Grußbotschaft vom Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck für Mahnwache und Kundgebung am 6. März 2004 in Karlsruhe

Wenn es um die fundamentalen Rechte der Person geht, um Leben und Freiheit, um Schutz vor Folter, vor willkürlichem Freiheitsentzug und vor Diskriminierung, eben das, was die Voraussetzungen für den "aufrechten Gang" sind, dann kann es in der Grundhaltung kein Relativieren, keine Kompromisse geben.

Mit diesen klaren und unmissverständlichen Worten bezog Bundespräsident Johannes Rau Stellung in seiner Rede „Das Rechtsstaatsprinzip - Voraussetzung für eine moderne Gesellschaft” anlässlich seiner Chinareise am 12.09.2003 an der Universität Nanjing zur Menschenrechtssituation in China. Bundeskanzler Schröder fuhr wenige Wochen später ebenfalls nach China - gemeinsam mit einer großen deutschen Wirtschaftsdelegation und in dem Bestreben, möglichst erfolgreiche Geschäftsabschlüsse nach Deutschland vermelden zu können. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Claudia Roth ließ er derweil in Berlin.

Dabei hätte Schröder allen Anlass gehabt, die Menschenrechtslage in China, die Verfolgung zahlreicher Minderheiten, das menschenunwürdige Arbeitslagersystem und die Verfolgung von Falun Gong Praktizierenden offen anzusprechen. Denn wenige Tage vor seiner Reise, am 21.11.2003 war im Namen von 40 deutschen, chinesischen, irischen, kanadischen, australischen und US-amerikanischen Staatsbürgern Strafanzeige gegen den ehemaligen chinesischen Staatspräsidenten Jiang Zemin und andere Funktionäre der Regierung der Volksrepublik China wegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mord, Folter und Gefährlicher Körperverletzung u. a. gegen Falun Gong-Praktizierende von 1999 bis 2003 bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe erstattet worden. 16 namentlich benannten Funktionären und zahlreichen weiteren Unbenannten wird in der 86-seitigen Strafanzeige vorgeworfen unmittelbar und als mittelbare Täter an der Folter und an Misshandlungen von Falun Gong-Praktizierenden u.a. in 15 detailliert geschilderten Fällen in Polizeihaft und in Arbeitslagern teilgenommen zu haben. In zwei weiteren Leitzordnern mit Anlagen wurden der Bundesanwaltschaft u.a. Berichte von renommierten Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch und der UNHCR (UN Menschenrechtskommission) sowie Material über den Tod von bisher geschätzten 818 Falun Gong-Praktizierenden übersandt.

Wünschenswert wäre die juristische Aufarbeitung der Folter- und Todesfälle in China selbst.
Doch trotz des "deutsch-chinesischen Rechtstaatsdialogs" ist China noch weit von rechtsstaatlichen Zuständen entfernt. Genau aus diesem Grunde wären einige klare Worte Bundeskanzler Schröders in China angezeigt gewesen.

Denn nach wie vor werden Zeugen der Verbrechen und Familienangehörige bedroht und sind oft genug selbst Opfer von Verfolgung. Die gerichtliche Aufklärung der von Staatsfunktionären begangenen Verbrechen, selbst die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen ist derzeit in China unmöglich.

In Deutschland ist die rechtliche Situation für Opfer von Menschenrechtsverletzungen spätestens mit der Einführung des Völkerstrafgesetzbuches zum 30.06.2002 günstig. Allerdings gibt es mit dem Gesetz noch nicht viele Erfahrungen, so dass die Praxis erweisen wird, ob der Schrift und dem Wort die Tat, also die konkrete Strafverfolgungstätigkeit folgen wird. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ist zuständig für die Strafverfolgung in Fällen des Völkermordes und von Verbrechen gegen Menschlichkeit. Die Strafanzeige vom 21.11.2003 wegen der Verfolgung von Falun Gong Praktizierenden ist als der erste ernst gemeinte Versuch seit der Einführung des Gesetzes im Sommer 2002 anzusehen, Ermittlungen gegen Menschenrechtsverletzer in Deutschland zu initiieren.

Die AnzeigenerstatterInnen erhoffen sich von der obersten deutschen Ermittlungsbehörde, dass diese den bisherigen Zustand der Straflosigkeit der in China begangenen Menschenrechtsverletzungen nicht hinnimmt und die Ermittlungen gegen Jiang Zemin und die anderen Funktionäre aufnimmt. Zwar können in Deutschland Hauptverhandlungen vor Strafgerichten nicht in Abwesenheit der Angeklagten durchgeführt werden und es ist fraglich, ob eine der angezeigten Personen in allernächster Zeit Deutschland besuchen wird. Aber aufgrund seiner Vorreiterrolle bei der Durchsetzung des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag, haben die deutschen Strafverfolgungsbehörden zumindest die Verpflichtung, die zur Anzeige gebrachten Sachverhalte so weit wie möglich aufzuklären. Immerhin nimmt sich die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe viel Zeit um zu prüfen, ob Ermittlungen gegen den ehemaligen chinesischen Staatspräsidenten Jiang Zemin eingeleitet werden müssen. Alle bisherigen Versuche nach dem Völkerstrafgesetzbuch waren zumeist nach wenigen Tagen gescheitert, die Aufnahme von Ermittlungen abgelehnt worden.

Bei den Personen, gegen die nach den Ermittlungen dringender Tatverdacht besteht, muss ein (internationaler) Haftbefehl beantragt und erlassen werden. Dies geschah zuletzt bereits in den Verfahren gegen ehemalige argentinische Militärs bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg - Fürth. Dann müssen sich die Betroffenen sehr genau überlegen, in welche Länder sie in Zukunft reisen werden.

Deutsche Ermittlungen könnten schließlich die Strafverfolgungsbehörden anderer Staaten ermutigen, eigene Nachforschungen anzustellen und die Ergebnisse zu sammeln, um möglicherweise in Zukunft in China - dem dafür sicherlich angemessensten Ort - Strafverfahren gegen die Menschenrechtsverletzer initiieren.

Aktuell beantragt die Bundesregierung die Auslieferung des ehemaligen argentinischen Militärjunta - Chefs Jorge Videla - über 25 Jahre nach seinen Menschenrechtsverbrechen. Möge die Bundesanwaltschaft 2004 das Ihre tun, damit die Opfer der Menschenrechtsverletzungen in China nicht so lange auf ihr Recht warten müssen.

Quelle: http://de.clearharmony.net/articles/200403/15512.html