In Toronto: Tochterliebe reicht über Grenzen, hinter Gefängnisgitter

Muttertag, 11. Mai 2003

Bo Li kann diesen Muttertag nicht zusammen mit der Frau verbringen, zu der sie schon ihr ganzes Leben lang aufblickt.

Den diesjährigen wie auch den nächsten Muttertag muß Lis Mutter, Xiuzhem Lu, wegen ihrer Verbundenheit mit der in ihrem Land verbotenen spirituellen Falun Gong Bewegung in einem chinesischen Gefängnis verbringen.

Vor drei Jahren kam Li nach Kanada und ist vor kurzem von Scarborough in die Innenstadt Torontos gezogen. Ihre Mutter blieb in ihrem Heimatland weil ihr das Unterrichten und Praktizieren von Falun Gong sehr wichtig war.

„Ich habe mich gefreut zu sehen, wie sie sich verändert hat, nachdem sie mit dem Praktizieren von Falun Gong begonnen hatte.“ sagte Li „Sie war glücklicher und gesünder bevor sie ins Gefängnis kam.“

Li wiederum war glücklich mit ihrem Leben in Kanada und hatte ihre Mutter ermuntert, zu ihr zu kommen.

„Ich schickte ihr die notwendigen Unterlagen und bereitete alles für sie vor, hierher zu kommen, jedoch erhielt sie keinen Reisepass.“ sagte Li, die glaubte, dass ihre Mutter in Kanada ein freies und glückliches Leben hätte führen können.

Stattdessen wurde Lu im Jahr 2001 von den chinesischen Behörden festgenommen und zu zwei Jahren Haft verurteilt.

„Meine Mutter sollte eigentlich ihr Leben und ihre Rente mit ihrer Familie genießen,“ sagte Li, die viele glückliche Erinnerungen an ihre Kindheit zusammen mit ihrer Mutter in China hat.

„Als ich klein war, waren wir sehr arm,“ sagte Li als sie sich daran erinnerte, dass ihre Familie kein Geld für Spielzeug hatte und ihr noch nicht mal richtige Schuhe für die Schule kaufen konnte. Li erinnert sich an das stets positive Verhalten ihrer Mutter, das sie auch in harten Zeiten beibehielt, und an die Liebe, die sie ihr und den Kindern schenkte, die sie in der Schule unterrichtete.

„Sie setzte sich sehr für die Schule und ihre Schüler ein, aber ich fühlte, dass sie nie zurückbekam, was sie gegeben hatte,“ sagte Li. „Vom äußeren her erscheint meine Mutter schwach, aber im tiefen Innern ihres Herzens ist sie sehr stark.“

Li hatte keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter, seit diese inhaftiert wurde. Sie nahm diesen Muttertag zum Anlaß, ihre Mutter wissen zu lassen, wie sehr sie sie liebt und an sie denkt und dass sie immer in ihrem Herzen ist.

Liebe Mutter,

An diesem Muttertag möchte ich Dich wissen lassen, wie dankbar ich dafür bin, Dich als Mutter zu haben. Als ich noch klein war, warst Du immer für mich da und Du hast mich mit großer Barmherzigkeit und viel Humor geleitet. Du warst immer ehrlich und geduldig mit mir und ich konnte immer volles Vertrauen zu Dir haben.

Ich war immer sehr stolz auf Dich. In den 30 Jahren, in denen Du Deine Schüler unterrichtet hattest, hast Du ihnen sehr viel gegeben und ich glaube, sie haben Dich genauso geliebt wie ich.

Ich hatte viel Freude wenn Du Sie manchmal zu uns nach Hause zum Essen eingeladen hattest. Du hast sie wie Deine eigenen Kinder behandelt, aber insgeheim war ich stolz und froh, dass ich Dein einziges wirkliches Kind war.

Ich schaue mir immer wieder gerne die bunten Karten an, die Deine Schüler Dir zu Neujahr geschickt hatten – sie waren sehr schön gemacht und in ihren Grußworten drückten sie ihre tiefe Dankbarkeit aus, nicht nur dafür, dass Du ihnen Wissen beigebracht hast sondern auch, dass Du sie gelehrt hast, gute Menschen zu sein.

