Wall Street Journal: Nur noch eine ganz gewöhnliche chinesische Stadt

HONGKONG – Fünf Jahre nach der Übergabe Hongkongs, schließt sich Chinas Vorhang vor unserer einst freien Gesellschaft. Auf Weisung Pekings hat die Regierung Hongkongs neue umstrittene Maßnahmen gegen „Landesverrat, Umsturz, Aufwiegelung und Abspaltung“ veröffentlicht. Solche undeutlichen Gesetze werden in Festland- Chinas benutzt, um jedermann, vom Internet- Unternehmer über Journalisten bis hin zu Akademikern zu verurteilen. In der harten Wettbewerbsumgebung der Finanzwelt Asiens könnte Pekings Schachzug der zerbrechlichen freien Gesellschaft Hongkongs einen tödlichen Schlag versetzen.

Warum jetzt dieses Vorhaben, die Gesellschaft Hongkongs zu ersticken? Anweisungen aus Peking. Letzten Juli hat der Vize- Premierminister Qian Qichen, der für hongkonger Angelegenheiten zuständig ist, den Jahrestag der Übergabe Hongkongs an China begangen, indem er ankündigte, daß umgehend Anti- Umsturzgesetze eingeführt werden sollten. Trotz noch nie da gewesener Opposition, einschließlich von lokalen und internationalen Unternehmen, Religionsgemeinschaften, Medien und Menschenrechtsgruppen plant die von Peking eingesetzte Regierung Hongkongs das Gesetzgebungsverfahren Anfang 2003 beschleunigt umzusetzen.

Das Anti- Umsturzgesetz läuft der gemeinsamen chinesisch- britischen Erklärung zuwider, dem Vertrag vor der Übergabe, der garantiert, dass alle Freiheiten Hongkongs- einschließlich Pressefreiheit, Glaubensfreiheit und Versammlungsfreiheit- für 50 Jahre fortbestehen werden, und nicht nur für magere fünf Jahre. Doch die chinesische Regierung war schlau: das Rampenlicht, in dem Hongkong einst stand, fokussiert sich jetzt anderswo, und wenige außerhalb des Autonomiegebietes Hongkong haben auf das Anti- Umsturzgesetz mit angemessener Besorgnis reagiert. Hauptsächlich sind Presse- und Religionsfreiheit bedroht.
Heute hat Hongkong die mit ca. 35 Tageszeitungen vielfältigste Presselandschaft in ganz Asien. Obwohl die Selbstzensur seit 1997 dramatisch zugenommen hat, haben mutige Journalisten weiterhin über Nachrichten aus Hongkong und Entwicklungen in China berichtet. Das neue Gesetz spricht von „Diebstahl von Staatsgeheimnissen“ und Veröffentlichung „nicht autorisierter“ Nachrichten, dies könnte sowohl Hongkonger als auch internationale Reporter beeinträchtigen. Jeder, der sogenanntes volksverhetzendes Material veröffentlicht, kann für fünf Jahre ins Gefängnis wandern. Hongkongs Sicherheitschef hat öffentlich bekannt gegeben, dass die Ansichten der chinesischen Behörden sogar dann, wenn entschieden wird, ob die Medien angeklagt werden, berücksichtigt würden.

Natürlich, sogar bevor das Gesetz verabschiedet ist, wird der erste sichtbare Effekt ein Rückgang von Reportagen mit sensiblen Informationen, einschließlich von Finanzdaten, sein- wie z.B. über Chinas viele Staatsbetriebe. Was die Glaubensfreiheit betrifft, könnte dieses Gesetz, welches offensichtlich Falun Gong im Visier hat, schließlich auf religiöse Gruppen übertragen werden. Der katholische Kirchenführer Bischof Zen hat bestätigt, dass die katholische Kirche Hongkongs mit der Kirche im Untergrund im Festland verbunden ist, und dass sie deshalb direkt von der vorgeschlagenen Anti- Umsturzgesetzgebung bedroht sei.

Tatsächlich kann jede Gruppe, die mit Peking kollidiert, mit Hongkongs neuem Gesetz vernichtet werden. Das Leben war für demokratische Politiker, Journalisten, Arbeits- und Menschenrechtsaktivisten unter anderem bisher schon gefährlich, jetzt aber erst recht.

Peking kontrolliert schon unsere Exekutive durch ihren eingesetzten Führer Tung Chee- hwa, die Legislative durch ein undemokratisches Wahlsystem und die Judikative durch Chinas Möglichkeit, Entscheidungen von Hongkongs oberstem Gericht, dem höchsten Appellgerichtshof, zu kippen. Der einzig wirklich freie Aspekt Hongkongs war unsere robuste und manchmal auch lärmende Bevölkerung – was vielleicht erklärt, warum sie nun in Gefahr ist.

Präsident Bush hat seine Ansichten klargemacht: Am Ende seines Treffens mit dem chinesischen Führer Jiang Zemin auf seiner Ranch in Texas, rief er China auf, die „Rechte der hongkonger Bevölkerung zu schützen“. Wenn ein internationaler Aufschrei ausbleibt, wird das Anti- Subversionsgesetz Anfang des nächsten Jahres eingeführt und bis zum nächsten Juli im Schnellverfahren in das Gesetz eingebracht. Wenn dieses Gesetz erst einmal in den Büchern steht, gibt es keine garantierten Freiheiten mehr, und Hongkong könnte zu einer ganz gewöhnlichen chinesischen Stadt degradiert werden.

Herr Lee ist Gründer und Vorsitzender der demokratischen Partei Hongkongs.