Die Kultivierungsgeschichte von Buddha Milarepa – Teil II
(Minghui.org) Im Laufe der Geschichte war der Himalaya eine Region mit vielen Kultivierenden. Die Menschen dort führen ein einfaches, bescheidenes Leben. Sie singen und tanzen und sie verehren das Buddha-Fa (Gebot). Vor fast einem Jahrtausend gab es in dieser Region einen Kultivierenden mit Namen Milarepa. Während sich die Mehrheit der Buddhas und Bodhisattvas in vielen Leben kultivierten und viel Elend und Leid durchlebten, bevor sie zur Erleuchtung kamen, erreichte Milarepa in nur einem Leben eine gleichwertig mächtige Tugend. Er wurde später bekannt als der Begründer der Weißen Sekte des tibetischen Buddhismus.
Fortsetzung von Teil I:
Rechungpa fragte: „Meister, nachdem Ihr Vater gestorben ist, haben Sie sehr gelitten? Wir haben gehört, dass Ihre Erfahrung die härteste war. Könnten Sie uns davon erzählen?“
Milarepa lächelte und sagte: „In Ordnung, ich werde es euch erzählen.
Als ich sieben war, erkrankte mein Vater schwer. Die Ärzte konnten nichts für ihn tun. Selbst ein Wahrsager sagte, dass für meinen Vater keine Hoffnung auf Heilung bestehe. Meine Verwandten wussten, dass die Krankheit im Endstadium war und auch mein Vater war sich bewusst, dass er dem Tode nahe war. Er beschloss, vor seinem Tod Arrangements für uns Drei und den Familienbesitz zu treffen.
Vater bat meinen Onkel, meine Tante und die Nachbarn, in unsere Wohnung zu kommen. Dann las er allen Anwesenden das Testament vor, das er vorbereitet hatte.
Das Testament besagte eindeutig, dass der gesamte Besitz an seinen ältesten Sohn gehen sollte.
Nachdem er das Testament verlesen hatte, sagte mein Vater langsam: ‚Ich habe keine Hoffnung mehr, diese Krankheit zu überleben. Mein Sohn und meine Tochter sind noch klein und so kann ich nur deren Onkel, Tante und andere Verwandte damit beauftragen, sich um sie zu kümmern. Obwohl ich nicht übermäßig reich bin, habe ich doch ein angemessenes Vermögen. Auf meiner Farm gibt es Ochsen, Schafe und Pferde. Was meinen Grundbesitz anbelangt, ist der Hauptanteil davon das Orma-Dreieck; die kleineren Teile sind zu zahlreich, um sie alle einzeln zu benennen. Im unteren Stall stehen Ochsen, Schafe und Esel. Oben habe ich Möbel, Gold- und Silberantiquitäten sowie Juwelen, Edelsteine und Seidenkleider. Ich habe auch Lager mit Korn. Insgesamt habe ich genügend Vermögen und bin nicht auf andere angewiesen. Nach meinem Tod nehmt bitte einen Teil des Vermögens für meine Bestattung. Mit dem restlichen Vermögen hoffe ich, dass die hier Anwesenden, speziell der Onkel und die Tante, der Mutter helfen können, sich um die zwei Kinder zu kümmern. Wenn Topaga erwachsen ist und heiratet, nehmt bitte Dzese, das Mädchen, mit dem er verlobt ist, in unsere Familie auf. Die Hochzeitskosten sollten unserem sozialen Status angemessen sein. Bis dahin soll mein Vermögen von Topaga verwaltet werden. Ich hoffe, Onkel und Tante kümmern sich um die beiden Kinder und deren Mutter. Bitte sorgt dafür, dass die Drei nicht leiden müssen. Nach meinem Tod werde ich sie durch die Ritzen meines Sarges überwachen.‘
Nach diesen Worten starb Vater und ließ uns Drei zurück.
Nachdem wir Vater beerdigt hatten, kamen wir alle überein, dass Mutter das Vermögen verwalten sollte. Doch mein Onkel und meine Tante sagten entschieden: ‚Obwohl ihr Verwandte seid, sind wir noch engere Verwandte.‘ Der Bruder meiner Mutter und Dzeses Vater führten viele Gründe auf, warum Mutter sich um das Vermögen kümmern sollte, doch sie gingen überhaupt nicht darauf ein. Infolgedessen ging mein Eigentum an meinen Onkel, während das Eigentum meiner Schwester an meine Tante ging. Auch das verbleibende Grundstück wurde gleichmäßig zwischen ihnen aufgeteilt.
