die Uighuren, für die Anhänger des Falun Gong und für Tausende von politischen Gefangenen, die man in den „laogai“ , den chinesischen Konzentrationslagern verfaulen lässt. Um nur an die Dinge in China zu erinnern. Ich nehme auch zur Kenntnis, dass Sie, lieber Präsident, den Gast mit einem überraschend freundschaftlichen „ Auf Wiedersehen in einem Jahr in China“ verabschiedet haben. Die Hoffnung, dass dieses Versprechen eingehalten wird, ist hoch in meinem Herzen, wirklich sehr hoch ...aber – nehmen Sie‘s mir nicht übel - tragen Sie keine tibetanische Fahne mit sich (erinnern Sie sich?), wie jene, die sie im „Saal der Banner“ hätten zeigen müssen. (...)

Massimo Lensi
Vorsitzender der Internationalen Radikalen Partei

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