Die Rechtsstaatlichkeit setzt sich gegen den Druck der Regierung durch: Der Gerichtsprozess gegen Chen Zhili

Chen Zhili, die ehemalige Bildungsministerin und gegenwärtiges Mitglied des [chinesischen] Staatsrates, musste am 19. Juli 2004 in Tansania vor Gericht erscheinen. Während ihres Besuches in Tansania hatte eine Gruppe internationaler Menschenrechtsanwälte eine Klage gegen sie eingereicht. Die Anwälte vertreten Falun Gong-Praktizierende, die in China unter der Verfolgung ihrer Meditationspraxis leiden mussten.

Im Unterschied zu anderen chinesischen Regierungsbeamten, die während ihrer Auslandsaufenthalte Vorladungen erhielten, daraufhin schnell das Land verließen und nach China zurückkehrten, war Chen Zhili die erste hochrangige Regierungsbeamtin, die keine Ausrede für ein Fernbleiben erfinden konnte und deshalb vor einem ausländischen Gericht erscheinen musste.

Einem Bericht der Weltorganisation zur Untersuchung der Verfolgung von Falun Gong zufolge sorgte Chen Zhili während ihrer Amtszeit als Bildungsministerin dafür, dass das Motto „Hass und Verfolgung gegen Falun Gong sind richtig” Einzug in das Bildungssystem erhielt. Sie ist persönlich für die Inhaftierung vieler Studenten und Lehrer, die Falun Gong praktizieren, verantwortlich. 61 dieser inhaftierten Praktizierenden starben durch Folter. All die Fälle von Ermordungen, Folterungen, Verschwinden der Opfer, Verweis von Schulen und gesetzwidrigen Inhaftierungen stellen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen dar.

Zurzeit gibt es keine Informationen darüber, wie Chen Zhili beziehungsweise die chinesische Regierung auf die Anklage reagieren. Im Ausland werden zunehmend ähnlich lautende Klagen gegen chinesische Regierungsbeamte eingereicht. Alle Angeklagten sind entweder persönlich verantwortlich dafür, dass Falun Gong-Praktizierende zu Tode gefoltert wurden, oder stehen im Verdacht, darin verwickelt zu sein. Am meisten bekannt ist die Klage gegen den früheren chinesischen Präsidenten Jiang Zemin, die vor einem US-Gericht in Chicago behandelt wird.

Jiang Zemin versucht die Klage gegen seine Person „mit allen Mitteln, auch durch Diplomatie” zu ersticken. Im Fall Chen Zhili blieb die chinesische Regierung bis jetzt jedoch ruhig. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass die chinesische Regierung hofft, mit der Regierung Tansanias eine Einigung „hinter den Kulissen” zu erzielen, und gleichzeitig bemüht ist, die Sache herunterzuspielen.

Die „diplomatischen Mittel”, mit denen die chinesische Regierung versucht, solche Klagen zu stoppen, beinhalten den Einsatz finanzieller Mittel, um Einfluss auf das Gericht zu erlangen.

Obwohl die Arbeitsweise der Judikative verschiedener Länder differiert, bauen die meisten zivilisierten Länder auf eine unabhängige Rechtssprechende Gewalt, um Gerechtigkeit vor den Gerichten sicherzustellen.

Aufgrund des chinesischen Ein-Parteien-Systems unterscheidet sich die Judikative Chinas sehr von der anderer Länder. Hochrangige Regierungsbeamte können jegliches Gesetz übergehen. Sie können Dokumente ausstellen, Anordnungen erlassen oder ihren politischen Einfluss geltend machen, um der Judikative ihren Willen aufzuzwingen.

Ein Fall, der kürzlich in Kanada auftrat, veranschaulicht die weit verbreitete Einstellung vieler chinesischer Regierungsbeamter gegenüber der Rechtsstaatlichkeit. Pan Xinchun, der stellvertretende chinesische Generalkonsul in Toronto, war zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er in einer Zeitung in Toronto einen dort ansässigen Falun Gong-Praktizierenden verleumdet hatte. Pan Xinchun reagierte jedoch nicht auf die gerichtliche Anordnung beziehungs¬weise den letztendlichen Pfändungsbeschluss. Um die vom Gericht verhängte Strafe nicht zahlen zu müssen, löste er sogar sein kanadisches Bankkonto auf. Die chinesische Regierung brachte hervor, dass dieser Vorfall „die Beziehungen zwischen den Ländern beeinträchtigen könnte” in der Hoffnung, dass die kanadische Regierung „eingreifen” würde.

Die chinesische Regierung hatte den grundlegenden Unterschied zwischen dem legalen System in China und dem in Kanada nicht erfasst. Die [in China] häufig angewandte „politische Intervention innerhalb der Judikative” würde in einem Land wie Kanada, das auf Rechtsstaatlichkeit basiert, einen Skandal auslösen.