Dann sagten sie zu uns Drei: ‚Von nun an werden wir uns gut um euch kümmern!‘
Damit war unser Vermögen weg.
Seitdem verlangte Onkel von uns, im heißen Sommer die Felder zu bewirtschaften, während die Tante uns anhielt, im eiskalten Winter Schafwolle zu stricken. Wir bekamen Essen, das für Hunde taugte, und arbeiteten wie Nutztiere. Wir trugen Lumpen mit Gürteln aus Gras. Wir arbeiteten ohne Pause von morgens bis abends. Die exzessive Arbeit erschöpfte unsere Hände und Füße und unsere aufgerissene Haut blutete. Es gab weder genügend Kleidung, um uns warmzuhalten, noch ausreichendes Essen, um satt zu werden. Unsere Haut wurde grau, wir magerten ab und waren schließlich nur noch Haut und Knochen. Ich erinnere mich noch, als es Gold, Edelsteine und Ringe an meinem Haarband gab. Doch war das alles weg und was zurückblieb, war nur noch ein schwarzgrauer Strang. Am Ende waren meine Haare so voller Läuse und Lauseiern, dass sie sich in Nestern in meinen zerzausten Haaren vermehrten. Jeder, der uns sah, beschimpfte meinen Onkel und meine Tante für deren Grausamkeit. Jedoch mit einer Haut so dick wie Rindsleder waren sie schamlos und achteten nicht auf die höhnischen Bemerkungen. Meine Mutter bezeichnete daher die Tante als bösartige Yakscha oder als Gespenst einer Tigerin, anstelle einer Khyungtsa Paldren. Der Begriff ‚Gespenst einer Tigerin‘ verbreitete sich später im Dorf. Damals sagten die Dorfbewohner oft: ‚Das Vermögen anderer an sich zu reißen und die früheren Eigentümer wie Kettenhunde zu behandeln, gibt es denn solche ungerechten Dinge wirklich in dieser Welt!?‘
Bevor mein Vater starb, kamen reiche und arme Leute zu uns, um Kontakt zu uns aufzunehmen und uns zu schmeicheln. Nun, da Onkel und Tante Geld hatten und wie Adelige lebten, kamen diese Leute zu ihnen und versuchten, mit ihnen auszukommen. Manche Leute sagten sogar schlechte Dinge über meine Mutter: ‚Es gibt ein Sprichwort, das heißt, dass ein reicher Mann zu einer geschickten Frau gehört. Das ist wirklich wahr! Schaut, als Nyangtsa Kargyens Mann noch lebte, war sie eine edelmütige Dame. Ohne ihn ist sie so kleinlich.’
In Tibet gibt es ein Sprichwort: ‚Wenn ein Mensch einmal Pech hat, verbreitet sich der Klatsch weit und breit.‘ Da sich unsere Situation weiter verschlechterte, schwand das Mitgefühl für uns dahin und man redete nur noch verächtlich über uns.
Die Eltern von Dzese hatten Mitleid mit meinem Unglück und gaben mir manchmal Kleidung oder Schuhe. Manchmal trösteten sie mich auch warmherzig: ‚Topaga, du weißt, Reichtum ist etwas, das nicht immer währt. Wohlstand mag kommen und gehen wie Morgentau. Sei bitte wegen deiner Armut nicht traurig. Hat nicht dein Großvater auch mit nichts angefangen? Wenn du erwachsen bist, kannst du auch Geld verdienen und ein Vermögen anhäufen!‘
Ich war ihnen sehr dankbar.
Meine Mutter besaß Land aus ihrer Mitgift. Der Name klang nicht schön, aber es war gutes Land mit einem ansehnlichen Ernteertrag. Mein ältester Onkel bewirtschaftete dieses Land und bewahrte jedes Jahr die Hirse gegen Zinsen auf. Nach vielen Jahren summierten sich Kapital und Zinsen zu einer beachtlichen Summe. Die schwierigen Tage verstrichen einer nach dem anderen. Als ich fünfzehn wurde, verkaufte meine Mutter die Hälfte des Landes. Mit dem Geld aus dem Verkauf und den Erträgen des Getreides kaufte sie eine große Menge Fleisch und röstete Hochlandgerstenmehl und Roggen, um daraus Bier zu brauen. Das überraschte die Dorfbewohner, deshalb begannen sie alle herumzuraten: ‚Wird Nyangtsa Kargyen ein Fest abhalten und offiziell die Rückgabe ihres Familienvermögens verlangen?‘
Nachdem Mutter und ihr Bruder alles vorbereitet hatten, legten sie Reihe für Reihe geliehene Matten im Salon unseres Hauses mit vier Säulen und acht Balken aus. Sie baten Onkel und Tante, Verwandte, Freunde und Nachbarn zu empfangen, besonders diejenigen, die zugegen gewesen waren, als Vater auf dem Totenbett sein Testament verkündet hatte. Mutter stellte das beste Fleisch und die besten Gerichte vor Onkel und Tante. Vor jedem Gast war reichlich Essen ausgelegt. Alle hatten auch eine große Schale Bier vor sich. Es war in der Tat ein eindrucksvolles Festessen.
