FAZ, 16.08.02: Zwei Systeme?

pes. Als Hongkong vor fünf Jahren der Kontrolle der Volksrepublik China unterstellt wurde, geschah dies unter der Formel "Ein Land, zwei Systeme". Wichtigste Vereinbarung war die Erhaltung des demokratischen Systems und der Unabhängigkeit der Justiz in der ehemaligen britischen Kolonie. Ersteres ist bisher weitgehend gelungen, wenngleich in den Massenmedien Gleichschaltungstendenzen nicht zu übersehen sind. Die Justiz hat am Donnerstag zudem ein Beispiel dafür geliefert, daß die "Annäherung" an chinesische Verhältnisse in unguter Weise voranschreitet. Man mag von Falun Gong halten, was man will. Bisher sind die Mitglieder der Vereinigung aber nicht durch Gewalt aufgefallen. Angeblich haben Falun-Gong-Anhänger jetzt in Hongkong Polizisten tätlich angegriffen. Dafür wurden sie zu Geldstrafen verurteilt. Das Urteil hätte zwar weitaus härter ausfallen können. Bis zu zwei Jahren Gefängnis drohten den Angeklagten. In der Volksrepublik China wird Falun Gong mit an Hysterie grenzender Gründlichkeit als "böser Kult" verfolgt. Es drängt sich der Eindruck auf, daß die "unabhängige" Justiz in Hongkong in vorauseilendem Gehorsam gehandelt hat. Vielleicht wird man bald von "Zwei Ländern, einem System" sprechen.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.08.2002, Nr. 189 / Seite 10

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