Bald ist Muttertag und ich wünschte, ich könnte Dir einen schönen Blumenstrauß kaufen, Dir ein leckeres Essen kochen und Dir ein ganz besonderes Geschenk kaufen. So wie Du das für mich getan hast als ich ein kleines Mädchen war.

Ich hatte mich sehr darauf gefreut, dass Du nach Kanada kommen wolltest. Hier sind wir frei, Mutter, wir können in den Parks öffentlich praktizieren, genauso wie in alten Tagen bevor die Verfolgung begann.

Weißt Du noch, als ich Dir alle notwendigen Unterlagen für Deine Reise nach Kanada geschickt hatte, hast Du Dich sehr darauf gefreut, mich bald wieder zu sehen, aber dann bekamst Du keinen Reisepass, weil Du Falun Gong praktizierst.

Ich werde das Gefühl nie vergessen, als Vater anrief und sagte, du seiest ohne Verhandlung zu zwei Jahren Haft im Masanjia Arbeitslager verurteilt worden. Ich fühlte einen tiefen Stich in meinem Herzen und konnte das einfach nicht glauben. Alles was du getan hast, war Deinen Freunden zu erzählen, dass Falun Dafa gut ist und dass es zu unrecht von der Regierung verfolgt wird.

Nun bist Du 59 Jahre alt und Du hast China und dem Volk große Dienste geleistet. Du hättest es verdient, Dein Rentendasein im Kreise Deiner Familie zu genießen. Großmutter ist 83 und sie vermisst Dich sehr und Vater hat in seinem Kummer und seiner Besorgnis so sehr gelitten, dass sein Herz gebrochen ist und seine Gesundheit sehr schlecht geworden ist.

Unsere harmonische und glückliche Familie ist nun auseinander gerissen worden, so wie es Millionen von anderen Familien in China geht, die praktizierende Familienmitglieder haben.

Mutter, obwohl ich weiß welche unmenschliche Behandlung Du in Masanjia ertragen musst, bin ich sehr stolz auf Dich! Du setzt Dich für das Gute ein und egal was sie Dir antun, gibst Du Deinen Glauben nicht auf und handelst nicht gegen Dein Gewissen. Du lebst nach den universellen Prinzipien Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht. Ich bin einfach sehr stolz.

Ich wollte, Du könntest meinen Muttertagsgruß erhalten, aber es gibt keine Möglichkeit, zu Dir Kontakt aufzunehmen und ich weiß noch nicht einmal, wie es Dir geht. Ich versuche jeden Abend bevor ich einschlafe gedanklich mit Dir in Verbindung zu treten um Dir Hoffnung und Mut zuzusprechen, um Dir zu danken, dass Du nicht aufgibst und dass Du so stark und aufrichtig bist wie Du schon immer gewesen bist. Ich möchte Dir mitteilen, dass ich mein Bestes tue, Mutter.

Hier tun wir alles Erdenkliche um den Menschen auf der Welt zu erklären, was in China passiert. Die Kanadier sind sehr gutherzig. Sie sorgen sich um die Rechte der Menschen und nehmen Anteil an den Leiden der Anderen. Ich sehe den Kummer in ihren Augen wenn sie sich meine Geschichte anhören, sie können nicht glauben, dass so etwas im Jahr 2003 passiert.

In Nordamerika gab es einmal einen Mann namens Martin Luther King. Alle hatten großen Respekt vor ihm weil er und sein Volk viel Leid auf sich nahmen. Aber er setzte sich für Wahrhaftigkeit ein, egal was er dafür zahlen musste. Er sagte: „Das Böse kann nur über das Gute triumphieren wenn die guten Menschen untätig bleiben.“

Danke dass Du ein aufrichtiger Mensch geblieben bist, Mutter, und dass Du Dich dem Bösen widersetzt und dass Du Dich für das Gute, das Schöne und die Wahrhaftigkeit einsetzt. Ich glaube, dass Menschen wie Du unsere Welt grundlegend verändern können.

Du sollst wissen, dass ich immer bei Dir bin, Mutter, und dass wir es eines Tages schaffen werden.

Deine Dich liebende Tochter,
Bo (Lisa) Li