‚Heute habe ich als kleines Zeichen für alle ein karges Essen und wässriges Bier vorbereitet‘, sagte Mutter.
Als sich alle gesetzt hatten, stellte sich Mutter in die Mitte der Gäste und sagte feierlich: ‚Obwohl heute der Geburtstag meines Sohnes ist, möchte ich euch allen ein paar Worte sagen. Als mein Mann Sherab Gyeltsen vor seinem Tode sein Testament verkündete, saßen alle, die Älteren und Tante und Onkel hier und haben alles ganz deutlich verstanden. Nun möchte ich alle, die hier sitzen, einladen, sich das Testament noch einmal anzuhören.‘
Danach stand ihr Bruder auf und las das Testament laut vor. Keiner der Gäste sagte auch nur ein Wort.
Meine Mutter fuhr fort: ‚Topaga ist nun erwachsen und in dem Alter, sich eine Frau zu nehmen. Gemäß dem Testament seines Vaters Sherab Gyeltsen sollten wir die Hochzeit entsprechend unseres Sozialstatus arrangieren. Topaga sollte laut Testament das Vermögen unserer Familie erben und verwalten. Was das Testament anbelangt, das wir eben vorgelesen haben, hat es jeder mit eigenen Ohren gehört, als Sherab Gyaltsen im Sterben lag. Ich muss es nicht wiederholen. Heute fordere ich Onkel und Tante auf, uns das Vermögen, das sie für uns bewahrt haben, zurückzugeben. Ich danke Onkel und Tante und euch allen aufrichtig für eure Fürsorge in all den Jahren.‘
‚Hej! Habt ihr immer noch Besitz?!‘ Beide, Onkel und Tante riefen: ‚Wo ist euer Besitz?‘
Normalerweise waren sich Onkel und Tante fast nie einig. Doch wenn es darum ging, das Vermögen anderer zu rauben, waren sie sich einig.
Sie wiederholten: ‚Habt ihr denn noch Besitz? Wo ist euer Besitz? Als Sherab Gyeltsen jung war, borgte er sich eine Menge Land, Gold, Juwelen, Pferde, Ochsen und Schafe von uns. Da er gestorben ist, sollten wir das natürlich wieder zurückbekommen. Was gehört euch denn? Euer Vermögen ist noch nicht einmal so viel wie ein Stern am Nachthimmel, eine Handvoll Weizen, ein Tael (ehemaliges chinesisches Handelsgewicht) Yakbutter oder ein altes Stück Vieh. Hm! Woher kommen denn diese Tagträume? Wer hat das Testament für euch geschrieben? So viele Jahre für euch und eure Kinder zu sorgen, ist doch mehr als genug! Es gibt einen Spruch, dass manche Leute Freundlichkeit mit Hass vergelten. Ich glaube, damit sind nutzlose Menschen wie ihr gemeint!‘
Sie waren wütend, als sie diese Dinge sagten. Sie brüllten die Worte mit fest zusammengebissenen Zähnen und knirschenden Lauten.
Sie sprangen von ihren Sitzen auf, stampften mit den Füßen auf den Boden und schrien: ‚Hej! Versteht ihr das? Dieses Haus gehört uns. Raus hier!’
Bei diesen Worten schlugen sie mit Peitschen auf meine Mutter ein und zerrten mich und meine Schwester Peta an unseren Ärmeln.
Mutter lag völlig verzweifelt auf dem Boden und weinte: ‚Sherab Gyeltsen! Siehst du das? Du sagtest, du würdest uns aus den Sargritzen heraus beobachten. Hast du das gerade gesehen?!‘
Meine Schwester und ich kauerten uns an Mutter und wir schluchzten heftig. Als er sah, wie viele Leute dem Onkel zujubelten, blieb dem älteren Bruder meiner Mutter keine andere Wahl, als seine Wut zu unterdrücken und still zu bleiben. Manche Gäste seufzten: ‚Die arme Mutter mit ihren Kindern!‘ Angesichts unseres Unglücks brach ihnen das Herz und sie weinten, doch sie konnten nichts weiter tun, außer leise zu seufzen.
