Ein Anruf nach China

In der Pressemitteilung vom 7. Januar rief das Falun Gong Infozentrum zu einer „Dringenden Hilfsaktion“ für Song Xu auf, der in China im Ersten Untersuchungsgefängnis der Stadt Zhengzhou durch Folter, Hungerstreik und unsachgemäße Zwangsernährung in Todesgefahr schwebt. Medien, Regierungsstellen, Ngos und Privatpersonen wurden gebeten, telefonisch oder per Fax von den örtlichen Sicherheitsbehörden, dem Büro 610 und dem Parteibüro die sofortige Freilassung von Song Xu zu fordern.

Ich entschloß mich, bei dieser Hilfsaktion ebenfalls mitzumachen. Ich dachte, wenn wir unsere Mitbürger und maßgebenden Instanzen zu solchen Aktionen aufrufen, müssen wir selbst uns als Allererste dabei engagieren. Als ich mich bei anderen Praktizierenden darüber schlau machen wollte, wie sie das machten, fand ich fast niemand, der das bisher getan hatte oder beabsichtigt, es zu tun. Von einer Praktizierenden erhielt ich kompetente Ratschläge.

Mein erstes Fax fand keinen Empfänger. Das zweite aber schon.
Dann stellte ich mir die Anrufe vor. Ich nahm mir dafür Zeit. Da ich nicht Chinesisch spreche, musste ich mich besonders gut auf die Situation vorbereiten. Ich beschloß, in jedem Fall um einen Englisch sprechenden Gesprächspartner zu bitten. Ich nahm mir vor, in aller Ruhe und ganz langsam zu sagen: “Ni hao, Marina Wert (Name geändert), De Guo, do you speak english?“ Ich wollte dies so lange wiederholen, bis sich ein Englisch sprechender Gesprächspartner am anderen Ende fand.

Ich legte meine Notizen vor mich hin mit den Punkten, die ich ansprechen wollte, ganz einfach, ganz klar. Ich sendete Aufrichtige Gedanken aus und stellte mich mental auf die Situation ein. Ganz gleich, was passierte, ich wollte meine Ruhe bewahren und Menschen in China wissen lassen, dass wir von den Verbrechen an Falun Gong-Praktizierenden wissen, dass sie sich dabei nicht auch schuldig machen dürfen, dass die Verfolgung beendet werden muß.

Sechs Tel. Nr. waren angegeben. Erst bei der vierten hob jemand ab. Eine freundliche Frauenstimme. Ich sagte langsam und klar:“ Ni hao, Marina Wert, De Guo, do you speak english?“ Am anderen Ende Stille, dann etwas auf Chinesisch. Ich wiederholte meinen Satz noch zweimal, dann nach einer Pause eine andere Frauenstimme am Telefon. Ich sagte wieder das Gleiche, ich hörte einige englische Brocken, dann Chinesisch, sehr leise und freundlich, aber leider nicht zu verstehen. Und von mir mit Blick auf mein Ziel wieder der gleiche Satz, mit vollständiger Ruhe, Gelassenheit und gleichzeitiger Entschlossenheit. Ich fühlte förmlich eine große Dimension zwischen uns, Intensität des Schweigens.

Endlich wurde eine dritte Person ans Telefon geholt. Ich wiederholte auch ihr meine Worte, und siehe da, sie sprach gut Englisch. Ich sagte ihr, wir haben in Deutschland von Song Xu erfahren. Er muß freigelassen werde. Ich sagte, wir wissen von Tausenden anderer Fälle, wir wissen von den Verbrechen der chinesischen Regierung...... Sie sagte, ihre Abteilung stelle nur Ausweispapiere aus, ich solle mich an den „operator“ wenden. Ich erbat dessen Tel. Nr. Stille am anderen Ende. Gut, dann redete ich eben weiter über die Verfolgung. Sie sagte, die zuständige Abteilung für mein Anliegen sei im anderen Gebäude. Ich erbat die Tel. Nr. Wieder Schweigen. Also redete ich wieder weiter über die Verfolgung, deren Unrechtmäßigkeit, die vielen Opfer, die vielen Lügen. Dies wiederholte sich mehrmals, aber ohne jede Hektik, ohne laut zu werden, ohne zu schimpfen. Ich fand meine Worte mit traumwandlerischer Sicherheit. Ich habe mich kaum je so ruhig und klar empfunden wie bei diesem Telefongespräch. Ich hatte ein Gefühl von kosmischer Weite zwischen uns, das Gespräch fand statt in anderen Dimensionen, und es hatte viele Zuhörer. Ich hatte die Freiheit, in wenigen Minuten das Wichtige zu sagen. Dann hörte ich ganz zart und leise von der anderen Seite: „Falun Gong is illegal in China.“ Ich antwortete: „Chinese constitution garantees freedom of belief.“ Sie sagte: „Ich darf Ihnen nicht zuhören.“ Ich erwiderte: „Ich möchte Ihnen natürlich keine Probleme verursachen. Ich habe nur eine Bitte, berichten Sie allen Menschen in Ihrer Umgebung, Kollegen, Freunden, Verwandten, von unserem Gespräch.“ Ich bedankte mich, wir sagten uns Aufwiedersehen.