Alverde (dm-Magazin), Juni 2003: Im Einklang mit sich selbst

Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit, Nachsicht. Was haben diese Tugenden mit einer asiatischen Meditationspraktik zu tun? „Sehr viel", sagt Q. Zhang, Wirtschaftwissenschaftlerin aus China, die seit 14 Jahren in Deutschland zu Hause ist. „Sie bilden das Fundament, die Philosophie für die heilsame Wirkung auf Körper, Geist und Seele." Die Rede ist von Falun Gong, auch unter dem Namen Falun Dafa oder Qi Gong bekannt.

Frostklar ist dieser Sonntagmorgen im April. Auf der weitläufigen Wiese im Karlsruher Schlosspark treffen nacheinander ein: die Heilpraktikerin, der Student aus China, der Psychotherapeut, der Pensionist aus dem Schwarzwald, der Azubi, die Wirtschaftswissenschaftlerin und schließlich der Leiter der Karlsruher Falun Gong-Gruppe, M. Hackmayer. Sie reiben sich die Hände oder blinzeln gen Osten in die Sonne. Nein, wärmer als ein paar Grade über dem Gefrierpunkt wird es in den nächsten zwei Stunden nicht werden. „Macht aber nichts", versichert M. Hackmayer, „uns wird schon nicht kalt werden." Er wird auf beeindruckende Weise Recht behalten.

Während aus dem mitgebrachten Kassettenrekorder fernöstliche Klangtropfen perlen, hat sich die Gruppe zu einem Kreis formiert. Kurz darauf legt sich ruhig und rhythmisiert die Stimme des Falun Gong-Begründers Li Hongzhi auf die Klangdecke. Mit geschlossenen Augen führen sie beide Hände in die Horizontale, während die linke sich dabei langsam erhebt. Es ist die erste von insgesamt vier meditativen Übungen im Stehen. Tief und ruhig fließt der Atem aller. Teilnehmer. Loslassen von allen Gedanken, Wünschen und Begierden, das ist der erklärte Sinn dieser Achtsamkeitsmeditation. „Gelingt es, das individuelle Wollen, Tun, Meinen und Urteilen loszulassen, so tritt an dessen Stelle eine innere Stille, in der ein Gleichgewicht unserer Existenz erfahrbar wird und zwar unabhängig von Gesundheit oder Krankheit", erklärt der Mediziner und Stressforscher J. K. Zin. Physische und seelische Gesundheit ist ein zentrales Thema beim Falun Gong, das mittlerweile in über 60 Ländern praktiziert wird. „Ich habe als Gärtner lange Zeit Rückenbeschwerden gehabt", berichtet M. Hackmayer später. „Seit ich Falun Gong ausübe, sind sie verschwunden." Mit Mystizismus oder spontaner Wunderheilung hat dies allerdings nichts zu tun. Es sind die ruhigen, harmonisierenden Bewegungsabläufe, die eine gleichmäßige, bewusste Atmung anregen. Der Körper wird dadurch besser mit Sauerstoff versorgt und der Stoffwechsel angekurbelt. Dass die heilsame Wirkung mehrfach belegt ist, zeigt eine Studie der Universität Toronto. 145 an Depressionen erkrankte Menschen lernten in wöchentlichen Qi-Gong-Sitzungen, weniger emotional auf ihre Gedanken und täglichen Ereignisse zu reagieren. Das Ergebnis: Im Vergleich zu einer nicht praktizierenden Kontrollgruppe erlitten diese Patienten nur halb so oft einen Rückfall.

Was hat es aber nun mit der Trias Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit, Nachsicht auf sich? Sie leitet sich von der buddhistischen Lehre ab, deren Grundelemente Falun Gong-Begründer Li Hongzhi im Buch Zhuan Falun zu einer Grundsatzschrift verarbeitet hat. Demnach bedeutet ein aufrichtiger, achtsamer Umgang in Bezug auf andere Menschen zunächst: sich seiner selbst bewusst zu sein - von egozentrischem Denken und Fühlen, aber auch von negativen Gedanken über sich selbst Abstand zu nehmen. Das heißt: sich selbst und seiner Umwelt mit mehr Gelassenheit, Einfühlungsvermögen und Herzlichkeit zu begegnen. Fa1un Gong versteht sich als ganzheitliches Konzept, das Körper und Seele in Einklang bringt.

Die letzte Übung der Karlsruher Falun Gong -Gemeinschaft klingt aus. Während alle Teilnehmer wieder die Augen öffnen und sich langsam und sichtlich entspannt erheben, bleiben zwei Spaziergänger staunend stehen: „Wie können die das bei den Temperaturen nur so lange im Sitzen aushalten?" Indem man loslässt - und: sich auch von meteorologischen Gegebenheiten lossagt.

Weitere Informationen unter www.falundafa.de oder www.faluninfo.de

Rubrik: Veranstaltungen