Tansania ist ein kleines afrikanisches Land und erhält bedeutende finanzielle Hilfen und Unterstützung für seine Infrastruktur. Zum Beispiel hatten einige zehntausend technische Arbeiter, darunter auch Ingenieure, an der Fertigstellung der TAZARA - der Eisenbahnstrecke Tansania-Sambia - teilgenommen. Darüber hinaus schloss die Regierung Tansanias technische Abkommen mit China und erhält für über 100 Projekte von der chinesischen Regierung Darlehen, unter anderem für sein Schienennetz, die Minen, die landwirtschaftliche Entwicklung, die Textilindustrie und die Zuckerfabriken. Könnten politische und finanzielle Überlegungen zu einer Beeinflussung der Rechtssprechenden Gewalt führen? In der Tat ist der jetzige Fall gegen Chen Zhili vor einem Gericht Tansanias ein Test für die Integrität des legalen Systems des Landes.

Die schnelle Antwort seitens des Gerichtes in Tansania bezüglich der eingereichten Klage gegen Chen Zhili ist eine große Ermutigung für weniger einflussreiche Opfer. Die Rechtssprechung trat für eine Untersuchung ein und führte sie da fort, wo die Regierung es nicht wagt, einen Regierungsbeamten eines „Geldgeber-Landes” zu belasten. Dieses Gericht hat gezeigt, dass niemand eingesperrt wird, nur weil er oder sie ein gewöhnlicher Bürger ohne Einfluss ist, und dass sich auch niemand der Gerechtigkeit entziehen kann, nur weil er oder sie ein Regierungsbeamter eines Landes ist, mit dem wirtschaftliche „Vereinbarungen” getroffen wurden. Die Handlungsweise dieses Gerichtes hat den Grundsatz „vor dem Gesetz sind alle gleich” in die Praxis umgesetzt.

Die chinesische Judikative befindet sich bezüglich der unabhängigen Ausübung der Rechtssprechung in einem traurigen Zustand. Die chinesische Rechtssprechung hat nicht den Mut oder die Möglichkeit, gegen führende Regierungsbeamte gerichtlich vorzugehen oder Klagen gegen diese anzunehmen. Das ist einer der Gründe dafür, dass kein Anwalt oder Richter es in China wagte, die Betroffenen zu verteidigen, als Jiang Zemin alle Möglichkeiten des friedlichen Appells für Falun Gong-Praktizierende unterband. Genauso wenig werden sie den Bürgern, denen bisher Unrecht angetan wurde, helfen, ihre Rechte wieder zu erlangen.

Als Falun Gong-Praktizierende im Ausland Klagen gegen führende Parteimitglieder während deren Auslandbesuchen einreichten, verlangte die chinesische Regierung oft von den ausländischen Regierungen, einzuschreiten und die Klagen abzuweisen. Dabei warnte sie davor, dass ein solcher Gerichtsprozess „die Beziehungen zwischen den Ländern beeinträchtigen würde”. Nichtsdestoweniger zeigt die Tatsache, dass zahlreiche Klagen eingereicht wurden, dass solche „Warnungen” keine Kraft haben und vergeblich sind. Die meisten Staaten der Welt sind nach dem Prinzip des Mehrparteiensystems aufgebaut und verfügen in irgendeiner Form über demokratische Strukturen. Das unterscheidet sich völlig von der Ein-Parteien-Diktatur in China. Es erklärt auch, weshalb führende Eliten aus der chinesischen Partei häufig gegen ansonsten allgemein anerkannte juristische Vorgängen anecken und derart unangebrachte Anfragen wie „Intervention durch die Regierung in juristischen Angelegenheiten” vorbringen. Gleichzeitig fällt es den chinesischen Regierungsbeamten schwer, sich auf die verschiedenen Denkweisen einzustellen, so wie im oben erwähnten Fall, als Pan Xinchun, der wegen Verleumdung schuldig gesprochen worden war, sich weigerte, das Urteil zu akzeptieren.

Weltweit weisen Falun Gong-Praktizierende durch Anwendung juristischer Schritte, denen internationales Recht zugrunde liegt und die durch eindeutige Beweise untermauert sind, auf zunehmend mehr chinesische Regierungsbeamte, die für die Verfolgung verantwortlich sind. Auch wenn die Verfolgung in China noch nicht beendet wurde, stellen die Verurteilungen und gerichtlichen Entscheidungen in der Internationalen Gemeinschaft eine deutliche Warnung für die chinesischen Staatsoberhäupter dar.

Der Prozess gegen Chen Zhili dauert noch an. Wichtiger als das Urteil ist, dass der Prozess die Gräueltaten der Verfolgung ans Tageslicht bringt und den Prozessbeteiligten, der Öffentlichkeit und den Regierungen in den anderen Ländern bewusst wird, was in Festland China vor sich geht. Je mehr Menschen die Wahrheit über die Verfolgung erfahren, umso schwieriger wird es für die chinesische Regierung, sie fortzuführen. Vor diesem Hintergrund ist die symbolische Bedeutung des Prozesses bei weitem größer als der Prozess für sich betrachtet vermuten lässt.