Onkel und Tante hatten ihre Wut und ihren Groll noch nicht ganz rausgelassen und beschimpften uns Drei auf bösartige Weise – wie knurrende Hunde.
‚Hm! Ihr wollt euer Vermögen zurück? Ja, es gehört euch, aber wir wollen es euch einfach nicht zurückgeben. Wie wollt ihr es denn zurückbekommen? Wenn wir es dafür verwenden, Wein zu trinken und Gäste zu unterhalten, geht euch das gar nichts an!‘ Sie fuhren fort, verächtlich über uns zu lachen: ‚Wenn ihr in der Lage seid, findet doch Leute, die mit uns kämpfen, um euer Vermögen zurückzubekommen. Wenn ihr niemanden finden könnt, versucht doch, einige Beschwörungen zu rezitieren!‘ Mit diesen Worten drehten sie sich um und gingen mit ihren Freunden weg.
Schmerzerfüllt konnte meine Mutter nicht aufhören zu schluchzen. Nur wir Drei und einige mitfühlende Verwandte blieben bei uns in der Wohnung mit den vier Säulen und acht Balken zurück. Dzese, ihr Vater und Bruder trösteten uns liebevoll. Sie waren bereit, uns mit einigen täglichen Vorräten zu versorgen, damit wir überleben konnten. Mutters Bruder schlug vor, dass ich ein Handwerk lernte, während meine Mutter und meine Schwester ihm in der Landwirtschaft helfen sollten. Er bestand darauf, dass wir etwas unternehmen sollten, um Onkel und Tante zu zeigen, dass die Familie von Sherab Gyeltsen weder schwach noch unfähig war und auch keine Familie, die sich leicht erniedrigen ließ.
Schließlich unterdrückte meine Mutter ihren Kummer und wischte sich die Tränen weg. Voller Bedauern und Entrüstung sagte sie resolut: ‚Weil es mir nicht gelingt, mein Vermögen zurückzubekommen, möchte ich mich auch nicht auf andere verlassen, um meine Kinder aufzuziehen. Selbst wenn Onkel und Tante der Kinder einen Teil des Vermögens zurückgeben, würde ich es nicht annehmen. Nichtsdestotrotz muss Topaga ein Handwerk lernen. Bevor wir den Großmut von Onkel und Tante vergelten, sind meine Tochter und ich sogar bereit, Diener oder Sklavenmädchen zu sein. Wir müssen es ihnen zeigen!‘
Mutter wandte sich ihrem Bruder zu und sagte: ‚Wir sind bereit, deine Stelle auf der Farm anzunehmen!‘
Angesichts ihrer Entschlossenheit schlug niemand mehr etwas anderes vor und wir folgten ihrem Plan.
Es gab einen Lama der Roten Sekte, der auf bestimmte Dharma-Fähigkeiten spezialisiert war und an den die lokalen Dorfbewohner fest glaubten. [Anmerkung: Die Rote Sekte wird in Tibet als eine der frühesten Formen des Tibetischen Buddhismus betrachtet. Der tibetische Name Nyingma sollte mit 'Alte Lehren' übersetzt werden, aber weil die Lamas alle rote Kleidung tragen, wird sie gewöhnlich 'Rote Sekte' genannt.] Mutter sagte zu mir, ich solle zu diesem Lama der Roten Sekte gehen und dort lernen. Als ich von zu Hause wegging, begleiteten mich zwei bis drei Verwandte dahin. In diesen Tagen drängten Dzeses Eltern sie oft, Essen, Feuerholz oder Öl dorthin zu bringen, wo ich studierte. Als meine Mutter und meine Schwester keine Arbeit finden konnten, versorgte Mutters Bruder uns mit Essen. Damit meine Mutter nicht um Essen betteln musste, ging er überall hin, um für Mutter eine Arbeit zu suchen. Er tat alles Mögliche, um uns Dreien zu helfen. Meine Schwester machte gelegentlich Besorgungen, spielte Trommel, reinigte Scheunen und übernahm andere Gelegenheitsjobs, um Essen und Kleidung zu bekommen. Doch wir aßen immer nur sehr ärmlich und trugen schäbige Lumpen. Es gab nur Kummer, keine Freude.“
Als der ehrwürdige Milarepa bis dahin erzählt hatte, liefen den Menschen, die seinem Dharma zuhörten, die Tränen herunter. Sie fühlten sich der Welt überdrüssig. Die Schüler, die in der überfüllten Höhle dem Dharma zuhörten, waren ganz still, rings um sie herum war nur Klagen und Schluchzen zu hören.
(Fortsetzung folgt)
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