Frankfurter Allgemeine Zeitung: Google in China - Die besten Seiten fehlen

15. Oktober 2004 "Friedliche Evolution" - vor zwanzig Jahren war dies noch ein teuflisch gefährlicher Begriff, mit dem in China allerlei kapitalistische Verschwörungstheorien assoziiert wurden. Und ein Begriff, der den Pekinger Kommunisten Albträume bescherte. Ihre Angst war wohl begründet. Unter Gorbatschows Glasnost zum Beispiel brach schließlich in knapp sechs Jahren ein ganzes Imperium zusammen. Doch im Fall China stellt sich inzwischen mehr und mehr die Frage, wer eigentlich vor wem Angst hat.

Wie unübersichtlich die Lage ist, zeigt der Fall Google. Die weltgrößte Internetsuchmaschine hat am 9. September endlich auch eine chinesische Nachrichtenseite aufgemacht. Auf den Start hatte sich Google lange und gut vorbereitet. So werden bei der Auswahl der Schlagzeilen etwa tausend chinesische Websites aus China, den Vereinigten Staaten, Taiwan, Hongkong, Japan, Australien, Malaysia, Kanada, Frankreich und Singapur berücksichtigt. Das ist deutlich breiter angelegt, als es etwa bei der deutschen (700) oder italienischen (250) Google-Nachrichtenseite der Fall ist. Soweit die gute Nachricht. Die schlechte ist, daß es sich um eine "gesäuberte" Nachrichtenseite handelt - gesäubert von jenen subversiven chinesischen Websites, deren Zugang Pekings Zensurbehörde blockiert.

Die „bestmöglichen Suchergebnisse»

Google verneint, daß die "Säuberung" auf Pekings Druck hin durchgeführt werde. Vielmehr wolle man "den Festlandschinesen die bestmöglichen Sucherlebnisse anbieten". Daher "haben wir jene Websites nicht berücksichtigt, deren Inhalt nicht zugänglich ist", so Debbie Frost, die Firmensprecherin, gegenüber der Agentur AP.

Denn "das Auflisten dieser unzugänglichen Websites macht keinen guten Eindruck auf unsere Nutzer, die mit Google eigentlich Informationen erwerben wollen". Und schließlich meinte Frau Frost, daß es sich bei dem Ausschluß ohnehin um "nur einen winzigen Teil" der Websites handele, genauer um acht, darunter die des amerikanischen Rundfunksenders "Voice of Amerika" und eine Website der in China verbotenen buddhistischen Falun Gong Bewegung.

Vor zwei Jahren selbst blockiert

Das alles hört sich fast harmlos an. Nur entspricht es nicht ganz der Wahrheit. Wahr ist vielmehr, daß es sich bei dem Ausschluß ganz und gar nicht um nur einen winzigen Teil der Websites handelt, sondern um alle jene nach Ansicht der Pekinger Zensoren subversiven Websites, von denen es Tausende gibt, wenn nicht mehr. Ein Teil der Links zu diesen geblockten Websites präsentiert Google auch - aber nicht auf der Nachrichtenseite, sondern in einem konkreten Suchergebnis. Deswegen wurde Google selbst vor zwei Jahren von Peking blockiert. Allerdings wurde diese Zensur nach kurzer Zeit geräuschlos wiederaufgehoben. So etwas aber geschieht in China nicht ohne Grund.

Das Dilemma ist alt und bekannt: Einerseits herrschen in China die Kommunistische Partei und ihre Zensur; andererseits ist China ein zukunftsträchtiger, schnell wachsender, riesengroßer Markt. Schon heute surfen regelmäßig achtzig Millionen Chinesen im Internet, und man braucht nicht viel Weisheit, um voraussagen zu können, daß die Zahl der chinesischen Internetnutzer in absehbarer Zeit jene in Amerika erst übertreffen und dann weit hinter sich lassen wird.

Google übt Selbstzensur

Einen solchen Markt kann natürlich niemand ignorieren. Und im Grunde hat Google auch nichts anders getan als alle anderen sogenannten global players: Wie zuvor der Konkurrent Yahoo, so übt auch Google entgegen der eigenen Versprechungen Selbstzensur. Die anderen sagen: "Wandel durch Handel." Der Handel hat China Arbeitsplätze, Konsumgüter und auch Wohlstand gebracht. Aber Wandel?

Die Tatsache, daß in China die Kommunistische Partei allein herrscht, bedeutet, daß eine Karriere ohne ein Arrangement mit der Partei nicht möglich ist und daß ein Geschäft ohne Bestechung schwierig ist. Das gilt für die chinesischen, aber viel mehr noch für die ausländischen Firmen, für die eine Kooperation mit der Partei unumgänglich ist. Daher ist heute der Wettbewerb in China zwischen den global players im Grunde ein Wettbewerb zwischen den jeweils zuständigen Kadern - mit der Folge, daß die Parteiherrschaft dadurch eher gestärkt als geschwächt wird. Dies bestätigte neulich auch eine Umfrage unter Schülern in der südchinesischen Stadt Guangzhou nach ihrem Berufswunsch. An erster Stelle steht - Parteikader. Denn wer heute in China Macht hat, der hat Geld, ein Haus, schöne Frauen, einfach alles. Andernfalls hat man nicht einmal Chance, sich korrumpieren zu lassen.

Handel allein bringt keinen Wandel. Dies hat Gunnar Myrdal, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels (1970) und des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften (1974), schon in seinem berühmten Buch "Asiatisches Drama" festgestellt. Wir sind leider vergeßlich. Und die Kommunisten? Sie haben umsonst Albträume gehabt.


15.10.2004, Nr. 241


Quelle: http://de.clearharmony.net/articles/200410/20082.html

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