Spiegelonline, 28.04.2003: China unterdrückt weiter wichtige Informationen

Die Weltgesundheitsorganisation erhebt schwere Vorwürfe gegen die chinesischen Gesundheitsbehörden. Diese halten nach Ansicht der WHO immer noch wichtige Daten über das Ausmaß der Atypischen Lungenentzündung (SARS) in Peking zurück - und gefährden so den Kampf gegen die Seuche.

Allein durch Masken lässt sich die Verbreitung von SARS nicht verhindern - die WHO fordert mehr Offenheit der chinesischen Behörden

Peking - Zwar veröffentliche die Regierung seit über einer Woche täglich die Zahl der Erkrankten und SARS-Verdachtsfälle, doch es fehlten laut WHO noch immer wichtige Details, die unbedingt notwendig seien, die Verbreitung des gefährlichen Virus zu stoppen. "Es ist höchste Zeit, diese Informationen zu erhalten", sagte der WHO-Chefrepräsentant in China, der Holländer Henk Bekedam. "Nur mit ihrer Hilfe können wir die Situation verstehen."

Dabei geht es vor allem um Erkenntnisse, welcher Patient sich wann, wo und wie infiziert hat. Anhand dieser Daten lassen sich Schlussfolgerungen über den Verlauf von SARS in einer Region ziehen und womöglich weitere Infektionen verhindern.

Die WHO hoffe, erklärte Bekedam, dass sich die chinesischen Behörden bereits in den nächsten Tagen offener zeigen. Wegen mangelnder Angaben sei es derzeit nicht möglich, vorherzusagen, wann die Krankheitswelle in Peking ihren Höhepunkt erreichen werde.

Das Risiko steigt

Mehr Transparenz sei nicht nur für Experten, sondern auch für die Bevölkerung wichtig, betonte Bekedam. "Wenn die Menschen nicht das Gefühl bekommen, dass was passiert, dann hauen sie eben ab." In den letzten Tagen haben vor allem Wanderarbeiter und Studenten in großen Mengen Peking verlassen und damit das Risiko vergrößert, das das Virus in andere Provinzen getragen wird.

Die Frage, ob Peking für Ausländer noch sicher ist oder ob sie die Stadt nicht lieber vorerst verlassen sollten, war auch Thema einer Informationsveranstaltung in der Deutschen Botschaftsschule. Es sei noch zu früh, sie zu beantworten, erklärte Botschaftsarzt Volker Klinnert vor rund 250 Diplomaten, Kaufleuten, Experten, Studenten, Journalisten und ihren Familienangehörigen.

Mehr Klarheit erhoffe er sich in den nächsten Tagen, ob von fachlicher Seite "nachvollziehbare Zahlen" veröffentlicht würden, sagte Klinnert. "Wenn wir nicht mehr sicher sein können, wo man sich infizieren kann, besteht eine gewisse Gefährdung für alle." Die Krankheit dürfe sich nicht in einer Stadt "verlieren, in der wir nicht mehr wissen, wer sich wo und wann anstecken kann".

In China sind bis Montag nach offiziellen Angaben 3106 Menschen an der Atypischen Lungenentzündung erkrankt, 203 mehr als am Vortag. Peking ist nach wie vor am schlimmsten betroffen: Hier gibt es im Vergleich zu gestern 96 neue Fälle und damit insgesamt 1199 Kranke.

In Shanghai, Wirtschaftsmetropole im Osten Chinas, sieht die Situation allerdings völlig anders aus. Dort wurden bislang nur zwei "wahrscheinliche" und zwölf "verdächtige" Fälle gemeldet. Nach einer fünftägigen Inspektionsreise kam die WHO zu dem Schluss, dass die offiziellen Angaben stimmen könnten. "Wir fanden keine Hinweise systematischer Unterschlagung von Fällen", erklärte WHO-Epidemologe, James Maguire.

Die Pekinger Führung versucht derweil zu verhindern, dass noch mehr Menschen die Stadt verlassen. Die KP wies unter anderem Bauunternehmen an, ihre Arbeiter nicht mehr ziehen zu lassen. Außerhalb der Stadt soll die Polizei Busse kontrollieren. Der Eisenbahn- und Flugverkehr scheint dagegen nicht beeinträchtigt. Derzeit sind in Peking rund 8000 Menschen unter Quarantäne gestellt worden. Das sind doppelt so viele wie zuletzt gemeldet.

Kein Optimismus

Auch die Provinzen fürchten mittlerweile den Zustrom möglicher Kranker aus Peking und der Südprovinz Guangdong. Hinsichtlich der "Verhütung und Kontrolle" von SARS sei er "nicht optimistisch", erklärte etwa Zhang Zhongwei, der Gouverneur der 100-Millionen-Einwohnerprovinz Sichuan.

WHO-Repräsentant Bekedam äußerte sich ebenfalls besorgt über die Situation in den Provinzen. Chinas Gesundheitssystem sei noch nicht "bereit für Krankheiten wie SARS". Grund: Die Regierung habe in den letzten 20 Jahren versäumt, ausreichend Geld in die Krankenversorgung zu investieren.

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